War das noch in der Schweiz?

Urteil 6B_1133/2021: Zollkontrolle und Überwachung im Flughafen

In diesem Urteil werden zwei interessante Fragen beantwortet, nämlich

1. Ist Fahren trotz Entzug beim Schweizer Zoll auf deutschem Staatsgebiet nach CH-Recht strafbar?
2. Dürfen Videos der Überwachungsanlage eines Flughafens als Beweise verwertet werden?

Dem Beschwerdeführer wird neben weiteren Straftaten zweimal Fahren trotz entzogener Fahrerlaubnis vorgeworfen. Im April 2017 wurde er am Grenzübergang Laufenburg bei der Einreise in die Schweiz dabei erwischt, ein Fahrzeug trotz entzogenem Führerausweis gelenkt zu haben. Im Juni 2017 fuhr der Beschwerdeführer mit demselben Auto zu einem Flughafen, wo er von den Überwachungskameras gefilmt wurde.

Zur Widerhandlung vom April 2017 bringt der Beschwerdeführer vor, dass sich die Zollanlage, wo er kontrolliert wurde, auf deutschem Staatsgebiet befindet und damit ausserhalb des Geltungsbereich des Strassenverkehrsgesetzes. Allfällige bilateralen Abkommen fänden hier aus seiner Sicht auch keine Anwendung.

Zwischen der Schweiz und Deutschland gibt es ein Rahmenabkommen, welches die Grenzabfertigung zwischen den Ländern regelt. Im Rahmen der Grenzabfertigung dürfen Zollbeamte das Recht des eigenen Staates anwenden, auch wenn sich der eigentliche Kontrollort im Gebiet des anderen Staates befindet. Begeht eine Person im Rahmen der Grenzabfertigung also beim Schweizer Zoll, der auf deutschem Boden liegt, eine Straftat, so ist Schweizer Recht anwendbar (Art. 4 des Rahmenabkommens). Der Begriff der Grenzabfertigung wird dabei weit ausgelegt. Er umfasst nicht nur zollrechtliche Themen. Es sind auch verkehrspolizeiliche KOntrollen möglich, zu welchen Grenzbeamte gemäss Art. 4 SKV ausdrücklich ermächtigt sind. Entscheidend ist letztlich der Zusammenhang des strafbaren Verhaltens mit dem Grenzübertritt (zum Ganzen E. 1.3). Die verkehrspolizeiliche Kontrolle fand vorliegend auf deutschem Staatsgebiet statt. Die Grenzbeamten durften eine Verkehrskontrolle durchführen und ein Strafverfahren gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG einleiten.

Zum zweiten Vorwurf bringt der Beschwerdeführer vor, dass die Verurteilung seiner Straftaten vom Juni 2017 aufgrund einer privaten Videoüberwachung eines Flughafens erfolgte. Diese Aufnahmen und damit auch alle Folgebeweise sind aus seiner Sicht gemäss Art. 141 Abs. 2 und 4 StPO nicht verwertbar. Insbesondere stört sich der Beschwerdeführer daran, dass die Videoüberwachung nirgends gekennzeichnet ist und er damit nicht (konludent) in das Aufnehmen seiner Personendaten bzw. seines Kontrollschildes einwilligen konnte (E. 2.1).

Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel sind nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Die Beweismittel müssen zur Aufklärung von schweren Straftaten dienen, wobei darunter nicht nur Verbrechen, sondern auch Vergehen fallen können. Wer Kontrollschilder filmt, bearbeitet Personendaten im Sinne von Art. 3 DSG. Es gelten dabei die Grundsätze von Art. 4 DSG, z.B. dass eine Videoaufnahme erkennbar sein muss, wobei die Verletzung der vorgenannten Grundsätze gemäss Art. 12 DSG zu einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung führt. Die Persönlichkeitsverletzung kann allerdings gemäss Art. 13 DSG gerechtfertigt sein. Dann sind die privaten Beweise uneingeschränkt verwertbar (E. 2.3).

Um es kurz zu machen: Ob im Flughafenparking aufgrund der Umstände erkennbar war, ob man gefilmt wird, kann aus Sicht des Bundesgerichts offenbleiben. Für die meisten Leute wäre dies wohl sowieso offensichtlich. Der Flughafen hat ein überwiegendes und damit rechtfertigendes Interesse an der Überwachung seiner Parkhäuser, denn er kann damit für Sicherheit sorgen und allenfalls sogar Straftaten verhindern. Die Datenbearbeitung des Flughafens erweist sich damit im Sinne von Art. 13 DSG gerechtfertigt, womit die belastenden Videoaufnahmen gegen den Beschwerdeführer verwendet werden konnten.

Überwachungsvideo als Beweis

BGE 6B_1288/2019: Beweisverwertung (gutgh. Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, in Basel bei der Synagoge den Vortritt einer Velofahrerin missachtet zu haben. Die Velofahrerin verletzte sich leicht bei ihrem Notbremsmanöver. Der Beschwerdeführer wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass die Videoaufnahme der privaten Videoüberwachungsanlsage der Synagoge, mit welcher der Vorfall gefilmt wurde, nicht als Beweis zugelassen werden darf, solange dieser Beweis ihn belastet. Sofern die Aufnahme allerdings entlastend ist, sollte die Aufnahme verwertbar sein. Die Vorinstanz erachtete die Aufnahme als verwertbar, auch wenn für sie das nach kantonalem Recht notwendige Reglement nicht vorlag. Diese Verletzung einer Gültigkeitsvorschrift sei jedoch nur marginal und die Persönlichkeitsrechte des Beschwerdeführers seien durch die Aufnahme nur wenig tangiert worden.

Beweise, die unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben wurden, dürfen nur für die Aufklärung schwerer Straftaten verwertet werden. Ansonsten ist die Verwertung solcher Beweise gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO illegal. Das gilt auch für die Folgebeweise. Je schwerer eine Straftat ist, desto höher ist auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung bzw. an der Verwertung eines illegal erhobenen Beweises. Die Schwere Straftat beurteilt sich dabei nicht am abstrakt angedrohten Strafmass, sondern am konkreten Einzelfall (E. 2.1).

Die israelitische Gemeinde Basel und Inhaberin der Videoanlage ist eine öffentliche-rechtliche Körperschaft und unter gewissen Umständen zur Rechtshilfe verpflichtet. Allerdings gilt auch hier, dass die Grundsätze des rechtstaatlichen Handelns eingehalten werden müssen, was bedeutet, dass die Strafbehörden die Beweiserhebung nicht einfach an andere staatliche Organe outsourcen darf (E. 2.2).

Videoüberwachung tangiert das Recht auf Privatssphäre der gefilmten Person (Art. 13 BV). Persönliche Daten sind vor Missbrauch geschützt. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Schutz der Privatsphäre erfasst auch Lebenssachverhalte die sich im öffentlichen Raum abspielen. Man muss sich nicht stets beobachtet fühlen. Alle Grundrechte können allerdings im Rahmen von Art. 36 BV in verhältnismässiger Weise eingeschränkt werden. „Es ist jedenfalls nicht angebracht mit dem Schlagwort der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unbeschränkte Überwachungen zu begründen, die in vielfältigsten Ausgestaltungen unterschiedlichen Zwecken dienen können“ (E. 2.3).

Nach kantonaler Gesetzgebung bedürfen Videoüberwachungsanlagen in Basel ein Reglement, das Zweck, Verantwortlichkeit und die Löschzyklen regelt. Ein solches Reglement bestand aber nicht. Die Videoaufnahme erfolgte in gesetzeswidriger Weise (E. 2.4f).

Zudem wird dem Beschwerdeführerkein schweres Delikt vorgeworfen. Zwar wird eine Vortrittsmissachtung vorgeworfen, eine Kollision gab es aber nicht. Einfache und grobe Verkehrsregelverletzungen sind nach der Rechtsprechung keine schweren Straftaten im Sinne der Strafprozessordnung. Die Videoaufnahme wurde zu Unrecht verwertet (E. 2.6).

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Vorsicht Meinung: Die Strafhoheit liegt beim Staat und Verbotenes sollte grds. auch bestraft werden. Es ist deshalb besonders wichtig, dass der Staat die Regeln einhält. Würde man den Strafbehörden die Möglichkeit geben, jeden erdenklichen Beweis zu verwerten, dann wären bald nur noch Hobbypolizisten und Sheriffs unterwegs. Ausgerüstet mit Dashcams und Kameras würde sich die Zivilgesellschaft gegenseitig bespitzeln. Krumm und krümmer würden die Methoden, mit welchen der ungeliebte Nachbar bei den Strafbehörden angeschwärzt wird. Es ist deshalb gut, dass das Bundesgericht hier noch Augenmass beweist und sich Orwell noch nicht im Grab umdrehen muss.