Fahreignung und die Zweifel

BGE 1C_384/2017: Wenn der Lenker die Zweifel auf dem Silbertablett serviert (gutgh. Beschwerde des StVA)

Das StVA ZH ordnete bei der Beschwerdegegnerin eine Fahreignungsabklärung an. Wegen einer Nachbarschaftsstreitigkeit ging diese nach dem Konsum von Alkohol in den Garten ihres Nachbarn und warf dort eine Stosskugel gegen die Hauswand. Die Polizei äusserte in ihrem Bericht zu dieser Geschichte auch ernsthafte Zweifel an der Fahreignung der Beschwerdegegnerin. Das Verwaltungsgericht hiess den Rekurs der Beschwerdegegnerin gut, wonach das StVA ZH Beschwerde beim BGer führt. Während dem Verfahren lenkte die Beschwerdegegnerin ein Auto mit qualifizierter BAK, was das Strassenverkehrsamt als Novum geltend macht. Die Betroffene sowie auch das ASTRA beantragen die Abweisung der Beschwerde.

E. 1.2. zum Novum: Der FiaZ kann aus prozessökonomischen Gründen als Novum eingeben werden.

E. 2.1. zum Begriff der Trunksucht: „Trunksucht wird nach der Praxis des Bundesgerichts bejaht, wenn der Fahrzeugführer regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er keine Gewähr bietet, den Alkoholkonsum zu kontrollieren und ihn ausreichend vom Strassenverkehr zu trennen, so dass die Gefahr nahe liegt, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 86 f.; 127 II 122 E. 3c S. 126). Der Suchtbegriff des Verkehrsrechts deckt sich nicht mit dem medizinischen Begriff der Alkoholabhängigkeit.“

E. 2.2. zum Grad der Zweifel: „Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Anforderungen an die Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung nicht dieselben wie für den vorsorglichen Führerausweisentzug, obschon diese beiden Massnahmen häufig zusammen ergehen: Während für Erstere hinreichende Anhaltspunkte ausreichen, welche die Fahreignung in Frage stellen, setzt der vorsorgliche Führerausweisentzug voraus, dass ernsthafte Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen, wie dies namentlich bei konkreten Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit der Fall ist (zum Ganzen: Urteil 1C_531/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung setzt nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln gefahren ist (vgl. Urteile 1C_111/2015 vom 21. Mai 2015 E. 4.6; 1C_328/2013 vom 18. September 2013 E. 3.2; 1C_445/2012 vom 26. April 2013 E. 3.2).“

E. 2.3./4. zu den Zweifeln: Die Vorinstanz stellte fest, dass bei der Beschwerdegegnerin eine Kombination von psychischen Störungen sowie ein schädlicher Alkoholkonsum vorlagen. Eine Alkoholabhängigkeit sowie ein Konnex zw. Strassenverkehr und dem Kugelstossen gab es aber nicht. Auch die ärztlich verschriebenen Benzodiazepine änderten nichts daran, dass die Fahreignung gegeben war. Dem schliesst sich auch das Bundesgericht an und stimmt der Vorinstanz im Grundsatz zu und bezeichnet es als „fraglich“ wegen dem Kugelstoss an der Fahreignung zu zweifeln. Mit dem FiaZ während dem Verfahren hat die Beschwerdegegnerin dann aber selber gezeigt, dass sie eben nicht zwischen Strassenverkehr und Alkoholkonsum trennen kann, auch wenn die BAK „nur“ 1.32% betrug. In der Gesamtwürdigung aller Umstände sind die Zweifel insofern berechtigt.

Da wird jemand eine „unglückliche“ Rechtsvertreterin haben, denn vor dem FiaZ hätte es keine Zweifel an der Fahreignung gegeben.

Das Ausweichmanöver

BGE 6B_351/2017: Das bestrafte Ausweichmanöver (gutgh. Beschwerde)

Endlich wieder einmal ein BGE mit so richtig saftigem SVG-Fleisch am Knochen. Der Beschwerdeführer war mit seinem Lieferwagen auf einer vortrittsberechtigten Strasse mit ca. 50km/h unterwegs. Plötzlich nahm er ein Auto wahr, das etwa 10m vor ihm von einem Parkplatz auf seine Fahrbahn hinausfuhr. Intuitiv leitete er bremsend ein Ausweichmanöver auf die Gegenfahrbahn ein, wobei es zu einer Kollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kam, dessen Lenker ein Schleudertrauma erlitt. Wegen dem Unfall wurde der Beschwerdeführer von den kantonalen Instanzen TG wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.1./2. zu den Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass in einer Gefahrsituation, in welcher man sich blitzartig für eine Reaktion entscheiden muss, rückblickend dem Reagierenden das Wählen einer objektiv schlechteren Reaktion nicht vorgeworfen werden kann. Die Vorinstanzen hingegen beziehen sich auf ein Gutachten, nach welchem mit einer Vollbremsung die Kollision mit dem vortrittsbelastenden Auto „beinahe“ hätte vermieden werden können. Insofern habe der Beschwerdeführer sein Fahrzeug durch das Vornehmen des Ausweichmanövers nicht beherrscht und gegen Art. 31 SVG verstossen.

E. 1.3. zur Sorgfaltspflichtsverletzung des Fahrlässigkeitsdeliktes im SVG: „Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat.“ “ Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war.“ Im Strassenverkehr ergeben sich die Sorgfaltspflichten aus dem SVG. Das Beherrschen des Fahrzeuges setzt voraus, dass der Lenker seine Aufmerksamkeit der Strasse zuwendet (SVG 31 i.V.m. VRV 3). Ebenso muss er seine Geschwindigkeit stets den Umständen anpassen (SVG 32).“ Dies gilt auch beim Befahren von Hauptstrassen, weil auch der Vortrittsberechtigte der allgemeinen Sorgfaltspflicht untersteht und sich nicht blindlings auf sein Vortrittsrecht verlassen darf (BGE 89 IV 140 E. 3c S. 145 mit Hinweisen).“

In gewissen Situationen wird die Sicht des Vortrittsbelastenden in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche dermassen behindert, „dass er zwangsläufig mit dem Vorderteil seines Wagens in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche gelangt, bevor er von seinem Fahrersitz aus überhaupt Einblick in diese erhält. In solchen Situationen ist daher gemäss der Praxis des Bundesgerichts ein sehr vorsichtiges Hineintasten zulässig, wenn der Vortrittsberechtigte das ohne Sicht langsam einmündende Fahrzeug rechtzeitig genug sehen kann, um entweder selbst auszuweichen oder den Wartepflichtigen durch ein Signal zu warnen (BGE 143 IV 500 E. 1.2.2; 127 IV 34 E. 3c/bb S. 43 f.; 122 IV 133 E. 2a S. 136; BGE 105 IV 339 E. 3; je mit Hinweisen). Dabei darf grundsätzlich darauf vertraut werden, dass vortrittsberechtigte Fahrzeuge abbremsen oder sogar anhalten, wenn das einbiegende Fahrzeug aus genügend grosser Entfernung gesehen werden kann (BGE 89 IV 140 E. 3c; Urteil 6B_1185/2014 vom 24. Februar 2015 E. 2.5).

E. 1.4. zur Meinung des BGer: Entgegen den Vorinstanzen erkennt das BGer im Verhalten des Beschwerdeführers keine Sorgfaltspflichtsverletzung und insofern kein schuldhaftes Verhalten. „Vom Fahrzeuglenker wird grundsätzlich eine richtige, situationsadäquate Reaktion verlangt. Doch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Fahrzeuglenker im Strassenverkehr überraschend in eine kritische Situation kommen kann, in der Fehlentscheide möglich und verständlich sind. Unvermutet auftretende Gefahren stellen oft hohe und höchste Ansprüche an die Reaktionsfähigkeit der Betroffenen, weshalb dem Fahrzeugführer nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn sich seine Reaktion im Nachhinein, nach ruhigem Überlegen und Abwägen, allenfalls nach Durchführung einer technischen Expertise, als nicht die beste aller denkbaren Reaktionsweisen erweist, jedenfalls so lange nicht, als die getroffene Reaktion verständlich und nicht als abwegig oder gar kopflos erscheint (Urteil 1C_361/2014 vom 26. Januar 2015 E. 3.1 mit Hinweisen).“ „Das Bundesgericht verlangt, dass die ergriffene Massnahme und diejenige, welche ex post als die zweckmässigere erscheint, annähernd gleichwertig sein müssen und dass der Fahrzeugführer deren unterschiedliche Wirksamkeit nur deshalb nicht erkannte, weil die plötzlich eingetretene Situation eine augenblickliche Entscheidung erforderte. Wo eine Vorkehr im Vergleich zu andern sich aber derart aufdrängt, dass sie auch im Falle der Notwendigkeit sehr rascher Reaktion als die näherliegende und angemessenere erkannt werden kann, ist es als Fehler anzurechnen, wenn trotzdem eine weniger geeignete getroffen wird.“

Das Ausweichmanöver war nach der Ansicht des BGer im Vergleich zu einer Vollbremsung eine mehr oder weniger gleichwertige Reaktion, weshalb die Kollision nicht schuldhaft verursacht wurde. Erneut erscheint das Bundesgericht als Vertreter des gesunden Menschenverstandes und bewegt sich nach dem zu strengen BGE 6B_1006/2016 in die richtige Richtung.

Die wunderbare Welt der Alkohol-Gutachten

BGE 6B_918/2017: FiaZ und die Gutachten dazu (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer fuhr mit einem Kollegen zu Beginn der Fasnacht in Huttwil mit einem Lieferwagen umher, wobei sie mehrfach ein Knallgasgemisch in dafür präparierten Rohren entzündeten. Später griff die Polizei den Beschwerdeführer bei seinem Kollegen auf, brachte ihn ins Spital, wo eine Blutalkoholkonzentration von 1.88% gemessen wurde. Er beschwert sich beim Bundesgericht gegen die Verurteilung wegen qualifiziertem FiaZ.

E. 1. zur Anordnung der Blutprobe: Zunächst rügt der Beschwerdeführer, dass die Blutprobe nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Polizei angeordnet wurde, womit Art. 241 Abs. 1 StPO verletzt sei. Das BGer entgegnet: „Der Instanzenzug muss nicht nur prozessual durchlaufen, sondern auch materiell erschöpft sein. Verfahrensrechtliche Einwendungen, die im kantonalen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, können nach dem Grundsatz der materiellen Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs vor Bundesgericht nicht mehr vorgebracht werden (BGE 135 I 91 E. 2.1 S. 93; Urteil 6B_673/2017 vom 2. Oktober 2017 E. 1.2.2). Es verstösst gegen Treu und Glauben, verfahrensrechtliche Mängel erst in einem späteren Verfahrensstadium oder sogar erst in einem nachfolgenden Verfahren geltend zu machen, wenn der Einwand schon vorher hätte festgestellt und gerügt werden können (BGE 143 V 66 E. 4.3 S. 69 f.; Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 4; je mit Hinweisen).“

E. 2. zum rechtlichen Gehör bzgl. Gutachten: Um die Nachtrunkbehauptung des Beschwerdeführers zu überprüfen, hat das IRM Bern bei der Universitätsklinik Freiburg i. Br. eine sog. Begleitstoffanalyse in Auftrag gegeben, weil das IRM Bern dafür die Infrastruktur nicht hat. Die Begleitstoffanalyse ist ein Standardverfahren, bei welchem die Probe mit Headspace-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion analysiert wird. Der Beschwerdeführer rügt, dass er sich dazu nicht äussern konnte.

Gemäss Art. 184 Abs. 3 StPO ist das rechtl. Gehör der Parteien zu Gutachten ausdrücklich geregelt, wird aber im gleichen Absatz auch wieder relativiert. So kann davon abgesehen werden, wenn es um Bestimmung der BAK oder andere Standard-Laboruntersuchungen geht. Der Grund für die Ausnahmeregelung liegt darin, dass es bei den in Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO genannten Gutachten um standardisierte Expertisen geht, welche aufgrund allgemein anerkannter Methoden in weitgehend technisch vorgegebener Weise erstellt werden. Die Gewährung des rechtl. Gehörs macht v.a. bei psychiatrischen Gutachten Sinn. Da es sich bei der Begleitstoffanalyse um ein Standardverfahren ohne grosse Interpretationsmöglichkeit handelt, musste das rechtl. Gehör nicht bereits vorher gewährt werden.

E. 3. zur Externalisierung des Gutachtens: Der Beschwerdeführer rügt, dass der Auftrag an das Uniklinikum Freiburg i. Br. von der Staatsanwalt hätte erfolgen müssen und nicht durch das IRM Bern. Der Gutachter kann gemäss Art. 184 Abs. 2 lit. b StPO weitere Personen einsetzen. Solange nur Teilaspekte des Gutachtens weitergegeben werden, ist dafür keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft nötig. Die Begleitstoffanalyse ist lediglich ein Teilaspekt, der dann auch vom IRM Bern interpretiert wurde, weshalb der Auftrag nicht von der Staatsanwaltschaft zu erfolgen hatte.

Die Begleitstoffanalyse widerlegte die Nachtrunkbehauptungen des Beschwerdeführers. Es handelt sich dabei um ein Standardverfahren, welches kein vorheriges rechtliches Gehör bedarf. Ebenso ist es empfehlenswert, sämtliche formaljuristische Voraussetzungen von Beginn weg zu prüfen, insb. die Anordnung der Blutprobe.

A-Post Plus im Strafverfahren

BGE 6B_773/2017: A-Post Plus und Zustellfiktion im Strafverfahren (gutg. Beschwerde)

In diesem Entscheid geht es um die Frage, ab wann ein Dokument, i.c. eine Einstellungsverfügung, im Strafverfahren als zugestellt gilt, wenn dieses mit A-Post Plus verschickt wird, was natürlich Auswirkungen auf den Fristenlauf hat. Die Einstellungsverfügung wurde im vorliegenden Fall an einem Samstag ins Postfach des Rechtsvertreters gelegt. Die kantonalen Instanzen gingen davon aus, dass die Beschwerdefrist bereits am folgenden Sonntag zu laufen begann und erachteten die Beschwerde des Rechtsvertreters als verspätet. Dieser nahm von der Verfügung am Montag Kenntnis und ging davon aus, dass die Beschwerdefrist am Dienstag zu laufen begann.

E. 2.1./2. Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass mit Zustellung eines Dokumentes per A-Post-Plus keine Empfangsbestätigung eingeholt werde, weshalb Art. 85 Abs. 2 StPO verletzt sei. Die Vorinstanz geht davon aus, dass mit der registrierten Zustellung A-Post Plus ein Schreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei und deshalb auch den Fristenlauf für allfällige Rechtsmittel auslöst.

E. 2.3ff. Meinung es Bundesgerichts: Es äussert sich zunächst zu den gesetzlichen Grundlagen und hält zu Art. 85 StPO fest, dass die „gesetzlich vorgeschriebenen Zustellformen dem Umstand Rechnung tragen, dass Verfügungen oder Entscheide, die der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten (BGE 122 I 97 E. 3a/bb; Urteil 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Der Beweis der ordnungsgemässen Eröffnung sowie deren Datums obliegt der Behörde, die hieraus rechtliche Konsequenzen ableiten will (BGE 142 IV 125 E. 4; 136 V 295 E. 5.9; 129 I 8 E. 2.2; je mit Hinweisen).“ Mangels Empfangsbestätigung genügt die Zustellung mit A-Post Plus den gesetzlichen Anforderungen von Art. 85 Abs. 2 StPO nicht (E. 2.3.1.).

„Eine Zustellung ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ungeachtet der Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO auch dann gültig erfolgt, wenn die Kenntnisnahme des Empfängers auf andere Weise bewiesen werden kann und die zu schützenden Interessen des Empfängers (Informationsrecht) gewahrt werden (vgl. BGE 142 IV 125 E. 4.3; Urteile 1B_41/2016 vom 24. Februar 2016 E. 2.2; 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Entscheidend ist, ab welchem Zeitpunkt von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden kann.“ Das BGer lehnt die Meinung der Vorinstanz ab, welches mit der Zustellung einer Sendung vom Beginn des Fristenlaufes ausgeht. In diesem Fall wäre es möglich, dass jemand ohne jemals Kenntnis von einer Verfügung zu haben, eine Rechtsmittelfrist verpasst. „Es ist daher zentral, dass der Betroffene seine Rechte effektiv wahren kann und ihm das Ergreifen eines Rechtsmittels nicht unnötig erschwert oder verunmöglicht wird. Die Rechtsmittelfrist kann erst dann zu laufen beginnen, wenn die betroffene Person im Besitz aller für die erfolgreiche Wahrung ihrer Rechte wesentlichen Elemente ist (BGE 102 Ib 91 E. 3). Bestehen besondere Formvorschriften, darf an den blossen Zugang in den Machtbereich des Empfängers keine fristauslösende Wirkung geknüpft werden. Massgebend ist vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Adressaten.“

Das BGer heisst die Beschwerde gut. Der Zustellnachweis der A-Post Plus reicht also nicht dafür aus, dass die teils kurzen Fristen im Strafverfahren zu laufen beginnen. Vielmehr benötigt es dafür grds. die Kenntnisnahme des Empfängers.

Der Raser in Polen

BGE 1C_559/2017: Die Folgen von Widerhandlungen im Ausland

Der Beschwerdeführer hat in Polen die Geschwindigkeitsbegrenzung von 50km/h um 51km/h überschritten. Die polnischen Behörden haben den FA eingezogen und an das StVA Kt. BE geschickt, das den FA wiedererteilt und das Administrativverfahren sistiert hat. In Polen wurde ein Fahrverbot von drei Monaten verfügt, woraufhin das StVA eine schwere Widerhandlung angenommen und unter Berücksichtigung einer älteren mittelschweren Widerhandlung einen Warnentzug von neun Monaten verfügt hat. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass bereits in Polen eine Massnahme verfügt wurde und beantragt die Aufhebung der Verfügung des StVA.

E. 2.1. zu Art. 16cbis SVG: Vorausgesetzt werden ein Fahrverbot im Ausland und dass die Widerhandlung nach CH-Recht mittelschwer oder schwer war. Ebenso verweist das BGer darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung die Kaskade auch für im Ausland begangene Widerhandlungen gilt.

E. 2.2.2-4 zur Massnahme: Weil bei der Ermittlung des Sachverhalts nicht herauszufinden war, ob die polnischen Behörden einen Sicherheitsabzug gemäss ASTRA-VO gemacht haben, ging man am Schluss von einer Überschreitung von 46km/h aus, was gemäss Schematismus eine schwere Widerhandlung ist. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung um einiges höher war, als die „magische Grenze“ von 25km/h innerorts, hat die Behörde ihr Ermessen gemäss SVG 16 III nicht überschritten, indem sie neun Monate Warnentzug verfügt hat.

Im Ausland rasen lohnt sich nicht…

Ausstand im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft

BGE 1B_375/379/2017: Ausstand im Strafverfahren (gutgh. Beschwerde)

Die Strafbehörden führen eine Untersuchung gegen die beschwerdeführenden Ehegatten wegen Menschenhandel. Letztere sollen mehrere Frauen illegal und in ausbeuterischer Weise v.a. aus Malaysia in die Schweiz geschlossen haben. Die Ehegatten wehren sich gegen den Vorwurf des Menschenhandels und verlangen aufgrund div. Verfahrensmängeln, dass die untersuchende Staatsanwältin in den Ausstand tritt.

E. 2. Zum Ausstand: „Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters ist nach der Praxis des Bundesgerichtes namentlich anzunehmen, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken.“

E. 4. Zu den Verfehlungen: Die Vorinstanz hat verschiedene Fehler der untersuchenden Staatsanwaltschaft festgestellt, u.a.:

– Ausübung von Druck auf die eingeschleusten Opfer bzgl. Aussagen.
– Versprechen von Privilegierungen, wenn Opfer belastende Aussagen machen.
– Verweigerung von Parteirechten bei Einvernahmen von Auskunftspersonen oder Zeugen.
– Kein Untersuchen von entlastenden Umständen.

E. 5. Zur Schlussfolgerung: Obwohl die Vorinstanz die Untersuchungsführung als „heikel, unglücklich und falsch“ bezeichnet, sieht sie keine Befangenheit der Staatsanwältin. Diese Schlussfolgerung bezeichnet das BGer als „schwer nachvollziehbar“. Die Verfehlungen der Untersuchungsbehörde können nicht geheilt werden. „Die von der Vorinstanz festgestellten diversen Verfahrensfehler, die sich allesamt zum Nachteil der Beschwerdeführer als beschuldigte Parteien ausgewirkt haben, erscheinen bei gesamthafter Betrachtung schwerwiegend. Bei objektiver Würdigung der von der Vorinstanz festgestellten Prozessgeschichte drängt sich der Eindruck auf, dass die Untersuchungsleiterin voreingenommen ist. Sie hat in geradezu systematisch anmutender Weise die Parteirechte der Beschwerdeführer missachtet und sich in unfairer Weise einseitig auf die Beschaffung von belastendem Beweismaterial konzentriert.“

Das BGer heisst das Ausstandsbegehren gut.

Rasen im Ausland bleibt nicht ungesühnt

BGE 1C_432/2017: Geschwindigkeitsexzess in FR (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer überschritt die Tempolimite in FR um 69km/h, weshalb in FR ein Fahrverbot von vier Monaten angeordnet wurde. Das Strassenverkehrsamt Kt. SZ verfügt einen Ausweisentzug gemäss SVG 16cbis von sechs Monaten. Das BGer weist die Beschwerde gegen diese Verfügung ab.

E. 2.1-3. Zum Allgemeinen: Gemäss SVG 16cbis II kann die Dauer der inländischen Massnahme jene der ausländischen überschreiten, wenn man bereits im ADMAS-Register eingetragen ist. Geschwindigkeitsüberschreitungen um 35km/h und mehr auf der Autobahn sind schwere Widerhandlungen. Die Verwaltungsbehörde ist an den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt grds. gebunden.

E. 2.4. zum internationalen Recht: „Die Zustellung eines Strafbefehls in einen anderen Staat stellt einen formellen Akt der Gerichtsbarkeit dar und hat auf dem Rechtshilfeweg zu erfolgen, wenn keine Rechtsgrundlage für eine andere Zustellungsform besteht (vgl. zum Ganzen BGE 1C_236/2016 E. 3.2; 2C_827/2015 E. 3.2, in: RDAF, 2017 II 427; je mit Hinweisen). Schriftstücke in Strafsachen wegen Übertretung von Strassenverkehrsvorschriften dürfen Empfängern in der Schweiz gemäss Art. 30 Abs. 2 der Verordnung über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11) unmittelbar mit der Post zugestellt werden. Im Verhältnis zwischen der Schweiz und Frankreich bestehen zudem mehrere staatsvertragliche Bestimmungen, welche der IRSV als lex specialis vorgehen und die Behörden dazu ermächtigen, gerichtliche Urkunden in Strafsachen direkt per Post ins Ausland zuzustellen (vgl. Art. X Ziff. 1 des Vertrags zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik zur Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen [SR 0.351.934.92]; Art. 16 Ziff. 1 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe vom 8. November 2001 [SR 0.351.12], dem sowohl die Schweiz als auch Frankreich angehören; Art. 52 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 [SDÜ; Amtsblatt der EU Nr. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62; nicht in der SR veröffentlicht]). Nach der Mitteilung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu Art. 52 Abs. 1 SDÜ erfasst die Liste der Verfahrensurkunden, die direkt durch die Post in einen anderen Staat übersandt werden dürfen, auch Schriftstücke in Strafsachen wegen Übertretung von Strassenverkehrsvorschriften.“

Es bestehen insofern genügend gesetzliche Grundlagen für die Zustellung franz. Strafurteile, womit das Territorialitätsprinzip nicht verletzt ist.

E. 3ff.: Der Beschwerdeführer hat den Strafbefehl aus FR erhalten. Dieser beinhaltete auch eine Rechtsmittelbelehrung. Er hat sich aber nicht im Strafverfahren gegen den Vorwurf gewehrt, womit das StVA an den Sachverhalt gebunden ist. Weil der Beschwerdeführer im ADMAS-Register bereits eingetragen ist, durfte das StVA die Dauer der ausl. Massnahme zudem überschreiten.

Der Entscheid beschäftigt sich exemplarisch mit den Verflechtungen zwischen FR und CH bzgl. Geschwindigkeitsexzess und internationalem Recht.

Die Ehefrau im Visier der Strafbehörden

BGE 6B_1025/2016: Rechtsbelehrung bei Einvernahmen (Leitentscheid, gutgh. Beschwerde)

Der Entscheid setzt sich lehrstückhaft mit den Verfahrensrollen der Auskunftsperson und des Zeugen im Strafverfahren auseinander und welche Mitwirkungs- und Aussageverweigerungsrechte die Beteiligten haben. Im vorliegenden Fall wurde die Ehegattin als Auskunftsperson zu mutmasslichen Straftaten ihres Ehemannes befragt.

E. 1.2.1./2. zu den gesetzlichen Regelungen der Auskunftsperson und des Zeugen:

Während der Zeuge grds. nichts mit der untersuchten Straftat zu tun hat, nimmt die Auskunftsperson eine Stellung zwischen Zeuge und beschuldigter Person ein. So kann als Auskunftsperson einvernommen werden, wer ohne beschuldigt zu sein, trotzdem etwas mit der untersuchten Straftat zu tun haben könnte (vgl. Art. 178 Lit. d StPO). Der Auskunftsperson kommt deshalb ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu, weil sie in erster Linie eigene Interessen schützt (vgl. Art. 180 StPO). Der Zeuge wiederum ist an der Straftat nicht beteiligt, weshalb er grds. zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet ist (vgl. Art. 163 Abs. 2 StPO). Er hat ein beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht, z.B. wenn er gegen eine nahestehende Person aussagen müsste und insofern in einem Interessenkonflikt stünde (vgl. Art. 168 StPO).

E.1.3.ff. zur Hinweispflicht bei der ersten Einvernahme:

Die Rechtsbelehrung zu Beginn einer Einvernahme hängt von der Stellung einer Person im Verfahren ab. Die unterschiedlichen Mitwirkungsverweigerungs-rechte der Auskunftsperson einerseits und der Zeugin oder des Zeugen andererseits beruhen auf anderen Prämissen und verfolgen andere Ziele. Während das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson deren eigene Interessen im Verfahren schützt, betrifft das Aussageverweigerungsrecht des Zeugen nicht den Schutz der befragten, sondern den Schutz der beschuldigten Person. Der Zeuge soll insofern davor geschützt werden, dass er sich zwischen einem strafbaren Falschzeugnis zugunsten der beschuldigten Person oder einem Zeugnis, dass schlimmstenfalls ein Familienmitglied belastet, entscheiden muss. Nun gibt es Konstellationen, in welchen eine Auskunftsperson aber sogleich auch Zeuge sein könnte. Gemäss BGer ist es deshalb unerlässlich, dass die zu befragende Person über beide Arten der Mitwirkungsverweigerungsrechte zu belehren ist, wenn ihr als Auskunftsperson zusätzlich zum allgemeinen Aussageverweigerungsrecht ein spezifisches Zeugnisverweigerungsrecht, z.B. als naher Angehöriger zukommt (E. 1.3.1.).

Die Lehre schliesst sich dem an und unterscheidet zwischen zwei Arten von Auskunftspersonen, einerseits der „normalen“ und andererseits dem sog. „Quasi-Zeugen“. Ist von Anfang an klar, dass der Auskunftsperson in materieller Hinsicht auch Zeugenstellung zukommt, so muss sie über die entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechte belehrt werden (E. 1.3.2.).

Einvernahmen unterstehen einem strengen Beweisverwertungsverbot, wenn die entsprechende Rechtsbelehrung zu Beginn einer Einvernahme nicht erfolgte. Wird eine Auskunftsperson als „Quasi-Zeuge“ von der Polizei nicht über die Zeugnisverweigerungsrechte aufgeklärt, ist die Einvernahme unverwertbar (E. 1.3.3).

Vorliegend wurde die Ehegattin als Auskunftsperson einvernommen und entsprechend über ihre Rechte aufgeklärt. Ihr kommt aber als „Quasi-Zeugin“ ebenfalls das Zeugnisverweigerungsrecht zu, worüber sie nicht aufgeklärt wurde. Die Einvernahme ist unverwertbar.

Verhältnismässigkeit von Auflagen nach FiaZ

BGE 1C_320/2017: Verhältnismässigkeit von Auflagen nach der Fahreignungsabklärung (gutgh. Beschwerde)

Fast schon gebetsmühlenartig wiederholen die Strassenverkehrsämter die Notwendigkeit von Auflagen, wenn sie in einem medizinischen Gutachten empfohlen werden, ohne diese weiter zu hinterfragen. Nach der gängigen Rechtsprechung sind die Strassenverkehrsämter bzw. Behörden allgemein an Gutachten gebunden, d.h. die Beurteilung von verkehrsrechtlichen Fragen wurde de facto an Fachärzte ausgelagert. Nun hat sich das BGer zur Verhältnismässigkeit von Auflagen geäussert:

Aufgrund einer FiaZ-Fahrt mit mind. 1.7% musste die Beschwerdeführerin eine Fahreignungsabklärung machen. Das Gutachten fiel positiv aus, allerdings unter Einhaltung einer Fahrkarenz nach Alkoholkonsum während zwölf Monaten sowie der Durchführung von halbjährlichen Verlaufskontrollen zur Überprüfung eines sozialverträglichen Trinkverhaltens mittels Haaranalysen während desselben Zeitraums. Gegen diese Auflagen gelangt die Beschwerdeführerin an das BGer, welches die Beschwerde gutheisst:

E. 2.2 zur Definition der Trunksucht im verkehrsrechtlichen Sinne.

E. 2.3 zur Bindung an Gutachten:

„Ob ein Gericht die in einem Gutachten oder Fachbericht enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, in die das Bundesgericht nur eingreift, sofern sie offensichtlich unrichtig ist (vgl. Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 Abs. 1 BGG; Urteil 1C_179/2015 vom 11. Mai 2016 E. 5.2). Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abweichen (BGE 136 II 214 E. 5 S. 223 f.). Dies ist nur zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist (BGE 140 II 334 E. 3 S. 338). Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, kann ein Abstellen darauf gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 130 I 337 E. 5.4.2 S. 345 f.)“.

E. 2.4 zu den Gründen für die Trunkenheitsfahrt:

  • Grosse Arbeitsbelastung, 13-14h am Tag.
  • Beziehungskrise mit Freund.
  • Krebserkrankung der Mutter.
  • Beerdigung eines guten Schulfreundes.

Ferner gutachterlich festgestellt:

  • Beschwerdeführerin hinterfragt sich (Stichwort „intrinsische Motivation“).
  • Keine Bagatellisierungstendenzen.
  • Mühelose Abstinenz.
  • I.d.R. moderater Alkoholkonsum.
  • Ärztlich attestierte stabile psychische Konstitution.
  • Guter allgemeiner Gesundheitszustand.

E. 2.5 zur den Auflagen:

Das Gutachten fällt durchwegs positiv aus. Einzig die Trunkenheitsfahrt selber muss sich die Beschwerdeführerin anlasten lassen. Das BGer hält es für „nicht nachvollziehbar, weshalb die Gutachterin die Fahreignung der Beschwerdeführerin nur unter bestimmten Auflagen befürwortet.“ Die Haaranalyse ergab einen EtG-Wert von unter 7pg/mg, was auf keinen oder höchstens sozialverträglichen Alkoholkonsum hindeutet. Der automobilistische Leumund ist bisher ungetrübt. Der Vorfall erscheint als einmaliger Ausrutscher.

E. 2.6 Fazit: “ Insgesamt bestanden für die Vorinstanz somit triftige Gründe, um von den nicht näher begründeten und sich nicht ohne Weiteres aus den gutachterlichen Abklärungen ergebenden Schlussfolgerungen der Expertin bzw. den entsprechend verfügten Auflagen abzuweichen. Angesichts der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, ihres bisherigen Verhaltens im Strassenverkehr, ihrer Konsumgewohnheiten und ihrer Aufarbeitung des Vorfalls drängte sich vielmehr die Annahme auf, dass kein verkehrsrelevanter Eignungsmangel vorliegt und insofern ein Warnungsentzug ausreicht, um sie in Zukunft zuverlässig von weiteren Trunkenheitsfahrten abzuhalten. Unter diesen Umständen erweist sich die Wiedererteilung des Führerausweises nach Ablauf des Warnungsentzugs gegen Auflagen als nicht verhältnismässig und ist bundesrechtswidrig.“

Das BGer erachtet das Gutachten als offensichtlich unrichtig bzgl. Auflagen und erscheint in dieser ganzen Geschichte als letzte Bastion des gesunden Menschenverstandes bzw. als Wächter der Verhältnismässigkeit. Die „Mühle“ im Administrativverfahren ist unter via sicura gewaltig geworden. Der vorliegende Entscheid stösst in die richtige Richtung…

Raserurteil nach alter Schule

BGE 6B_1050/2017: Neues Raserurteil, vorsätzliche Tötung durch Überholmanöver

Der Beschwerdeführer überholte bei dichtem Nebel zwei Fahrzeuge. Dabei kollidierte er mit einem korrekt entgegenkommenden Motorrad, dessen Lenker in der Folge verstarb. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung und die Freiheitsstrafe vom 5½ Jahre. Die Beschwerde wird abgewiesen.

E.1.3.2. zur Abgrenzung zw. Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit: Unterschiede bestehen hier lediglich auf der Willensseite des subjektiven Tatbestandes. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen werde. Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Eventualvorsatz in Bezug auf Verletzungs- und Todesfolgen ist bei Unfällen im Strassenverkehr nur mit Zurückhaltung und in krassen Fällen anzunehmen, in denen sich aus dem gesamten Geschehen ergibt, dass der Fahrzeuglenker sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden hat.

E. 1.4. Subsumption: Wer als Autofahrer im Nebel auf einer 80er Strecke bei ca. 50m Sichtweite zu einem Überholmanöver ansetzt, geht ein derart grosses Risiko eines Unfalles mit Todesfolge ein, dass er sich mit dem eingetretenen Erfolg, dem Tod einer Person, abfand und ihn in Kauf nahm.