Die wunderbare Welt der Alkohol-Gutachten

BGE 6B_918/2017: FiaZ und die Gutachten dazu (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer fuhr mit einem Kollegen zu Beginn der Fasnacht in Huttwil mit einem Lieferwagen umher, wobei sie mehrfach ein Knallgasgemisch in dafür präparierten Rohren entzündeten. Später griff die Polizei den Beschwerdeführer bei seinem Kollegen auf, brachte ihn ins Spital, wo eine Blutalkoholkonzentration von 1.88% gemessen wurde. Er beschwert sich beim Bundesgericht gegen die Verurteilung wegen qualifiziertem FiaZ.

E. 1. zur Anordnung der Blutprobe: Zunächst rügt der Beschwerdeführer, dass die Blutprobe nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Polizei angeordnet wurde, womit Art. 241 Abs. 1 StPO verletzt sei. Das BGer entgegnet: „Der Instanzenzug muss nicht nur prozessual durchlaufen, sondern auch materiell erschöpft sein. Verfahrensrechtliche Einwendungen, die im kantonalen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, können nach dem Grundsatz der materiellen Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs vor Bundesgericht nicht mehr vorgebracht werden (BGE 135 I 91 E. 2.1 S. 93; Urteil 6B_673/2017 vom 2. Oktober 2017 E. 1.2.2). Es verstösst gegen Treu und Glauben, verfahrensrechtliche Mängel erst in einem späteren Verfahrensstadium oder sogar erst in einem nachfolgenden Verfahren geltend zu machen, wenn der Einwand schon vorher hätte festgestellt und gerügt werden können (BGE 143 V 66 E. 4.3 S. 69 f.; Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 4; je mit Hinweisen).“

E. 2. zum rechtlichen Gehör bzgl. Gutachten: Um die Nachtrunkbehauptung des Beschwerdeführers zu überprüfen, hat das IRM Bern bei der Universitätsklinik Freiburg i. Br. eine sog. Begleitstoffanalyse in Auftrag gegeben, weil das IRM Bern dafür die Infrastruktur nicht hat. Die Begleitstoffanalyse ist ein Standardverfahren, bei welchem die Probe mit Headspace-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion analysiert wird. Der Beschwerdeführer rügt, dass er sich dazu nicht äussern konnte.

Gemäss Art. 184 Abs. 3 StPO ist das rechtl. Gehör der Parteien zu Gutachten ausdrücklich geregelt, wird aber im gleichen Absatz auch wieder relativiert. So kann davon abgesehen werden, wenn es um Bestimmung der BAK oder andere Standard-Laboruntersuchungen geht. Der Grund für die Ausnahmeregelung liegt darin, dass es bei den in Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO genannten Gutachten um standardisierte Expertisen geht, welche aufgrund allgemein anerkannter Methoden in weitgehend technisch vorgegebener Weise erstellt werden. Die Gewährung des rechtl. Gehörs macht v.a. bei psychiatrischen Gutachten Sinn. Da es sich bei der Begleitstoffanalyse um ein Standardverfahren ohne grosse Interpretationsmöglichkeit handelt, musste das rechtl. Gehör nicht bereits vorher gewährt werden.

E. 3. zur Externalisierung des Gutachtens: Der Beschwerdeführer rügt, dass der Auftrag an das Uniklinikum Freiburg i. Br. von der Staatsanwalt hätte erfolgen müssen und nicht durch das IRM Bern. Der Gutachter kann gemäss Art. 184 Abs. 2 lit. b StPO weitere Personen einsetzen. Solange nur Teilaspekte des Gutachtens weitergegeben werden, ist dafür keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft nötig. Die Begleitstoffanalyse ist lediglich ein Teilaspekt, der dann auch vom IRM Bern interpretiert wurde, weshalb der Auftrag nicht von der Staatsanwaltschaft zu erfolgen hatte.

Die Begleitstoffanalyse widerlegte die Nachtrunkbehauptungen des Beschwerdeführers. Es handelt sich dabei um ein Standardverfahren, welches kein vorheriges rechtliches Gehör bedarf. Ebenso ist es empfehlenswert, sämtliche formaljuristische Voraussetzungen von Beginn weg zu prüfen, insb. die Anordnung der Blutprobe.

A-Post Plus im Strafverfahren

BGE 6B_773/2017: A-Post Plus und Zustellfiktion im Strafverfahren (gutg. Beschwerde)

In diesem Entscheid geht es um die Frage, ab wann ein Dokument, i.c. eine Einstellungsverfügung, im Strafverfahren als zugestellt gilt, wenn dieses mit A-Post Plus verschickt wird, was natürlich Auswirkungen auf den Fristenlauf hat. Die Einstellungsverfügung wurde im vorliegenden Fall an einem Samstag ins Postfach des Rechtsvertreters gelegt. Die kantonalen Instanzen gingen davon aus, dass die Beschwerdefrist bereits am folgenden Sonntag zu laufen begann und erachteten die Beschwerde des Rechtsvertreters als verspätet. Dieser nahm von der Verfügung am Montag Kenntnis und ging davon aus, dass die Beschwerdefrist am Dienstag zu laufen begann.

E. 2.1./2. Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass mit Zustellung eines Dokumentes per A-Post-Plus keine Empfangsbestätigung eingeholt werde, weshalb Art. 85 Abs. 2 StPO verletzt sei. Die Vorinstanz geht davon aus, dass mit der registrierten Zustellung A-Post Plus ein Schreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei und deshalb auch den Fristenlauf für allfällige Rechtsmittel auslöst.

E. 2.3ff. Meinung es Bundesgerichts: Es äussert sich zunächst zu den gesetzlichen Grundlagen und hält zu Art. 85 StPO fest, dass die „gesetzlich vorgeschriebenen Zustellformen dem Umstand Rechnung tragen, dass Verfügungen oder Entscheide, die der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten (BGE 122 I 97 E. 3a/bb; Urteil 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Der Beweis der ordnungsgemässen Eröffnung sowie deren Datums obliegt der Behörde, die hieraus rechtliche Konsequenzen ableiten will (BGE 142 IV 125 E. 4; 136 V 295 E. 5.9; 129 I 8 E. 2.2; je mit Hinweisen).“ Mangels Empfangsbestätigung genügt die Zustellung mit A-Post Plus den gesetzlichen Anforderungen von Art. 85 Abs. 2 StPO nicht (E. 2.3.1.).

„Eine Zustellung ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ungeachtet der Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO auch dann gültig erfolgt, wenn die Kenntnisnahme des Empfängers auf andere Weise bewiesen werden kann und die zu schützenden Interessen des Empfängers (Informationsrecht) gewahrt werden (vgl. BGE 142 IV 125 E. 4.3; Urteile 1B_41/2016 vom 24. Februar 2016 E. 2.2; 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Entscheidend ist, ab welchem Zeitpunkt von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden kann.“ Das BGer lehnt die Meinung der Vorinstanz ab, welches mit der Zustellung einer Sendung vom Beginn des Fristenlaufes ausgeht. In diesem Fall wäre es möglich, dass jemand ohne jemals Kenntnis von einer Verfügung zu haben, eine Rechtsmittelfrist verpasst. „Es ist daher zentral, dass der Betroffene seine Rechte effektiv wahren kann und ihm das Ergreifen eines Rechtsmittels nicht unnötig erschwert oder verunmöglicht wird. Die Rechtsmittelfrist kann erst dann zu laufen beginnen, wenn die betroffene Person im Besitz aller für die erfolgreiche Wahrung ihrer Rechte wesentlichen Elemente ist (BGE 102 Ib 91 E. 3). Bestehen besondere Formvorschriften, darf an den blossen Zugang in den Machtbereich des Empfängers keine fristauslösende Wirkung geknüpft werden. Massgebend ist vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Adressaten.“

Das BGer heisst die Beschwerde gut. Der Zustellnachweis der A-Post Plus reicht also nicht dafür aus, dass die teils kurzen Fristen im Strafverfahren zu laufen beginnen. Vielmehr benötigt es dafür grds. die Kenntnisnahme des Empfängers.

Ausstand im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft

BGE 1B_375/379/2017: Ausstand im Strafverfahren (gutgh. Beschwerde)

Die Strafbehörden führen eine Untersuchung gegen die beschwerdeführenden Ehegatten wegen Menschenhandel. Letztere sollen mehrere Frauen illegal und in ausbeuterischer Weise v.a. aus Malaysia in die Schweiz geschlossen haben. Die Ehegatten wehren sich gegen den Vorwurf des Menschenhandels und verlangen aufgrund div. Verfahrensmängeln, dass die untersuchende Staatsanwältin in den Ausstand tritt.

E. 2. Zum Ausstand: „Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters ist nach der Praxis des Bundesgerichtes namentlich anzunehmen, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken.“

E. 4. Zu den Verfehlungen: Die Vorinstanz hat verschiedene Fehler der untersuchenden Staatsanwaltschaft festgestellt, u.a.:

– Ausübung von Druck auf die eingeschleusten Opfer bzgl. Aussagen.
– Versprechen von Privilegierungen, wenn Opfer belastende Aussagen machen.
– Verweigerung von Parteirechten bei Einvernahmen von Auskunftspersonen oder Zeugen.
– Kein Untersuchen von entlastenden Umständen.

E. 5. Zur Schlussfolgerung: Obwohl die Vorinstanz die Untersuchungsführung als „heikel, unglücklich und falsch“ bezeichnet, sieht sie keine Befangenheit der Staatsanwältin. Diese Schlussfolgerung bezeichnet das BGer als „schwer nachvollziehbar“. Die Verfehlungen der Untersuchungsbehörde können nicht geheilt werden. „Die von der Vorinstanz festgestellten diversen Verfahrensfehler, die sich allesamt zum Nachteil der Beschwerdeführer als beschuldigte Parteien ausgewirkt haben, erscheinen bei gesamthafter Betrachtung schwerwiegend. Bei objektiver Würdigung der von der Vorinstanz festgestellten Prozessgeschichte drängt sich der Eindruck auf, dass die Untersuchungsleiterin voreingenommen ist. Sie hat in geradezu systematisch anmutender Weise die Parteirechte der Beschwerdeführer missachtet und sich in unfairer Weise einseitig auf die Beschaffung von belastendem Beweismaterial konzentriert.“

Das BGer heisst das Ausstandsbegehren gut.

Die Ehefrau im Visier der Strafbehörden

BGE 6B_1025/2016: Rechtsbelehrung bei Einvernahmen (Leitentscheid, gutgh. Beschwerde)

Der Entscheid setzt sich lehrstückhaft mit den Verfahrensrollen der Auskunftsperson und des Zeugen im Strafverfahren auseinander und welche Mitwirkungs- und Aussageverweigerungsrechte die Beteiligten haben. Im vorliegenden Fall wurde die Ehegattin als Auskunftsperson zu mutmasslichen Straftaten ihres Ehemannes befragt.

E. 1.2.1./2. zu den gesetzlichen Regelungen der Auskunftsperson und des Zeugen:

Während der Zeuge grds. nichts mit der untersuchten Straftat zu tun hat, nimmt die Auskunftsperson eine Stellung zwischen Zeuge und beschuldigter Person ein. So kann als Auskunftsperson einvernommen werden, wer ohne beschuldigt zu sein, trotzdem etwas mit der untersuchten Straftat zu tun haben könnte (vgl. Art. 178 Lit. d StPO). Der Auskunftsperson kommt deshalb ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu, weil sie in erster Linie eigene Interessen schützt (vgl. Art. 180 StPO). Der Zeuge wiederum ist an der Straftat nicht beteiligt, weshalb er grds. zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet ist (vgl. Art. 163 Abs. 2 StPO). Er hat ein beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht, z.B. wenn er gegen eine nahestehende Person aussagen müsste und insofern in einem Interessenkonflikt stünde (vgl. Art. 168 StPO).

E.1.3.ff. zur Hinweispflicht bei der ersten Einvernahme:

Die Rechtsbelehrung zu Beginn einer Einvernahme hängt von der Stellung einer Person im Verfahren ab. Die unterschiedlichen Mitwirkungsverweigerungs-rechte der Auskunftsperson einerseits und der Zeugin oder des Zeugen andererseits beruhen auf anderen Prämissen und verfolgen andere Ziele. Während das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson deren eigene Interessen im Verfahren schützt, betrifft das Aussageverweigerungsrecht des Zeugen nicht den Schutz der befragten, sondern den Schutz der beschuldigten Person. Der Zeuge soll insofern davor geschützt werden, dass er sich zwischen einem strafbaren Falschzeugnis zugunsten der beschuldigten Person oder einem Zeugnis, dass schlimmstenfalls ein Familienmitglied belastet, entscheiden muss. Nun gibt es Konstellationen, in welchen eine Auskunftsperson aber sogleich auch Zeuge sein könnte. Gemäss BGer ist es deshalb unerlässlich, dass die zu befragende Person über beide Arten der Mitwirkungsverweigerungsrechte zu belehren ist, wenn ihr als Auskunftsperson zusätzlich zum allgemeinen Aussageverweigerungsrecht ein spezifisches Zeugnisverweigerungsrecht, z.B. als naher Angehöriger zukommt (E. 1.3.1.).

Die Lehre schliesst sich dem an und unterscheidet zwischen zwei Arten von Auskunftspersonen, einerseits der „normalen“ und andererseits dem sog. „Quasi-Zeugen“. Ist von Anfang an klar, dass der Auskunftsperson in materieller Hinsicht auch Zeugenstellung zukommt, so muss sie über die entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechte belehrt werden (E. 1.3.2.).

Einvernahmen unterstehen einem strengen Beweisverwertungsverbot, wenn die entsprechende Rechtsbelehrung zu Beginn einer Einvernahme nicht erfolgte. Wird eine Auskunftsperson als „Quasi-Zeuge“ von der Polizei nicht über die Zeugnisverweigerungsrechte aufgeklärt, ist die Einvernahme unverwertbar (E. 1.3.3).

Vorliegend wurde die Ehegattin als Auskunftsperson einvernommen und entsprechend über ihre Rechte aufgeklärt. Ihr kommt aber als „Quasi-Zeugin“ ebenfalls das Zeugnisverweigerungsrecht zu, worüber sie nicht aufgeklärt wurde. Die Einvernahme ist unverwertbar.

Beweisverwertungsverbot von Einvernahmen

BGE 6B_129/2017: Wenn das Gesagte nicht gilt (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von den kantonalen Instanzen wegen einer Vielzahl von Straftatbeständen wie einfacher Körperverletzung, Nötigung, qualifiziertem Raub und Widerhandlungen gegen das Waffengesetz verurteilt. Mit Beschwerde vor BGer verlangt er einen teilweisen Freispruch. Er rügt, dass er an diversen von der Staatsanwaltschaft an die Polizei delegierten Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen und Zeugen nicht teilnehmen konnte, womit seine Teilnahmerechte gemäss Art. 147 StPO verletzt wurden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Verwertungsverbot: „Eine Verletzung von Art. 147 Abs. 1 StPO führt gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO zu einem Beweisverwertungsverbot gegenüber der Partei, die an der Beweiserhebung nicht anwesend war (BGE 139 IV 25 E. 5.4.1 S. 34). Dies gilt für Einvernahmen im  gleichen Verfahren. Gemäss der Praxis des Bundesgerichtes (BGE 140 IV 172, bestätigt in BGE 141 IV 220 E. 4.5 S. 230) kommt den Beschuldigten hingegen in  getrennt geführten Verfahren im jeweils anderen Verfahren keine Parteistellung zu.“

E. 1.6.1: „Sämtliche Einvernahmen wurden somit im gleichen Verfahren ST.2011.4075 durchgeführt.“ „Werden Aussagen, welche die Befragten in Einvernahmen ohne Teilnahme des Beschwerdeführers machten, in späteren Konfrontationseinvernahmen den Befragten wörtlich vorgehalten, so werden diese Aussagen im Sinne von Art. 147 Abs. 4 StPO unzulässigerweise verwertet.“

E. 1.6.2. zu den Spielregeln für die Strafbehörden: „Art. 147 Abs. 4 StPO hält klar fest, dass Beweise, die unter Verletzung des Teilnahmerechts erhoben worden sind, nicht zulasten der Partei verwertet werden dürfen, die nicht anwesend war. Und ebenso deutlich sieht Art. 141 Abs. 1 StPO vor, dass Beweise in keinem Fall verwertbar sind, wenn die Strafprozessordnung einen Beweis als unverwertbar bezeichnet. Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise sind denn auch nach Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Strafakten zu entfernen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss zu halten und danach zu vernichten. Sind Beweise in keinem Fall verwertbar und aus den Strafakten zu entfernen, hat dies auch Konsequenzen für die weitere Untersuchungsführung. Die aus unverwertbaren Einvernahmen erlangten Erkenntnisse dürfen weder für die Vorbereitung noch für die Durchführung erneuter Beweiserhebungen verwendet werden.“

Nun muss die Vorinstanz sich damit herumschlagen, ob die rechtmässigen Beweise für eine Verurteilung ausreichen.

Kosten für Blutprobe

BGE 6B_563/2017: Kosten für die Blutprobe (gutgh. Beschwerde)

Beim Beschwerdeführer wurde anlässlich einer Verkehrskontrolle ein Drugwipe durchgeführt, der positiv auf Cannabis ausfiel. In der anschliessend (rechtswidrig) durchgeführten Blutprobe konnte kein THC, sondern nur das Abbauprodukt THC-COOH nachgewiesen werden. Das Verfahren wegen FuD wurde eingestellt, die Kosten des Verfahrens aber dem Beschwerdeführer auferlegt, wogegen er sich erfolgreich wehrt.

E. 1.2. zur Kostenauflage: Ein widerrechtliches Verhalten alleine reicht für die Auferlegung der Verfahrenskosten nicht aus. Das Verhalten der beschuldigten Person muss adäquat gewesen sein für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens. Die Überbindung der Kosten bei Freispruch oder Einstellung hat Ausnahmecharakter. Es ist ferner verfassungswidrig, einem Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden.

E. 1.3./4. Zu den Ansichten der Parteien: Nach der Vorinstanz habe „der Beschwerdeführer durch sein widerrechtliches Verhalten dazu unmittelbar Anlass gegeben und das Verfahren adäquat-kausal verursacht. Daran vermöge eine allfällige Unverwertbarkeit der aus der Blutprobe gewonnenen Erkenntnisse nichts zu ändern, da er zugegeben habe, eineinhalb Tage vor der Verkehrskontrolle einen Joint Cannabis geraucht zu haben.“ Nach Ansicht der Beschwerdeführers habe er „32 Stunden nach dem Konsum, als die Wirkung längst verflogen gewesen sei, nicht damit rechnen müssen, dass ein Strafverfahren wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand eingeleitet werden würde.“

E. 1.6./7. Zur Konklusion: Einerseits wurde die Blutprobe falsch angeordnet und ist nicht verwertbar, andererseits muss der zugegebene Cannabiskonsum gesondert betrachtet werden. Die Kosten dürfen nicht der beschuldigten Person auferlegt werden.

Ob diese Rechtsprechung auch dann anwendbar ist, wenn die Blutprobe korrekt angeordnet worden wäre, ist nicht abschliessend beurteilbar. Geht man davon aus, dass nach mehr als 24h Konsum nicht mehr mit einem FuD-Vorwurf gerechnet werden muss, dürfte diese Rechtsprechung konsequenterweise auch bei korrekter Blutprobe anwendbar sein.

Parteientschädigung bei Übertretungen

BGE 6B_322/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen (gutgeheissene Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wurde von den Ermittlungsbehörden das Führen eines nicht vorschriftsgemässen Traktor vorgeworfen. Von diesem Vorwurf sprach ihn der Richter erster Instanz frei, sprach ihm aber keine Parteientschädigung zu. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer nun erfolgreich vor BGer.

E. 2.4.1. zur Entschädigung: „Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat.“

Der Entscheid zitiert ausdrücklich den bereits erwirkten BGE 6B_193/2017. Gegen die Ansicht der Bundesrichter ist nichts einzuwenden. Nur zu oft werden im Rahmen des „in dubio pro durore“-Prinzips Bürger mit Strafbefehlen konfrontiert. Wehrt man sich erfolgreich dagegen, werden einem die (Anwalts)Kosten, welche letztlich der Staat verursacht, dafür nicht ersetzt. Diese Praxis müssen die Strafbehörden dringend überdenken.

Zu den Kosten

BGE 6B_1382/2016: Kostenauflage bei Freispruch (Bestätigung Rechtsprechung)

Im Rahmen eines Gazprom-Deals tätigte der Beschwerdeführer mehrere Zahlungen nach Russland, wofür er wegen Bestechung fremder Amtsträger angeklagt wurde. Das Bundesstrafgericht sprach ihn zwar frei, auferlegte ihm aber die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 63’000.00. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer und verlangt u.a. eine Entschädigung von CHF 347’922.30. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu StPO 426: Wenn die beschuldigte Person rechtswidrig oder schuldhaft ein Strafverfahren einleitet oder verzögert, können ihr trotz Freispruch die Kosten auferlegt werden. Dabei darf aber die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen, d.h. die beschuldigte Person muss in zivilrechtlich vorwerfbarer Weises – analog gemäss OR 41 – das Verfahren verzögert haben. Das Bundesgericht prüft dies frei und greift nur bei Willkür ein.

Die Vorinstanz erachtete die Bezahlung von Geldern an Gazprom-Mitarbeiter durch eine vom Beschwerdeführer beherrschten Gesellschaft als Vertragswidrigkeit, da in sog. Consultancy Agreements die Verpflichtung eingegangen wurde, eben keine Zahlungen direkt an Mitarbeiter von Gazprom zu leisten. Darin liege sodann das zivilrechtliche Verschulden. Dieser Ansicht folgt das BGer und weist die Beschwerde ab

 

BGE 6B_1389/2016: Angemessene Parteientschädigung bei Freispruch (teilw. gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von der Bundesanwaltschaft wegen Bestechung fremder Amtsträger und Geldwäscherei angeklagt. Das Verfahren wegen Geldwäscherei wurde eingestellt, bzgl. Bestechung erfolgte ein Freispruch. Dem Beschwerdeführer wurde eine Entschädigung von CHF 123k und Genugtuung von 2k zugesprochen. Dagegen wehrt er sich und verlangt eine Entschädigung von CHF 459’640.95 und Genugtuung von CHF 30k. Es geht um die Frage, was ein „angemessener Aufwand“ des Verteidigers im Strafverfahren ist.

E. 2.2.1 zu StPO 429: Grds. hat man bei bei Einstellung oder Freispruch Entschädigungsanspruch für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte. „Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (BGE 142 IV 163 E. 3.1.2; 138 IV 197 E. 2.3.4 mit Hinweis). Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 18.3.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 143 IV 214).“

E. 2.4.2./3. zu den Verteidigerkosten: Weil sich der Wahlverteidiger nicht in der Verfahrenssprache deutsch ausrücken konnte, bestellte das Bundesstrafgericht einen amtlichen Verteidiger. Die Verteidigung durch mehrere Anwälte ist unproblematisch, man muss einen Hauptverteidiger bestimmen. Da das Verfahren nach Ansicht der Vorinstanz nicht komplex war, d.h. Anwälte von versch. Spezialgebieten nicht erforderlich waren, hätte der Wahlverteidiger eher zurücktreten müssen.

E. 2.7.3./4. zu den Kosten: Begründet ist die Beschwerde nur darin, dass die Vorinstanz nicht auswies, welche Auslagen und welchen Zeitaufwand der erbetenen Verteidigung sie nun genau anerkannte. Diesbzgl. wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Anordnung Blutprobe, Mitteilungen zw. Behörden

BGE 6B_942/2016: Zuständigkeit Anordnung Blutprobe (Bestätigung Rechtsprechung, teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde bei einer Polizeikontrolle einem Drogenschnelltest unterzogen, welcher ein positives Ergebnis auf Cannabiskonsum ergab. Die Blutprobe ergab aber keinen THC-Wert, sondern nur Stoffwechsel-Abbauprodukte. Bzgl. Vorwurf des FuD gab es eine Einstellung, der Cannabiskonsum wurde mit Strafbefehl gesühnt. Gegen die Kostenfolge der Einstellungsverfügung wehrt sich der Beschwerdeführer bzgl. Entschädigungen, Beweismittelverwertbarkeit und die Mitteilung der Einstellung an das Strassenverkehrsamt und die Polizei.

E. 3.2. zum Schadenersatz wegen der vorläufigen Abnahme: „Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass die Regelung von Art. 54 Abs. 3 SVG zum Polizeirecht gehört, weshalb die Bestimmungen der Strafprozessordnung keine Anwendung finden. Allfällige Entschädigungsansprüche (einschliesslich Anwaltskosten), die im Zusammenhang mit der Abnahme des Führerausweises stehen, sind daher im kantonalen Verwaltungsverfahren geltend zu machen (Urteil 6B_178/2015 vom 26. August 2015 E. 2 und 3.3 mit Hinweisen).“

E. 5.2. zur Rechtmässigkeit der Blutprobe: „Bei der Blutentnahme handelt es sich um eine Zwangsmassnahme, welche selbst dann von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden muss, wenn der Betroffene in diese einwilligt. Für eine kantonale Bestimmung, welche die Zuständigkeit für die Anordnung einer Blutprobe unter bestimmten Bedingungen der Polizei überträgt, besteht kein Raum (Urteil 6B_1000/2016 vom 4. April 2017 E. 2.3.1 und 2.3.2 mit Hinweisen).“ „Die Blutprobe wurde ohne Zutun der Staatsanwaltschaft von der Polizei angeordnet (Akten Staatsanwaltschaft, act. A4). Es handelt sich somit um eine rechtswidrige Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet…“

E. 6.2. zur Übermittlung der Einstellungsverfügung u.a. an das StVA: „Nach Art. 73 Abs. 1 StPO sind die Mitglieder von Strafbehörden verpflichtet, Stillschweigen hinsichtlich Tatsachen zu bewahren, die ihnen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind. Art. 75 Abs. 4 StPO bestimmt, dass Bund und Kantone die Strafbehörden zu Mitteilungen an Behörden verpflichten oder berechtigen können.“ „Nach Art. 104 Abs. 1 SVG müssen die Polizei- und Strafbehörden der zuständigen Behörde alle Widerhandlungen melden, die eine im Strassenverkehrsgesetz vorgesehene Massnahme nach sich ziehen könnten.“ „Die Einstellungsverfügung wurde erlassen, weil der Beschwerdeführer 1 nicht im fahrunfähigen Zustand gefahren war. Somit liegt gerade keine Widerhandlung vor, welche dem Strassenverkehrsamt zu melden wäre. Auch ist nicht erkennbar, inwiefern die zur Diskussion stehende Einstellungsverfügung eine Administrativmassnahme nach sich ziehen könnte. Für die Mitteilung an das Strassenverkehrsamt besteht somit keine gesetzliche Grundlage.“

Kostenauflage bei Einstellung, Cannabis und Persönlichkeitsverletzung

BGE 6B_1273/2016: Kostenauflage trotz Einstellung wegen Cannabisbesitz (Bestätigung Rechtsprechung, Kategorie Nice-to-Know)

Der Beschwerdegegner wurde von der Polizei mit 0.5g Marihuana und 0.1 Gramm Haschisch erwischt. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein, auferlegt die Kosten aber dem Beschwerdegegner gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. Dieser erreicht im Rechtsmittelverfahren, dass er die Verfahrensgebühren nicht bezahlen muss. Das BGer weist die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen ab und spricht den Beschwerdegegner von sämtlichen Verfahrenskosten frei.

E. 1.4. zur Kostenauflage gemäss StPO bei Einstellung.

E. 1.5.1. zur Straflosigkeit: „Wer nur eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, ist nicht strafbar (Art. 19b Abs. 1 BetmG). 10 Gramm eines Betäubungsmittels des Wirkungstyps Cannabis gelten als geringfügige Menge (Art. 19b Abs. 2 BetmG).“

E. 1.6.2. zur teilweisen Auflage von Kosten: „Die Vorinstanz erwägt daher zu Recht, der Beschwerdegegner sei nicht strafbar, soweit er eine geringfügige Menge Marihuana und Haschisch für den eigenen Konsum vorbereitete. Dagegen verletzt sie Bundesrecht und Konventionsrecht, indem sie ihm vorwirft, der Besitz von Marihuana und Haschisch sei im Grundsatz verboten. Wie oben dargelegt, fällt der blosse Besitz von geringfügigen Drogenmengen zu Konsumzwecken unter Art. 19b BetmG und ist straflos. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann somit nicht gesagt werden, der Beschwerdegegner habe sich rechtswidrig und schuldhaft im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO verhalten, indem er geringfügige Drogenmengen zu Konsumzwecken besass.“

Wir können also unsere Duftsäcke beruhigt mit uns herumschleppen.

 

BGE 6B_1172/2016: Kostenauflage trotz Einstellung wegen zivilrechtlicher Persönlichkeitsverletzung (Bestätigung Rechtsprechung, aus der Kategorie Nice-to-Know)

Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen die Kostenauflage im Strafverfahren gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. In diesem wurden Ihr Ehrverletzungsdelikte vorgeworfen, das Strafverfahren wurde aber wegen Verjährung eingestellt. Wegen der Persönlichkeitsverletzung gegenüber der Strafantragsteller auferlegte die obere kantonale Instanz die Kosten des Strafverfahrens der Beschwerdeführerin.

E. 1.3 zur StPO: Sofern die beschuldigte Person das Strafverfahren schuldhaft bewirkt, können ihr trotz Einstellung oder Freispruch die Kosten auferlegt werden, wobei die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen darf. „Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat.“ „Zwischen dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten sowie den durch die Untersuchung entstandenen Kosten muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen.“

E. 1.6ff. zur Widerrechtlichkeit: Nach Ansicht der Beschwerdeführerin seien die Tatbestände von Art. 28 ZGB und Art. 173 StGB identisch seien, weshalb die Kostenauflage gegen die Unschuldsvermutung verstösst. Das BGer verneint dies: „Der strafrechtliche Ehrbegriff ist enger als der zivilrechtliche. Indem der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz unter anderem auch das gesellschaftliche und berufliche Ansehen einer Person, also ihre „soziale Geltung“ umfasst, schützt er die Ehre weitergehend als das Strafrecht, das nur die Geltung eines Menschen als sittliche Person gewährleistet, d.h. seinen Ruf, ein achtenswerter, ehrbarer Mensch zu sein.“ „Gemäss der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtsprechung verletzt die Vorinstanz die Unschuldsvermutung nicht, indem sie einen Sachverhalt feststellt, der sich unter Umständen auch unter den Tatbestand von Art. 173 Ziff. 1 StGB subsumieren liesse.“