Raserurteil nach alter Schule

BGE 6B_1050/2017: Neues Raserurteil, vorsätzliche Tötung durch Überholmanöver

Der Beschwerdeführer überholte bei dichtem Nebel zwei Fahrzeuge. Dabei kollidierte er mit einem korrekt entgegenkommenden Motorrad, dessen Lenker in der Folge verstarb. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung und die Freiheitsstrafe vom 5½ Jahre. Die Beschwerde wird abgewiesen.

E.1.3.2. zur Abgrenzung zw. Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit: Unterschiede bestehen hier lediglich auf der Willensseite des subjektiven Tatbestandes. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen werde. Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Eventualvorsatz in Bezug auf Verletzungs- und Todesfolgen ist bei Unfällen im Strassenverkehr nur mit Zurückhaltung und in krassen Fällen anzunehmen, in denen sich aus dem gesamten Geschehen ergibt, dass der Fahrzeuglenker sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden hat.

E. 1.4. Subsumption: Wer als Autofahrer im Nebel auf einer 80er Strecke bei ca. 50m Sichtweite zu einem Überholmanöver ansetzt, geht ein derart grosses Risiko eines Unfalles mit Todesfolge ein, dass er sich mit dem eingetretenen Erfolg, dem Tod einer Person, abfand und ihn in Kauf nahm.

Der Polizist als Raser

BGE 6B_1102/2016: Wenn Kojak den Ausweis verliert (Bestätigung der Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer ist Polizist und war im Januar 2014 mit einem Kollegen auf Patrouille in Genf. Als über Funk die Meldung reinkam, dass ein Autofahrer wie ein Verrücker auf dem Quai de Cologny unterwegs sei, schmiss der Beschwerdeführer die Polizeisirene an, trat das Gaspedal durch und fuhr mit bis zu 132km/h innerorts in Richtung des gemeldeten Autofahrers, um diesen abzufangnen. Dafür würde er von den kantonalen Instanzen als Raser verurteil, was vom BGer bestätigt wird.

E. 2. zum Rasertatbestand: Wird mit Raser-Geschwindigkeiten gefahren, so ist grds. von vorsätzlicher Begehung auszugehen, es sei denn es bestünden gegenteilige Indizien.

E. 3.-5. zur Sonderregelung für Polizisten: Gemäss Art. 100 Abs. 4 SVG ist ein Polizist nicht strafbar, wenn er beim Missachten von Verkehrsregeln alle Sorgfalt walten lässt, die nach den Umständen erforderlich ist. Der Beschwerdeführer bestreitet die Fahrt nicht. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die Voraussetzungen von SVG 100 IV erfüllt sind. Der Sinn der Regeln besteht darin, dass die Einsatzkräfte schnellstmöglich zum Einsatzziel gelangen können, sei es um Leben zu retten, sei es um Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden oder etwa um Flüchtige zu verfolgen. Die Dringlichkeit beurteilt sich anhand der bedrohten Rechtsgüter und inwiefern ein späteres Eintreffen der Einsatzkräfte eine Verletzung begünstigen würde. Der Beamte muss diese Begebenheiten ad hoc beurteilen und entsprechend handeln.

E. 6. zum Ergebnis: Die Vorinstanz erwägte, dass es nicht gerechtfertigt ist, die Gefährdung eines mutmasslichen Raserdelikts durch das Schaffen einer gleich grossen Gefahr verhindern zu wollen. Bereits in der Vergangenheit hat das BGer entschieden, dass noch so wertvolle Rechtsgüter nicht einen Geschwindigkeitsexzess rechtfertigen, der zu tödlichen Unfällen führen könnte (BGE 6B_7/2010 E. 2; BGE 6A.28/2003 E. 2.2.). Die Warnsignale der Einsatzfahrzeuge alleine reichen nicht aus, um Unfälle zu verhindern. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass die Strassen-, Sicht und Wetterverhältnisse ausgezeichnet waren. Nach Meinung der Richter besteht allerdings bei der gemessenen Geschwindigkeit eine dermassen hohe Gefahr für einen Unfall mit Toten, dass bei der Fahrt die von SVG 100 IV geforderte Sorgfalt nicht mehr an den Tag gelegt wurde. Die Bundesrichter bestätigen die Verurteilung des Polizisten zum Raser.

Auch in Uniform sollte man seine Computerspiel-Gewohnheiten also lieber zuhause lassen.

 

Kaskade nach Annullierung des FAP

BGE 1C_136/2017: Das ADMAS-Register vergisst nie (Grundsatzurteil)

Dem Beschwerdeführer wurde im März 2012 die Probezeit des FAP wegen einem FuD verlängert, im April 2013 wurde der FAP annulliert wegen einem Geschwindigkeitsdelikt. Im Februar 2015 wurde ihm der FAP erneut erteilt. Wegen einem FiaZ-Delikt wurde der FAP im März 2016 für 12 Monate entzogen, wobei das frühere FuD-Delikt nach der Kaskadenordnung berücksichtigt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer einen dreimonatigen Warnentzug. Die Gretchenfrage lautet also: Überdauert die Kaskade die Annullierung des FAP und den Neubeginn der Ausbildung zum Autofahrer?

E. 2.: Zunächst äussert sich das BGer zu den Modälitäten des Führerausweises auf Probe (SVG 15a) und jenen zum Warnentzug (SVG 16ff.).

E. 3.1.-4. Prämisse: Umfassend ist das BGer der Frage nachgegangen, ob nun die Kaskadenregelungen in SVG 16ff. den „clean break“ einer FAP-Annullierung überdauert oder nicht. Die Vorinstanzen haben das FuD-Delikt aus dem Jahr 2012 im Rahmen der Kaskade berücksichtigt und trotz zwischenzeitlicher Annullierung die Mindestentzugsdauer von Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG zur Anwendung gebracht. Der Beschwerdeführer und das ASTRA hingegen sind der Meinung, dass „Widerhandlungen, die ein Inhaber eines ersten Führerausweises auf Probe begangen hat, bei der Festlegung der Dauer eines erneuten Ausweisentzugs wegen Widerhandlungen nicht mehr zu berücksichtigen, welche die gleiche Person mit einem zweiten Führerausweis auf Probe begeht“ (E. 3.1.). Der FAP stelle ein selbständiges gesetzgeberisches Konstrukt dar. Wird er annulliert, beginnt der Autofahrer quasi „von Neuem“, was logischerweise ein Nachteil ist. Als Privilegierung hingegen seien aber die Widerhandlungen, die zur Annullierung geführt hätten, nicht mehr zu berücksichtigen (E. 3.4.).

E. 3.5. Auslegung durch das BGer: Der Wortlaut hilft nicht weiter (E. 3.5.1.). Der Zweck des relativ strengen Mechanismus des FAP ist letztlich ein sichernde Massnahme (E. 3.5.2.). Keinen Sinn mache es, die erste Widerhandlung während der Probezeit in der Kaskade zu berücksichtigen, nicht aber jene, die zur Annullierung geführt hat. Das BGer kritisiert diese Begründung des StVA für nicht nachvollziehbar (E. 3.5.5.). Den Regeln zum FAP in Art. 15a SVG kommt eine gewisse selbstständige Bedeutung zu (E. 3.5.6.). In Bezug auf die Entzugsdauer ist sie aber nicht abschliessend. „Sie geht in diesem Sinne zwar der Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG vor, nicht aber den übrigen Bestimmungen von Art. 16 ff. SVG. Das heisst, dass mit Ausnahme von Art. 16c Abs. 2 lit. a und a bis SVG einzig die verschiedenen Mindestentzugsdauern für den Ausweis auf Probe nicht vorbehaltlos gelten. Analoges mag für Art. 16a Abs. 2 sowie Art. 16b Abs. 2 SVG zutreffen, ohne dass hier darüber abschliessend zu befinden ist. Im Übrigen sind die Art. 16 ff. SVG jedoch auch auf die Ausweise auf Probe anwendbar. Das bedeutet insbesondere, dass die Kriterien für die Festsetzung der Entzugsdauer gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG mit Ausnahme der insofern nicht massgeblichen Mindestentzugsdauer uneingeschränkt Anwendung finden. Dazu zählen ohne Ausnahme auch die Widerhandlungen aus einer früheren Probezeit“ (E. 3.5.7.).

E. 4. Fazit: Zwar verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, wenn sie die Entzugsdauer mit der Kaskade von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG begründet. Da allerdings auch ganz allgemein ergänzend auf Art. 16 Abs. 3 SVG verwiesen wurde, hat das BGer letztlich die Entzugsdauer dennoch gutgeheissen.

Beinahe hätte das ASTRA hier das BGer in Verlegenheit gebracht, indem es sich der Meinung des Beschwerdeführers anschloss. Da allerdings auch die „Grundregel“ von Art. 16 Abs. 3 SVG zur Begründung herangezogen wurde, konnte das BGer diesen jurstischen Spagat elegant meistern.

Vortrittsregel darf nicht aufgeweicht werden

BGE 6B_1300/2016: Spieglein, Spieglein an der Strasse…zum Vortritt (teilw. Gutgeheissene Beschwerde; zur Publikation vorgesehen)

Auf einer Strassenkreuzung im Val de Travers gab es eine heftige Kollision. X. fuhr aus einer nicht vortrittsberechtigten Strasse auf die Kreuzung und kollidierte mit dem Fahrzeug von A. Weil Ersterer keinen Sicherheitsgurt trug, wurde er durch den Unfall dauerhaft querschnittsgelähmt. A. fuhr auf der vortrittsberechtigten Strasse mit 87km/h, obwohl die Tempolimite 60km/h betrug. Zudem schnitt er die Sicherheitslinie. X. verlangt vor BGer einen Freispruch und eventualiter, dass er nur wegen einfacher, nicht aber grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wird.

E. 1.2.1 zum Vortrittsrecht: Auf Kreuzungen gilt der Vortritt grds. auf der ganzen Verkehrsfläche unter dem Vorbehalt abweichender Signale oder Markierungen. Der Vortritt ist missachtet, wenn der Berechtigte seine Fahrweise brüsk ändern muss, z.B. durch plötzliches Bremsen oder Beschleunigen oder wenn er zu einem Ausweichmanöver gezwungen wird. Diese Definition soll aber das Vortrittsrecht nicht aufweichen, dass nach dem BGer als wichtige Verkehrsregel einer klaren und einfachen Anwendung bedarf.

E. 1.2.2 zur Vortrittsbelastung: Der Vortrittsbelastete kann seinen Pflichten nur nachkommen, wenn er die vortrittsberechtigte Strasse in beide Richtungen einsehen kann. Wenn dies nicht der Fall ist, muss sich der Vortrittsbelastete sehr langsam und vorsichtig in die vortrittsberechtigte Strasse hineintasten („très lentement et prudemment“), z.B. wenn die Sicht durch eine Mauer oder eine Hecke beeinträchtigt ist.

E. 1.2.3 zu Spiegeln: Spiegeln im Strassenverkehr dürfen lediglich als Notbehelfe („moyen de fortune“) betrachtet werden. Um eine grösseres Sichtfeld abzudecken, sind die Spiegel meistens konvex. Dies wiederum macht aber das Schätzen von Geschwindigkeit und Distanz von im Spiegel sichtbaren Fahrzeugen äusserst schwierig.

E. 1.2.4 zum Vertrauensgrundsatz: Auf diesen kann sich berufen, wer sich selber regelkonform verhält.

E. 1.3.: Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer das vortrittsberechtigte Fahrzeug im Spiegel sah. Er befand sich deshalb in einer unklaren Situation und hätte das vortrittsberechtige Auto vorbeifahren lassen müssen. Indem er in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche fuhr, hat er die Verkehrsregeln verletzt. Er kann sich auch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, denn er hatte via Spiegel Sicht auf das vortrittsberechtigte Fahrzeug, tastete sich aber dennoch in die Kantonsstrasse vor.

E. 2. zu SVG 90 II: Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut. Die objektiv vorausgesetzte ernsthafte Gefährdung liegt zwar vor, die subjektiven Voraussetzungen sind aber in diesem Einzelfall nicht erfüllt. Eine grobe Fahrlässigkeit kann dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden. Er war ortsunkundig und insb. der Spiegel trug massgeblich zur Falscheinschätzung der Distanz und Geschwindigkeit des Beschwerdeführers bei.

Wenn also an einer Strassen ein Spiegel steht, muss man diesen beachten und darf sich nicht in die vortrittsberechtigte Strasse hineintasten, ansonsten missachtet man den Vortritt. Auch wenn die Folgen einer Vortrittsmissachtung gravierend sein können, so ist ein konvexer Spiegel aber als Gegenindiz zu werten, aufgrund von welchem von einer groben Verkehrsregelverletzung abgesehen werden muss.

Beweisverwertungsverbot von Einvernahmen

BGE 6B_129/2017: Wenn das Gesagte nicht gilt (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von den kantonalen Instanzen wegen einer Vielzahl von Straftatbeständen wie einfacher Körperverletzung, Nötigung, qualifiziertem Raub und Widerhandlungen gegen das Waffengesetz verurteilt. Mit Beschwerde vor BGer verlangt er einen teilweisen Freispruch. Er rügt, dass er an diversen von der Staatsanwaltschaft an die Polizei delegierten Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen und Zeugen nicht teilnehmen konnte, womit seine Teilnahmerechte gemäss Art. 147 StPO verletzt wurden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Verwertungsverbot: „Eine Verletzung von Art. 147 Abs. 1 StPO führt gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO zu einem Beweisverwertungsverbot gegenüber der Partei, die an der Beweiserhebung nicht anwesend war (BGE 139 IV 25 E. 5.4.1 S. 34). Dies gilt für Einvernahmen im  gleichen Verfahren. Gemäss der Praxis des Bundesgerichtes (BGE 140 IV 172, bestätigt in BGE 141 IV 220 E. 4.5 S. 230) kommt den Beschuldigten hingegen in  getrennt geführten Verfahren im jeweils anderen Verfahren keine Parteistellung zu.“

E. 1.6.1: „Sämtliche Einvernahmen wurden somit im gleichen Verfahren ST.2011.4075 durchgeführt.“ „Werden Aussagen, welche die Befragten in Einvernahmen ohne Teilnahme des Beschwerdeführers machten, in späteren Konfrontationseinvernahmen den Befragten wörtlich vorgehalten, so werden diese Aussagen im Sinne von Art. 147 Abs. 4 StPO unzulässigerweise verwertet.“

E. 1.6.2. zu den Spielregeln für die Strafbehörden: „Art. 147 Abs. 4 StPO hält klar fest, dass Beweise, die unter Verletzung des Teilnahmerechts erhoben worden sind, nicht zulasten der Partei verwertet werden dürfen, die nicht anwesend war. Und ebenso deutlich sieht Art. 141 Abs. 1 StPO vor, dass Beweise in keinem Fall verwertbar sind, wenn die Strafprozessordnung einen Beweis als unverwertbar bezeichnet. Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise sind denn auch nach Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Strafakten zu entfernen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss zu halten und danach zu vernichten. Sind Beweise in keinem Fall verwertbar und aus den Strafakten zu entfernen, hat dies auch Konsequenzen für die weitere Untersuchungsführung. Die aus unverwertbaren Einvernahmen erlangten Erkenntnisse dürfen weder für die Vorbereitung noch für die Durchführung erneuter Beweiserhebungen verwendet werden.“

Nun muss die Vorinstanz sich damit herumschlagen, ob die rechtmässigen Beweise für eine Verurteilung ausreichen.

Gefährdung des Lebens, Halterhaftung im OBG

BGE 6B_303/2017: „Mich kontrolliert keiner!“ (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug eine Verkehrskontrolle durchbrochen, wofür er u.a. von den kantonalen Instanzen wegen Gefährdung des Lebens verurteilt wurde. Seine Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

E. 4. zur Gefährdung des Lebens: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Vorausgesetzt ist dabei eine Gefahr für das Leben; eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht.“ Durch das Verhalten des Täters muss für dritte Lebensgefahr bestehen, wobei subjektiv direkter Vorsatz gefordert ist. Damit für eine Person Lebensgefahr durch ein Fahrzeug besteht, muss dieses mit einer gewissen Geschwindigkeit fahren. Sofern „nur“ die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung besteht, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Weil die kantonalen Instanzen es versäumten, die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln, kann nicht gesagt werden, ob für die Polizisten tatsächlich Lebensgefahr bestand. Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 6. Zur fahrlässigen Körperverletzung: Diese bedingt stets ein ordentlich gestellter Strafantrag. Aus der Konstituierung als Privatklägerschaft kann kein Strafantrag abgeleitet werden.

E. 7. Zur groben Verkehrsregelregelverletzung: Die Weisungen der Polizei gemäss SVG 27 sind stets wichtige Verkehrsregeln und wenn man diese missachtet bzw. wenn man eine Verkehrskontrolle durchbricht, verhält man sich rücksichtslos.

Die Gefährdung des Lebens ist also von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als Beschuldigter ist es empfehlenswert, keine Angaben zur Geschwindigkeit zu machen, die Strafbehörden wiederum sollten diese unbedingt ermitteln.

 

BGE 6B_432/2017: Bussen bezahlen für andere… (Bestätigung Rechtsprechung)

Die Beschwerdeführerin hat als formelle Halterin eines Fahrzeuges mehrere Ordnungsbussen erhalten, obwohl sie mit diesem nicht mehr fährt. Das BGer verdonnert sie dazu, diese zu bezahlen.

E. 2.2: In der Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447 ff.) wird klargestellt, dass es nicht – wie im Haftpflichtrecht – auf die materielle Eigenschaft des Halters ankommt, sondern auf die formelle der im Fahrzeugausweis eingetragenen Person (BBl 2010 8517; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.4). Bei den Angaben des Halters nach Art. 6 Abs. 4 OBG darf es sich nicht um eine wenig plausible Information handeln. Name und Adresse des Fahrzeugführers müssen vollständig sein. Es müssen genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers gemacht werden, so dass dieser individualisierbar ist (BBl 2010 8487; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.5).

Es zählt also, was im Fahrzeugausweis steht und nicht, wer konkret mit dem Auto unterwegs ist.

Kosten für Blutprobe

BGE 6B_563/2017: Kosten für die Blutprobe (gutgh. Beschwerde)

Beim Beschwerdeführer wurde anlässlich einer Verkehrskontrolle ein Drugwipe durchgeführt, der positiv auf Cannabis ausfiel. In der anschliessend (rechtswidrig) durchgeführten Blutprobe konnte kein THC, sondern nur das Abbauprodukt THC-COOH nachgewiesen werden. Das Verfahren wegen FuD wurde eingestellt, die Kosten des Verfahrens aber dem Beschwerdeführer auferlegt, wogegen er sich erfolgreich wehrt.

E. 1.2. zur Kostenauflage: Ein widerrechtliches Verhalten alleine reicht für die Auferlegung der Verfahrenskosten nicht aus. Das Verhalten der beschuldigten Person muss adäquat gewesen sein für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens. Die Überbindung der Kosten bei Freispruch oder Einstellung hat Ausnahmecharakter. Es ist ferner verfassungswidrig, einem Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden.

E. 1.3./4. Zu den Ansichten der Parteien: Nach der Vorinstanz habe „der Beschwerdeführer durch sein widerrechtliches Verhalten dazu unmittelbar Anlass gegeben und das Verfahren adäquat-kausal verursacht. Daran vermöge eine allfällige Unverwertbarkeit der aus der Blutprobe gewonnenen Erkenntnisse nichts zu ändern, da er zugegeben habe, eineinhalb Tage vor der Verkehrskontrolle einen Joint Cannabis geraucht zu haben.“ Nach Ansicht der Beschwerdeführers habe er „32 Stunden nach dem Konsum, als die Wirkung längst verflogen gewesen sei, nicht damit rechnen müssen, dass ein Strafverfahren wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand eingeleitet werden würde.“

E. 1.6./7. Zur Konklusion: Einerseits wurde die Blutprobe falsch angeordnet und ist nicht verwertbar, andererseits muss der zugegebene Cannabiskonsum gesondert betrachtet werden. Die Kosten dürfen nicht der beschuldigten Person auferlegt werden.

Ob diese Rechtsprechung auch dann anwendbar ist, wenn die Blutprobe korrekt angeordnet worden wäre, ist nicht abschliessend beurteilbar. Geht man davon aus, dass nach mehr als 24h Konsum nicht mehr mit einem FuD-Vorwurf gerechnet werden muss, dürfte diese Rechtsprechung konsequenterweise auch bei korrekter Blutprobe anwendbar sein.

Der Raser beschäftigt weiter

BGE 6B_24/2017: Rasen, Rasen, Rasen (Präzisierung Rechtsprechung)

Nachdem sich das BGer in BGE 142 IV 137 zu den subjektiven Voraussetzungen des Rasertatbestandes geäussert hat, möchte der Beschwerdeführer wissen, ob bei einer GÜ nach SVG 90 IV das objektive Element von SVG 90 III des grossen Unfallfallrisikos mit Schwerverletzten oder Todesopfern immer erfüllt, oder separat zu prüfen ist. Er hat in der 50er Zone die Tempolimite mit einem Motorrad um 58km/h überschritten.

E. 1.2: Das Bundesgericht hat bereits festgestellt, dass bei einer GÜ nach SVG 90 IV die objektiven Voraussetzungen von SVG 90 III und prinzipiell auch die subjektiven Voraussetzungen erfüllt sind. Die Frage, ob bei einer GÜ nach SVG 90 IV automatisch ein grosses Unfallrisiko mit Todesfolge angenommen werden könne, wurde bis jetzt vom BGer noch nicht vertieft beantwortet.

E. 1.3. zum allg. Schematismus: Das BGer verweist auf die gefestigte Rechtsprechung, nach welcher bei Tempoexzessen grds. ein Schematismus zur Anwendung gelangt, es sei denn, es lägen ausserordentliche Umstände vor. Eine abstrakte Gefährdung liegt bei Tempoexzessen grds. vor.

E. 1.4-6 zur Lehre und Rechtsprechung: Das BGer verweist einerseits auf die Kritik in der Lehre zum Schematismus, andererseits auf die Rechtsprechung, dass bei Tempoexzessen, welche SVG 90 IV nicht erfüllen, ebenfalls eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung vorliegen kann (z.B. BGE 6B_148/2016) und kommt zum Schluss, dass bei GÜ nach SVG 90 IV prinzipiell die zweite obj. Voraussetzung von SVG 90 III, das Unfallrisiko, erfüllt ist. In ausserordentlichen Fällen, z.B. wenn die Geschwindigkeit nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit limitiert ist, kann ein Tempoexzess im Rahmen von SVG 90 IV den objektiven Tatbestand von SVG 90 III nicht erfüllen. Daraus folgt, dass SVG 90 IV eine umstossbare gesetzliche Vermutung enthält.

Im vorliegenden Fall lagen keine ausserordentlichen Umstände vor. Der Motorradfahrer ist ein Raser.

Lichthupe rechtfertigt eine Vollbremsung nicht

BGE 6B_359/2017: Lichthupe rechtfertigt eine Vollbremsung nicht

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung und Nötigung. Nach einem Überholmanöver auf der Autobahn wurde der Beschwerdeführer vom überholten und nunmehr auf der Überholspur nachfahrenden Fahrzeug mehrmals per Lichthupe dafür „gerügt“, ein rechtswidriges Überholmanöver durchgeführt zu haben. Durch die Lichthupe und das Fernlicht sah sich der Beschwerdeführer in einem Notstand, worauf er abrupt bis fast zu Stillstand bremste und es zu einer kleinen Auffahrkollision kam. Das BGer verneint einen Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund und weist die Beschwerde ab.

E. 2.2 zu den Voraussetzungen von SVG 90 II: „Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen).“

E. 2.3: „Gemäss Art. 12 Abs. 2 VRV sind brüskes Bremsen und Halten nur gestattet, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.“

E. 2.4 zur Nötigung

E. 3.1: „Dass man durch das Licht respektive durch Fernlicht eines hinter einem fahrenden Personenwagens beim Blick in den (Rück-) Spiegel geblendet wird, ist eine alltägliche, wenn auch unangenehme, Verkehrssituation, die fast jeder Automobilist kennt. Eine normale und verkehrsadäquate Reaktion wäre gewesen, den Winkel des Innenspiegels mit dem extra hierfür angebrachten Hebel zu verstellen (oder nicht mehr in den Rückspiegel zu schauen).“ „Ein bewusstes und abruptes Abbremsen auf der Überholspur bei dicht folgendem Verkehr ist keine nachvollziehbare oder erklärbare Reaktion auf Fernlicht „von hinten.““

E. 3.2. richterlicher Fingerzeig: „Es steht den einzelnen Verkehrsteilnehmern nicht zu, das (Fahr-) Verhalten anderer Automobilisten zu beurteilen und – aus welchen Motiven auch immer – zu sanktionieren oder zu disziplinieren. Das Bremsmanöver auf der Überholspur war höchst gefährlich und begründet erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers. Dass Y.________ sich ebenfalls verkehrswidrig und anmassend verhalten hat, ändert hieran nichts. Völlig unverständlich ist zudem, dass die beiden Unfallverursacher eine Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet und behindert haben, indem sie trotz des glimpflichen Auffahrunfalls bis zum Eintreffen der Polizei die Überholspur blockierten, anstatt die Autobahn möglichst schnell und gefahrlos frei zu geben.“

Das BGer rügt den Bremsenden zu Recht und fügt an, dass bei einer Schikanebremsung „erhebliche Zweifel an der Fahreigung“ eines Lenkers bestehen, präjudiziert damit in gewisser Weise das Administrativmassnahmenverfahren, denn bei erheblichen Zweifeln ist durchaus ein vorsorglicher Entzug mit Fahreignungsabklärung angesagt.

Parteientschädigung bei Übertretungen

BGE 6B_322/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen (gutgeheissene Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wurde von den Ermittlungsbehörden das Führen eines nicht vorschriftsgemässen Traktor vorgeworfen. Von diesem Vorwurf sprach ihn der Richter erster Instanz frei, sprach ihm aber keine Parteientschädigung zu. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer nun erfolgreich vor BGer.

E. 2.4.1. zur Entschädigung: „Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat.“

Der Entscheid zitiert ausdrücklich den bereits erwirkten BGE 6B_193/2017. Gegen die Ansicht der Bundesrichter ist nichts einzuwenden. Nur zu oft werden im Rahmen des „in dubio pro durore“-Prinzips Bürger mit Strafbefehlen konfrontiert. Wehrt man sich erfolgreich dagegen, werden einem die (Anwalts)Kosten, welche letztlich der Staat verursacht, dafür nicht ersetzt. Diese Praxis müssen die Strafbehörden dringend überdenken.