Ohne Beweise kein Raser / Nachvollziehbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung

BGE 6B_774/2017: Schematismus bei GÜ (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen GÜ innerorts um 31km/h erhielt der Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen grober Verkehrsregelverletung. Vor erster Instanz wurde er aber wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt, weil er an einen krebskranken Freund gedacht habe und insofern den subjektiven Tatbestand von SVG 90 II nicht erfüllt habe. Das Obergericht verurteilt wiederum wegen grober, was vom BGer geschützt wird.

E. 5.1. zum Schematismus: „Nach der Rechtsprechung ist ungeachtet der konkreten Umstände der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG objektiv erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird.“

E. 5.2. zu den subj. Voraussetzungen: “ Die Annahme von Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ist restriktiv zu handhaben, weshalb nicht unbesehen von einer objektiv groben auf eine subjektiv grobe Verkehrsregelverletzung geschlossen werden darf. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der Schwere des Erfolgs objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht zu betrachten ist, wiegt auch subjektiv schwer.“ „Das Bundesgericht verneinte ein rücksichtsloses Verhalten in einem Fall, in dem ein Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h auf einer Autobahn übersehen hatte (Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 E. 3.2). Es verneinte Rücksichtslosigkeit auch im Fall der Missachtung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_622/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 3.5).“

E. 6.: Das BGer bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II, denn auch wenn der Beschwerdeführer an seinen krebskranken Freund gedacht hat, so durfte ihm als erfahrenem Autofahrer nicht entgehen, dass er auf einer Strassen mit Innerortscharakter unterwegs war.

 

BGE 6B_101/2017: Kein Raser mangels Beweisen (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde wegen massiver Geschwindigkeitsüberschreitung von 130km/h von den kantonalen Instanzen für eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung verurteilt worden. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde.

E. 1. Zur Beweiswürdigung: Es geht rein um die Würdigung der Beweiskraft eines Videos. Nach den Vorinstanzen war auf dem Video eines Geschwindigkeitsmessgeräts ein Polizeiauto erkennbar und insofern den Aussagen eines Polizisten Glauben zu schenken. Nach der Meinung des Bundesgerichts hingegen sei auf dem Video kein Blaulicht zu erkennen. Der Sachverhalt wurde willkürlich festgestellt

Der Entscheid bringt nichts Neues, ist einfach der Vollständigkeit halber dabei.

Zu den Kosten

BGE 6B_1382/2016: Kostenauflage bei Freispruch (Bestätigung Rechtsprechung)

Im Rahmen eines Gazprom-Deals tätigte der Beschwerdeführer mehrere Zahlungen nach Russland, wofür er wegen Bestechung fremder Amtsträger angeklagt wurde. Das Bundesstrafgericht sprach ihn zwar frei, auferlegte ihm aber die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 63’000.00. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer und verlangt u.a. eine Entschädigung von CHF 347’922.30. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu StPO 426: Wenn die beschuldigte Person rechtswidrig oder schuldhaft ein Strafverfahren einleitet oder verzögert, können ihr trotz Freispruch die Kosten auferlegt werden. Dabei darf aber die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen, d.h. die beschuldigte Person muss in zivilrechtlich vorwerfbarer Weises – analog gemäss OR 41 – das Verfahren verzögert haben. Das Bundesgericht prüft dies frei und greift nur bei Willkür ein.

Die Vorinstanz erachtete die Bezahlung von Geldern an Gazprom-Mitarbeiter durch eine vom Beschwerdeführer beherrschten Gesellschaft als Vertragswidrigkeit, da in sog. Consultancy Agreements die Verpflichtung eingegangen wurde, eben keine Zahlungen direkt an Mitarbeiter von Gazprom zu leisten. Darin liege sodann das zivilrechtliche Verschulden. Dieser Ansicht folgt das BGer und weist die Beschwerde ab

 

BGE 6B_1389/2016: Angemessene Parteientschädigung bei Freispruch (teilw. gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von der Bundesanwaltschaft wegen Bestechung fremder Amtsträger und Geldwäscherei angeklagt. Das Verfahren wegen Geldwäscherei wurde eingestellt, bzgl. Bestechung erfolgte ein Freispruch. Dem Beschwerdeführer wurde eine Entschädigung von CHF 123k und Genugtuung von 2k zugesprochen. Dagegen wehrt er sich und verlangt eine Entschädigung von CHF 459’640.95 und Genugtuung von CHF 30k. Es geht um die Frage, was ein „angemessener Aufwand“ des Verteidigers im Strafverfahren ist.

E. 2.2.1 zu StPO 429: Grds. hat man bei bei Einstellung oder Freispruch Entschädigungsanspruch für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte. „Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (BGE 142 IV 163 E. 3.1.2; 138 IV 197 E. 2.3.4 mit Hinweis). Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 18.3.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 143 IV 214).“

E. 2.4.2./3. zu den Verteidigerkosten: Weil sich der Wahlverteidiger nicht in der Verfahrenssprache deutsch ausrücken konnte, bestellte das Bundesstrafgericht einen amtlichen Verteidiger. Die Verteidigung durch mehrere Anwälte ist unproblematisch, man muss einen Hauptverteidiger bestimmen. Da das Verfahren nach Ansicht der Vorinstanz nicht komplex war, d.h. Anwälte von versch. Spezialgebieten nicht erforderlich waren, hätte der Wahlverteidiger eher zurücktreten müssen.

E. 2.7.3./4. zu den Kosten: Begründet ist die Beschwerde nur darin, dass die Vorinstanz nicht auswies, welche Auslagen und welchen Zeitaufwand der erbetenen Verteidigung sie nun genau anerkannte. Diesbzgl. wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Das Pferd als Haustier

BGE 4A_241/2016: Das Pferd als Haustier (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdegegner ist auf der Autobahn auf einen Pferdeanhänger aufgefahren, wobei sich das Pferd verletzte. Dieses wohnt in einem Stall ca. 6km vom Tierhalter entfernt. Es stellt sich die Frage, ob das Tier noch „im häuslichen Bereich“ lebt, denn in diesem Fall können auch Heilungskosten geltend gemacht werden, die den Wert des Tieres übersteigen (i.c. CHF 74’393.90). Stirbt es, kann ein Affektionswert durchgesetzt werden. Die kantonalen Instanzen wiesen Klage und Berufung ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

E. 2. zur Lehre: Es gibt zwei Lehrmeinungen. Nach der einen versteht man unter Tieren im häuslichen Bereich „heimhaltungstaugliche Haustiere […], welche nach ihrer Wesensart und Beschaffenheit zu einem häuslichen oder sonst engen räumlichen Zusammenleben mit dem Menschen geeignet sind“. Nach der anderen Auffassung muss die emotionale Beziehung zum Tier beachtet werden. Der entscheidende Gesichtspunkt sei „eine gewisse Häufigkeit der Kontakte, so dass es mehr auf die zeitliche Intensität als die örtliche Nähe ankomme.“

E. 3. Auslegung: Das BGer legt den Begriff mit pragmatischem Methodenpluralismus aus und kommt zum Schluss, dass es weniger auf den geographischen Standort eines Tieres ankommt, sondern eher auf die emotionale Bindung zu diesem. Sofern also ein Pferd, welches in einiger Distanz zum Wohnort des Halters lebt, aber von diesem und dessen Familie selber gepflegt wird, sowie es mit einem „klassischen Haustier“ der Fall wäre, ist beim Pferd von einem Tief „im häuslichen Bereich“ auszugehen.

Der Entscheid ist sicher richtig. Nicht jeder „Pferdeflüsterer“ kann sich ein Stall in den Garten stellen und die Beziehung zu einem Pferd als Freizeittier ist sicher mit derjenigen zu einer Hauskatze oder einem Hund vergleichbar.

Rechtfertigen Verdauungsprobleme einen Bleifuss?

BGE 1C_341/2017: Durchfall rechtfertigt GÜ nicht (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer überschritt ausserorts die Höchstgeschwindigkeit von 80km/h um 44km/h, wofür er wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Er wehrt sich nun gegen den vom Strassenverkehrsamt verfügten (Kaskaden)Sicherungsentzug bzw. der Annahme einer schweren Widerhandlung. Er habe nur beschleunigt, weil er unter schwerem Durchfall und Übelkeit litt und sich im Schatten eines Transformatorenhäuschens erleichtern wollte. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.2. zur gefestigten Rechtsprechung: „Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ausserortsbereich um 30 km/h oder mehr stellt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich eine schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften dar, und zwar auch bei ansonsten günstigen objektiven und subjektiven Umständen des konkreten Einzelfalles (BGE 132 II 234 E. 3.1 S. 237 f.; Urteile 1C_581/2016 vom 9. März 2017 E. 3; 1C_280/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 3.2; 1C_384/2011 vom 7. Februar 2012 E. 2.4.2).“

E. 2.3: Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ihm in einer Notsituation die Wahl einer schlechteren Reaktionsweise nicht angelastet werden darf (BGE 115 IV 248 E. 5.). Das BGer entgegnet, dass nicht jedes unzweckmässige Handeln entschuldbar ist. „Das Bundesgericht verlangt, dass die ergriffene Massnahme und diejenige, welche ex post als die zweckmässigere erscheint, annähernd gleichwertig sein müssen und dass der Fahrzeugführer deren unterschiedliche Wirksamkeit nur deshalb nicht erkannte, weil die plötzlich eingetretene Situation eine augenblickliche Entscheidung erforderte. Wo eine Vorkehr im Vergleich zu andern sich aber derart aufdrängt, dass sie auch im Falle der Notwendigkeit sehr rascher Reaktion als die näherliegende und angemessenere erkannt werden kann, ist es als Fehler anzurechnen, wenn trotzdem eine weniger geeignete getroffen wird (BGE 83 IV 84 f.; Urteile 1C_656/2015 vom 8. April 2016 E. 2.3; 1C_361/2014 vom 26. Januar 2015 E. 3.1; je mit Hinweisen).“

Im Ergebnis hätte der Beschwerdeführer sofort sein Fahrzeug anhalten müssen. Nicht nur schuf er durch die überhöhte Geschwindigkeit und das Überholmanöver eine grosse Gefahr für die Verkehrssicherheit. Da er vorbrachte schwere Magenkrämpfe, starke Übelkeit, Brechreiz und Durchfall gehabt zu haben, war zumindest fraglich, ob er in diesem Moment überhaupt fahrfähig war.

Rasen wie im Game

BGE 6B_698/2017: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer vollzog ganz in GTA-Manier mehrere haarsträubende Überholmanöver auf der Autobahn, bei welchen er u.a. einem vorfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von zwei Kilometern bis auf eine Handbreite, Stossstange an Stossstange folgte. Als ihm die Geduld ausging, fuhr er leicht auf das Auto auf, um die Lenkern zum Wechseln auf den Normalstreifen zu bewegen. Ebenfalls überholt er ein anderes Auto in Rennfahrermanier rechts. Der Beschwerdeführer wehrt sich im Wesentlichen gegen die Schuldsprüche wegen Gefährdung des Lebens und qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 129 StGB: „In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Sie liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt.“ Subjektiv verlangt der Tatbestand direkter Vorsatz.

E. 4.3. Subsumtion: „Der Tatbestand von Art. 129 StGB ist bereits beim eingeräumten ungenügendem Abstand „während lediglich weniger Sekunden“ erfüllt“. Durch das Touchieren des vorfahrenden Fahrzeuges, musste er mit einem folgenschweren Unfall rechnen, vertraute aber darauf, dass dieser nicht eintritt.

E. 5.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG: „Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die Gefahr muss mithin unmittelbar sein.“

E. 5.3. zum Rechtsüberholen: Rechtsüberholen ist im Normalfall eine grobe Verkehrsregelverletzung. „Das zu beurteilende Rechtsüberholen war hochgradig riskant und gefährlich und ist damit als waghalsig einzustufen und nicht vergleichbar mit einem „einfachen“ Rechtsvorbeifahren (erstinstanzliches Urteil S. 29). Der Schuldspruch im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist nicht zu beanstanden.“

E. 5.4./5. Zum Abstand: Der Beschwerdeführer verhielt sich wie im Actionfilm, weshalb auch das Abstandsvergehen unter Art. 90 Abs. 3 SVG zu subsumieren ist.

E. 6ff. Zur Konkurrenz zwischen Art. 129 StGB und Art. 90 Abs. 3 SVG: StGB 129 schützt das Rechtsgut „Leben“, SVG 90 III jenes der „Verkehrssicherheit“, mittelbar allerdings auch das Leben. SVG 90 III ist zwar lex specialis zu StGB 129 und ginge diesem vor, ebenso lässt sich argumentieren, dass das höchstrangige Rechtsgut Leben der Verkehrssicherheit vorgehe. Als abstraktes Gefährdungsdelikt setzt der mittelbare Lebensschutz von SVG 90 III früher ein, als jener des konkreten Gefährdungsdeliktes von StGB 129. Allerdings erfasst StGB 129 wiederum verschuldensmässig weniger schwere und schwerere Straftaten als SVG 90 III in Bezug auf das Strafmass. Ob nun der eine den anderen Tatbestand konsumiere, könne nicht abschliessend beurteilt werden. Da weder Spezialität noch Konsumtion in Frage kommt, liegt ein Fall von „Alternativität“ vor (gemäss Stratenwerth). Das BGer urteilt aber nicht abschliessend, da es nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstossen will.

Wer also seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben will, sollte dies zu Hause mit dem Spielemedium seiner Wahl machen und nicht auf öffentlichen Strassen.

Nur noch Raser auf Schweizer Strassen?

BGE 6B_1399/2016: Nicht jeder Crasher ist ein Raser (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer fuhr am 19. November 2013 gegen 7:15 Uhr auf der A8 in Richtung Interlaken. Um einen vor ihm auf der einspurigen und richtungsgetrennten Autostrasse fahrenden Personenwagen zu überholen, fuhr er auf den Rastplatz Därligen. Bei der Ausfahrt des Rastplatzes verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und schleuderte quer über die Autostrasse. Dabei durchbrach er die Mittelleitplanke und kam auf der Gegenfahrbahn zum Stillstand, wo er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Die obere kantonale Instanz (Obergericht BE) verurteilt den Beschwerdeführer wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer heisst die Beschwerde dagegen gut.

E. 1.3. zum Rasertatbestand: „Nach Art. 90 Abs. 3 SVG wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.“ „Die Vorinstanz erwägt, das Verhalten des Beschwerdeführers enthalte Elemente aller drei Regelbeispiele von Art. 90 Abs. 3 SVG.“

E. 1.3.1./2. zur Geschwindigkeit: Grds. sind die Limiten in Art. 90 Abs. 4 SVG zur Beurteilung heranzuziehen. Eine krasse Geschwindigkeitsüberschreitung kann allerdings auch vorliegen, „wenn eine knapp unterhalb der Grenzwerte liegende Geschwindigkeitsüberschreitung im Vergleich mit anderen Missachtungen der Höchstgeschwindigkeit als besonders gefährlich erscheint, etwa aufgrund besonders schwieriger Strassen- und Verkehrsverhältnisse (vgl. BGE 6B_148/2016). Die Höchstgeschwindigkeit vor Ort war sowohl auf der Autostrasse, als auch auf dem Rastplatz 80kmk/h, die der Beschwerdeführer leicht überschritt. Den Grenzwert von 140km/h erreicht er bei weitem nicht. Er erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht.

E. 1.3.3. zum waghalsigen Überholen: „Damit ein Überholen waghalsig im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist, muss es nicht nur gewagt, sondern unsinnig sein (BUSSY/RUSCONI/JEANNERET/KUHN/MIZEL/MÜLLER, Code suisse de la circulation routière commenté, 4. Aufl. 2015, N. 5.2 zu Art. 90 SVG). Bei Überholmanövern wird typischerweise und in erster Linie der Verkehr auf der Gegenfahrbahn gefährdet. Bei der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Fahrt über den Rastplatz fehlt es – unabhängig davon, ob er das vor ihm fahrende Auto überholen wollte – an einer derartigen Gefährdung des Gegenverkehrs. Demnach liegt auch kein waghalsiges Überholen im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG vor.“

E. 1.3.4. zum Rennen: „Eine Teilnahme an einem unbewilligten Rennen setzt voraus, dass mindestens zwei Verkehrsteilnehmer ausdrücklich oder konkludent einen Geschwindigkeitswettstreit vereinbaren (GERHARD FIOLKA, Grobe oder „krasse“ Verkehrsregelverletzung? Zur Auslegung und Abgrenzung von Art. 90 Abs. 3-4 SVG, Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2013, S. 346 ff., S. 366; WOHLERS/COHEN, a.a.O., S. 12). Eine derartige Abrede zwischen dem Beschwerdeführer und dem Lenker des überholten Fahrzeugs liegt nicht vor. Von der Teilnahme an einem Rennen kann daher keine Rede sein.“

E. 1.3.6: „Ein blindes Befahren des Rastplatzes mit relativ hoher Geschwindigkeit wäre prinzipiell geeignet, den Tatbestand der in Art. 90 Abs. 3 SVG enthaltenen Generalklausel zu erfüllen.“ Dies war aber vorliegend nicht erstellt.

Dieses Urteil widerspiegelt die generelle Tendenz der Strafbehörden, Autofahrer härter anzupacken. Die Verschärfung des Geschwindigkeitsschematismus auf Autobahnen ist ein weiteres Beispiel. Nur das Bundesgericht steht (noch) für eine zurückhaltende Anwendung des Rasertatbestandes (vgl. auch BGE 6B_876/2016).

 

Die Dashcam-Odysee geht weiter…

BGE 6B_758/2017: Die Dashcam-Odyssee geht weiter

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund von Indizienbeweisen wegen zu geringem Abstand und dem Überfahren einer doppelten Sicherheitslinie auf kantonaler Ebene Verurteilt. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des Sachverhaltes. Zu seinen Ungunsten wirken sich hauptsächlich die Aussage des vorfahrenden Lenkers aus, dass er das Fahrzeug zu ca. 90% selber lenkt und Dashcam-Aufnahmen, die im erstinstanzlichen Verfahren noch berücksichtigt wurden, vor der Rechtsmittelinstanz jedoch nicht mehr. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu den Ausführungen der Vorinstanz: Zunächst wird festgehalten, dass die Aussagen des anderen Fahrers glaubhaft seien und eine Verwechslung ausgeschlossen werden könne. Auch wenn theoretisch andere Personen mit dem Auto des Beschwerdeführers fahren können, so fahre er nach eigenen Angaben doch zu 90-95% das Auto selbst. Auch ein schlüssiges Alibi konnte der Beschwerdeführer nicht liefern. „Zu den Dashcamaufzeichnungen hält die Vorinstanz fest, es erscheine zumindest problematisch, das Geschehen auf der Strasse ständig zu filmen. Der Anzeigeerstatter sei aber berechtigt gewesen, die Dashcam in Betrieb zu nehmen bzw. laufen zu lassen, nachdem ihn der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug bedrängt habe. Mit anderen Worten habe die Aufzeichnung des Überfahrens der doppelten Sicherheitslinie durch den ersten deutlich gewichtigeren Verstoss einen Anlassbezug erhalten, sodass keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung und damit auch kein Beweisverwertungsverbot für den zweiten Verstoss vorliege (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.).“

E. 1.3. zum Willkürverbot

E. 1.4.1f. zur vorinstanzlichen Beweiswürdigung: “ Ausschlaggebend war, dass er der Hauptlenker des Tatfahrzeugs war, die Täterbeschreibung des Anzeigeerstatters auf ihn zutrifft, Ersterer ihn auch als Täter identifizierte und er nichts vorbrachte, was für seine Abwesenheit am Tatort zur Tatzeit sprechen könnte.“ „Kommt die Vorinstanz anhand von Indizien zum Schluss, der Beschwerdeführer sei der Lenker des Fahrzeugs gewesen, ist auch dessen Vorwurf unbegründet, der Grundsatz „in dubio pro reo“ sei verletzt.“

E. 1.4.3 zur Dashcam: „Die Dashcamaufzeichnungen des Anzeigeerstatters erachtet die Vorinstanz lediglich für den Zeitraum nach der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung von Art. 34 Abs. 4 SVG bzw. für den Schuldspruch der im Nachhinein erfolgten einfachen Verletzung der Verkehrsregeln durch Überfahren der doppelten Sicherheitslinie als verwertbar. Die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnungen für den Zeitraum vor dem Bedrängen durch den Beschwerdeführer lässt sie entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers offen und stellt im Sinne seiner vor den Vorinstanzen noch vertretenen Auffassung nicht darauf ab (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.). Konsequenterweise würdigt die Vorinstanz die Aufzeichnungen für diesen Zeitraum nicht. Darin liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Vorinstanz begründet, weshalb sie auf die Aufzeichnungen insoweit nicht abstellt. Die Frage der Verwertbarkeit der Dashcamaufzeichnungen kann auch vor Bundesgericht offenbleiben. Entscheidend wäre von vornherein nicht die Reaktion bzw. Einschätzung der Situation durch den Anzeigeerstatter, sondern die durch den ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren geschaffene erhöhte abstrakte Gefahr.

Zwar lässt das Bundesgericht die Frage der Dashcamaufnahmen als Beweis offen, es scheint aber in die Richtung zu gehen, dass wenn die Aufnahme ab einem Anfangsverdacht beginnt, diese Verwertbar sein soll, zumindest nach der Meinung der Vorinstanz. Die Frage nach der Verhältnismässigkeit wird nicht beantwortet. Auch wenn dies im Rahmen der Beweisverwertung sinnvoll sein mag, besteht hier immer noch ein grosses Missbrauchspotential. Wer garantiert, dass die Aufnahme einer dauernd laufenden Dashcam nicht nachträglich am Computer zurecht geschnitten wird mit der nachträglichen Behauptung, dass mit der Videoaufnahme erst mit dem Anfangsverdacht begonnen wurde…

Klassisches Rechtsüberholen bleibt SVG 90 II

BGE 6B_558/2017: Klassisches Rechtsüberholen ist SVG 90 II (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer überholt auf der Autobahn einen Autofahrer rechts, indem er ausschwenkt, rechts vorbeifährt und wiedereinbiegt auf die Überholspur. Das BGer bestätigt die Verurteilung wegen SVG 90 II.

E. 1.2. zu den obj. und sub. Voraussetzungen von SVG 90 II u.a.: „Grundsätzlich ist von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (Urteil 6B_1004/2016 vom 14. März 2017 E. 3.2 mit Hinweis).“

E. 1.3. zum Rechtsüberholverbot

E. 1.5. zur Subsumption: „Wie dargelegt, ist grundsätzlich von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, die das Verhalten des Beschwerdeführers subjektiv weniger schwer erscheinen liessen.“

 

Die Bindung der Behörden

BGE 1C_250/2017: Bindung an Strafurteil durch die Verwaltungsbehörde (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Annahme einer schweren Widerhandlung und den Warnentzug von drei Monaten. Er wurde wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt, weil er auf einem Autobahnzubringer nur einen Abstand von 0.56 Sekunden eingehalten hatte. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.1. zur Widerhandlungsschwere: „Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Ziff. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143). Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a).“

E. 2.3. zur Bindung: „Ein Strafurteil vermag die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, weshalb die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen darf, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts – namentlich auch des Verschuldens – ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser die rechtliche Qualifikation hängt stark von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1; 127 II 302 nicht publ. E. 3a; 124 II 103 E. 1c/aa und bb). Auch in diesem Zusammenhang hat er jedoch den eingangs genannten Grundsatz (Vermeiden widersprüchlicher Urteile) gebührend zu berücksichtigen (Urteil 1C_424/2012 vom 14. Januar 2013 E 2.3).“

E. 3.2. zur Subsumption: „Es gibt keine Hinweise dafür, dass andere Fahrzeuge knapp vor ihm in seine Spur eingeschwenkt wären und ihm dadurch jedenfalls zeitweilig die Einhaltung des Sicherheitsabstands verunmöglicht hätten.“

Die in E. 2.1. aufgestellte Zuordnung ist nur dann anwendbar, wenn die Strafbehörden keinen Fehler gemacht haben. Andernfalls sind die Strassenverkehrsämter frei, den Sachverhalt anders zu würdigen.

 

BGE 6B_937/2017: Mitteilung eines Urteils an das Strassenverkehrsamt (Repetitorium)

Der Beschwerdeführer wehrt sich mit Beschwerde gegen die Mitteilung eines Strafurteils an das StVA LU. Er will damit logischerweise das Administrativmassnahmenverfahren verhindern.

Das BGer erinnert in E. 2: Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Strafbehörden (also die Strafverfolgungs- und Strafgerichtsbehörden) der für den Strassenverkehr zuständigen Behörde des Kantons, in dem der Täter wohnt, Verzeigungen wegen Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften und auf Verlangen im Einzelfall Urteile wegen Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften melden müssen (Art. 123 Abs. 1 lit. a und b der Verkehrszulassungsverordnung [VZV; SR 742.51] i.V.m. Art. 104 SVG).

Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.