Motorrad ohne Licht als Unfallgegner, Vertrauensgrundsatz

BGE 6B_1211/2016: Das Motorrad ohne Licht als Unfallgegner (Bestätigung Freispruch)

Der Beschwerdegegner – der Motorrad führt Beschwerde gegen den Freispruch des Autofahrers – bog bei fortgeschrittener Dämmerung auf einer Hauptstrasse nach links ab, übersah dabei den entgegenkommenden und grds. vortrittsberechtigten Motorradfahrer, da dessen Vorderlicht nicht funktionierte und dieser auch noch Dunkel gekleidet war. Das Bundesgericht bestätigt den letztinstanzlichen, kantonalen Freispruch vom Vorwurf der Vortrittsmissachtung bzw. fahrlässiger Körperverletzung.

E. 3.2: „[Der Autofahrer] habe auch nicht damit rechnen müssen, dass ihm ein Motorradfahrer ohne funktionierendes Vorderlicht und damit vorschriftswidrig entgegenkommen würde. Anlässlich des Abbiegemanövers habe der Beschwerdegegner seine Aufmerksamkeit alsdann nicht nur auf die Gegenfahrbahn, sondern auch auf die Einspurstrecke bzw. die Einfahrt in die Sernftalstrasse samt dortigem Fussgängerstreifen, mithin auf verschiedene Stellen gleichzeitig richten müssen, wobei in dubio pro reo davon auszugehen sei, dass er dies auch getan habe. In einer solchen Situation könne vom abbiegenden Beschwerdegegner nicht verlangt werden, dass er an einem Ort etwas erkenne, was nur schwer sichtbar sei. Seine Verteidigung weise zutreffend darauf ihn, dass ein Autolenker sich bei Dunkelheit bei seinem Abbiegemanöver in Bezug auf das Vortrittsrecht primär an beleuchteten Fahrzeugen orientiere und dass der Entscheid, Vortritt zu gewähren oder loszufahren, in der Regel innert kurzer Zeit getroffen werde. Daher könne dem Beschwerdegegner keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden, wenn er bei der Kontrolle der Gegenfahrbahn aufgrund der gesamten Umstände nur Dunkelheit und kein Licht erblickt habe und deshalb davon ausgegangen sei, dass kein Gegenverkehr nahe, dem er Vortritt hätte gewähren müssen. Für eine mangelnde Aufmerksamkeit oder ein anderes pflichtwidriges Verhalten bestünden im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.“

Zuständigkeit zur Anordnung einer Blutprobe

BGE 6B_996/2016: Anordnung der Alkoholblutprobe (teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer beschädigt beim Verlassen des Parkfeldes ein anderes Auto, fährt „wegen Harndrang“ nach Hause, trinkt dort zwei Gläser Wein und begibt sich nach einem Telefonat durch die Polizei wieder zur Unfallstelle. Diese stellt Alkoholgeruch fest und ordnet eine Blutprobe an.

Das BGer bestätigt den Schuldspruch wegen Nichtbeherrschen (SVG 31 I i.V.m. 90 I), wegen pflichtwidrigem Verhalten (SVG 51 III i.V.m. 92 I) und Vereitelung (SVG 91a I). Die Beschwerde wird allerdings in Bezug auf das FiaZ-Delikt gutgeheissen, da die nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft die Blutprobe hätte anordnen müssen:

E. 3.4: „NIKLAUS SCHMID führt dazu aus, zur im Prinzip schriftlichen (Art. 241 Abs. 1 StPO) Anordnung von Blutproben sei im SVG-Bereich nicht die Polizei, sondern nur die Staatsanwaltschaft oder allenfalls das Gericht zuständig (Urteil 6B_532/2016 vom 15. Dezember 2016 E. 1.4.1). Mit der ersatzlosen Streichung von Art. 55 Abs. 5 SVG könnten die Kantone die Anordnungskompetenz nicht mehr der Polizei zuweisen.“

E. 3.5: „In casu liegt eine schriftliche Anordnung der Polizei in den Akten. Ob die Luzerner Polizei die Blutentnahme rechtmässig anordnete, ist durchaus zweifelhaft (vgl. Art. 198 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 241 Abs. 1 StPO), lässt sich aber weder aufgrund der erst- und vorinstanzlichen Urteile noch der Akten mit Sicherheit entscheiden. Insbesondere scheint keine nachträgliche schriftliche Bestätigung der Staatsanwaltschaft vorzuliegen (Art. 241 Abs. 1 Satz 2 StPO). Von einer Anordnungskompetenz bei „Gefahr im Verzug“ (im Sinne des in casu nicht anwendbaren Art. 241 Abs. 3 StPO) wird ohnehin nicht ausgegangen werden können.“

Landwirtschaftliche Fahrt

BGE 1C_391/2016: Die landwirtschaftliche Fahrt, Fahren ohne Berechtigung (gutgeheissene Beschwerde)

Es handelt sich hier um eine Detailproblematik, da die Beschwerde aber gutgeheissen wurde, wird das Urteil aufgeführt.

Der Beschwerdeführer besitzt den Ausweis Kat. M/G/G40. Er fuhr mit seinem Trekker samt Anhänger Müll für eine Gemeinde zur Entsorgungsstelle. Diese Fahrt kann nicht unter die gemäss Art. 86 VRV erlaubten landwirtschaftlichen Fahrten subsumiert werden. Der Beschwerdeführer wurde von der Jugendstaatsanwaltschaft wegen Fahren ohne den erforderlichen Ausweis (Art. 95 SVG) gebüsst. Das Strassenverkehrsamt bzw. die Staatsanwaltschaft SH entzog daraufhin den Führerausweis für einen Monat (Art. 16b SVG). Das BGer hebt die Verfügung auf.

E. 2.2: Zwar war der Beschwerdeführer auf einer nicht landwirtschaftlichen Fahrt, für welche er eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 90 VRV benötigt hätte, allerdings erhielt er vom StVA die Falschauskunft, dass es keine solchen Bewilligungen für Abfallfahrten gäbe.

E. 2.3: Der Tatbestand „Fahren ohne Berechtigung“ bezweckt den Schutz übriger Verkehrsteilnehmer, die nicht auf ihrem Fahrzeug ausgebildet sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Auf einer landwirtschaftlichen Fahrt hätte der Beschwerdeführer ohne weiteres fahren dürfen.

E. 2.4: “ Diese Ausführungen zur strafrechtlichen Seite der Angelegenheit sind schlüssig. Daraus ergibt sich für die verwaltungsrechtliche Beurteilung die Konsequenz, dass der Beschwerdeführer kein Motorfahrzeug geführt hat, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen (Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG), was mit einem Führerausweisentzug von mindestens einem Monat zu ahnden wäre (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG).“ “ Es liegt damit nicht einmal eine leichte Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften vor (Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG e contrario), seine Verfehlung entspricht qualitativ einer Widerhandlung, die im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden könnte. Auf jeden Fall kann ein besonders leichter Fall angenommen und auf jegliche Massnahmen verzichtet werden (Art. 16a Abs. 4 SVG).“

Vereitelung, Geschwindigkeitsschematismus, der Drifter als Raser?

BGE 6B_1323/2016: Vereitelung – Nach Unfall darf man nicht trinken (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Titel sagt es bereits, nach einem Unfall mit Sachschaden darf man einfach nichts mehr Trinken, ansonsten man wegen Vereitelung drankommt.

E. 1.2: „Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe, wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient (Zweckzusammenhang), (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und wenn (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1; 126 IV 53 E. 2a; 125 IV 283 E. 3). Während die Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe nach der bisherigen Rechtsprechung von den konkreten Umständen des Falles (Art, Schwere und Hergang des Unfalls, Zustand sowie Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall) abhängig gemacht wurde (BGE 131 IV 36 E. 2.2.1; 126 IV 53 E. 2a), muss nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich bereits mit der Anordnung einer Alkoholkontrolle gerechnet werden, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist (BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f.).“

 

BGE 6B_444/2016: Schematismus bei GÜ (Verschärfung)

Der Beschwerdeführer fuhr auf der Autobahn N1 in einem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80km/h signalisierten Baustellenbereich mit 119km/h, nach Toleranzabzug 33km/h zuviel. Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II der kantonalen Instanzen.

E. 1.1: Zunächst folgen Ausführungen zum bereits etablierten Schematismus:

„Dans le domaine des excès de vitesse, la jurisprudence a été amenée à fixer des règles précises afin d’assurer l’égalité de traitement. Ainsi, le cas est objectivement grave au sens de l’art. 90 al. 2 LCR, sans égard aux circonstances concrètes, en cas de dépassement de la vitesse autorisée de 25 km/h ou plus à l’intérieur des localités, de 30 km/h ou plus hors des localités et sur les semi-autoroutes dont les chaussées, dans les deux directions, ne sont pas séparées et de 35 km/h ou plus sur les autoroutes.“

E. 1.3: Danach stellt es aber fest, dass die GÜ in einem Baustellenbereich begangen wurde, wo nicht die normale Höchstgeschwindigkeit von 120km/h, sondern 80km/h galt. Die „magische Grenze“ von 35km/h zuviel für die grobe Verkehrsregelverletzung gelte aber nur für den Normalbereich von 120km/h. Wenn auf der Autobahn 80km/h als Höchstgeschwindigkeit gelte, so sei dies eher mit einer Ausserortsstrecke vergleichbar, insb. wenn die Limite wegen einer Baustelle gilt. Insofern gelte dann die „magische Grenze“ für Ausserortsstrecken von 30km/h auch für die Autobahn für die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung.

„Dans certaines situations, un tronçon autoroutier régi par une limite de vitesse inférieure à 120 km/h, plus particulièrement en cas de limitation à 80 km/h, est comparable, eu égard au danger potentiel, à une route située en dehors d’une localité et non à une autoroute. Cela signifie qu’en matière d’excès de vitesse, ce sont les principes développés par la jurisprudence pour les routes situées en dehors des localités qui doivent, en règle générale, être appliqués (cf. ATF 128 II 131 consid. 2b). En l’espèce, le tronçon autoroutier était limité à une vitesse maximale de 80 km/h en raison de travaux. Des ouvriers travaillaient derrière un grillage apposé sur une bande herbeuse. La bande d’arrêt d’urgence était fermée afin de permettre aux ouvriers de travailler et de décharger leur matériel. Les usagers disposaient de deux voies dans le sens de la marche (arrêt attaqué, p. 3 let. f). La présence d’un chantier et d’ouvriers impliquait un danger particulier. Dans une telle configuration, il convient de considérer que le tronçon, quand bien même les usagers disposaient de deux voies dans le même sens de marche, s’apparente à une route hors localité. Le dépassement de vitesse litigieux de 33 km/h est supérieur à 30 km/h qui constitue le seuil pour le cas grave hors localité et peut par conséquent être objectivement qualifié de grave.“

 

BGE 6B_876/2016: Wer driftet, ist kein Raser

Der Beschwerdegegner beschleunigte seinen 580 PS starken Audi RS6 in Zürich an einer Ampelanlage in massiver Weise, um nach rechts in die anschliessende Strasse zu driften. Dabei verlor er die Herrschaft über seinen Boliden und wurde dabei schwer verletzt, sein Beifahrer leicht. Die obere kantonale Instanz (ZH) verurteilte den Lenker gemäss SVG 90 II. Die Oberstaatsanwaltschaft führt Beschwerde mit dem Begehren, den Beschwerdegegner als Raser gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG – Vorsatz erforderlich – zu verurteilen. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3 – Abgrenzung (Eventual)Vorsatz von bewusster Fahrlässigkeit

E. 4 – Subsumption: „[Die Beschwerdeführerin] verkennt, dass gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere bei Unfällen im Strassenverkehr nicht ohne Weiteres aus der (hohen) Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden kann. Ein Fahrzeuglenker droht – wie vorliegend auch – durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen häufig das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.4 S. 20; Urteil 6B_411/2012 vom 8. April 2013 E. 1.3; je Hinweisen).

Dass der Beschwerdegegner sich im physikalischen Grenzbereich befand, wie die Beschwerdeführerin mehrfach betont, ist dem „Driften“ immanent und spricht nicht gegen die vorinstanzliche Annahme, der Beschwerdeführer habe in Selbstüberschätzung und Verkennung der aus seinem Fahrmanöver resultierenden Gefahren im Sinne bewusster (und grober) Fahrlässigkeit darauf vertraut, sein Fahrzeug kontrolliert durch die Kurve zu manövrieren.“

Vortrittsmissachtung

BGE 1C_403/2016: Vortrittsmissachtung beim Spurwechsel mit Kollisionsfolge ist mittelschwere Widerhandlung

Nichts Neues, interessant aber die Ausführungen zum Vortritt in der Rush Hour:

E. 2.1.: „Um den besonderen Verhältnissen bei hohem Verkehrsaufkommen Rechnung zu tragen, lässt die neuere Rechtsprechung zu, dass eine relevante Behinderung ausnahmsweise erst dann angenommen wird, wenn der vortrittsberechtigte Fahrer seine Fahrweise brüsk ändern muss, d.h. er zu brüskem Bremsen, Beschleunigen oder Ausweichen gezwungen wird (vgl. BGE 114 IV 146 S. 147 f.; Urteil 6B_821/2014 vom 2. April 2015 E. 1.3; je mit Hinweisen). So kann im dichten Innerortsverkehr in gewissen Situationen ein Verzicht auf das Vortrittsrecht im Interesse der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs angezeigt sein. Namentlich bei besonders schwierigen Situationen des Wartepflichtigen kann wünschbar sein, dass ihm ein Vortrittsberechtigter durch Verlangsamen der Fahrt das Einbiegen ermöglicht, wenn dies ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geschehen kann. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Verkehrsflüssigkeit auf den vortrittsberechtigten Fahrbahnen ist aber auch in solchen Fällen nur mit grösster Zurückhaltung anzunehmen, ein Wartepflichtiger habe das Vortrittsrecht nicht vollständig zu respektieren (vgl. BGE 105 IV 341 E. 3a S. 340 f.; 6B_453/2012 19. Februar 2013 E. 2.2.2 mit Hinweisen).“

Aufschiebende Wirkung beim Sicherungsentzug

BGE 1C_557/2016: Aufschiebende Wirkung beim Sicherungsentzug (Bestätigung Rechtsprechung)

Beim Sicherungsentzug müssen die Individualinteressen grds. gegen das öffentliche nach Verkehrssicherheit zurücktreten.

„In Anbetracht der erheblichen Gefahr, die von einem ungeeigneten Fahrzeugführer für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist eine vorsorgliche Wiederzulassung zum motorisierten Verkehr bis zum Abschluss des Verfahrens bei dem hier drohenden Sicherungsentzug nicht verantwortbar, bevor die Zweifel an der Fahreignung ausgeräumt sind. Rechtsmitteln gegen einen Sicherungsentzug wird deshalb nach der Rechtsprechung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung eingeräumt, so dass der Führerausweis vorbehältlich besonderer Umstände bis zum rechtskräftigen Abschluss des Administrativverfahrens entzogen bleibt „

Abschleppdienste

OG ZH UH160307: Der Abschleppdienst in der Bredouille

Erlösung für alle Abgeschleppten: Ein Abschleppdienst schleppt ein auf einem Privatareal abgeschlepptes Motorrad ab. In der Folge wird es nicht herausgegeben, was mit einem „Retentionsrecht“ begründet wird. Die Herausgabe sollte erst nach Bezahlung der Abschleppkosten von CHF 675.00 erfolgen. Die Staatsanwaltschaft führt beim Abschleppdienst eine Hausdurchsuchung durch, beschlagnahmt das Motorrad und gibt dieses dem rechtmässigen Eigentümer zurück. Gegen die Herausgabeverfügung erhebt der Abschleppdienst Beschwerde an das Obergericht. Dieses weist die Beschwerde ab.

E. 3 zur Nötigung: Das Verhalten des Abschleppdienstes stellt eine tatbestandsmässige Nötigung dar.

E. 4 zur Rechtswidrigkeit der Nötigung: Eine Nötigung ist nur strafbar, wenn sie rechtswidrig ist. Die positive Rechtswidrigkeit wird in der Folge ebenfalls bejaht. Es folgen Ausführungen zur Selbsthilfe und dem an das Abschleppunternehmen zedierten Schadenersatzanspruch des Grundeigentümers bzw. Parkplatzberechtigen. Dazu folgende interessanten Ausführungen:

Der sich selbst wehrende Besitzer hat sich jeder nach den Umständen nicht gerechtfertigten Gewalt zu enthalten (Art. 926 Abs. 3 ZGB). Die Störungsabwehr muss verhältnismässig sein. Insbesondere darf zwischen dem Interesse des Besitzers und dem durch Ausübung des Selbsthilferechts dem Störer erwachsenden Schaden kein Missverhältnis bestehen, was sich auch aus dem Gebot von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) ergibt. Demnach muss der Besitzer diejenige Abwehrmöglichkeit wählen, welche die Rechtsgüter des Angreifers am wenigsten verletzt. Er ist nicht dazu berechtigt, unnötige Eingriffe vorzunehmen (vgl. Landmann, Notwehr, Notstand, Selbsthilfe im Privatrecht, Dissertation, Zürich 1975, S. 90). In Fällen, in denen keinerlei Gefahr droht, ist anstatt der Ausübung des Faustrechts staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sofern diese Möglichkeit existiert (BK-Stark/Lindenmann, Der Besitz, Art. 919-941 ZGB, Bern 2016, Art. 926 N 18 ff., m.w.H.).

Es ist grundsätzlich zulässig, einen Abschleppunternehmer pauschal damit zu beauftragen, falsch parkierte Fahrzeuge abzuschleppen (vgl. Rusch/Klaus, a.a.O. S. 14 f.). Die tatsächliche Ausübung des Selbsthilferechts im konkreten Fall muss aber dennoch verhältnismässig sein. Der Abschleppunternehmer erhält mit einem Pauschalauftrag keinen Freipass, zur Befriedigung finanzieller Eigeninteressen übermässige Selbsthilfe zu üben. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sind demnach die konkreten Umstände, unter denen ein Fahrzeug abgeschleppt wird, nicht völlig unerheblich.

Im Weiteren hat ein Besitzer im Zusammenhang mit der Ausübung des Selbsthilferechts zwar einen Anspruch auf Ersatz der dadurch verursachten Aufwendungen gegen den Störer (Art. 928 Abs. 2 ZGB und Art. 41 OR). Es besteht aber lediglich Anspruch auf Schadenersatz und den von der Störung Betroffenen trifft eine Schadenminderungspflicht (vgl. Art. 44 Abs. 1 OR). Übersetzte Tarife etwa für das Abschleppen des Fahrzeugs können somit nicht geltend gemacht bzw. auf den Falschparker überwälzt werden (vgl. auch Rusch/Klaus, a.a.O., S. 8, m.w.H.). Demnach verfügt der Beschwerdeführer insbesondere über kein Recht, gestützt auf die Globalzession der Schadenersatzansprüche durch die E. AG____ gegenüber Falschparkern jede x-beliebige Summe für das Abschleppen einzufordern.

Im Folgenden verweist das Gericht auf den Stadtratsbeschluss bzgl. Abschleppgebühren der Stadtpolizei als Orientierungshilfe der im Rahmen der Schadenminderungspflicht möglichen Abschleppkosten.

Fazit: Den Abschleppunternehmen dürfte dieses Urteil ein Dorn im Auge sein.

Verfahrensdauer, Kollision mit Nichthalter

BGE 1C_542/2016: Selbstverschuldete lange Verfahrensdauer

Im August 2011 fuhr der Beschwerdeführer innerorts 30 km/h zu schnell. Gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln wehrt er sich bis vor Bundesgericht. Dieses weist seine Beschwerde im September 2014 ab. Aufgrund der Kaskade ordnet das StVA AG einen sechsmonatigen Ausweisentzug an. Das vorliegende Urteil folgt fünfeihalb Jahre später. Der Beschwerdeführer rügt die Beurteilung innert angemessener Frist. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.4: Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Ein solches Recht ergibt sich auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

E. 2.6: Die besonderen Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen, sollen neu nur bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestentzugsdauer berücksichtigt werden können (vgl. Art. 16 Abs. 3 Satz 1 SVG). Zu den bei der Festsetzung des Führerausweisentzugs zu berücksichtigenden Umständen zählt wie unter dem früheren Recht auch die Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

E. 2.7: Im zu beurteilenden Fall erscheint zweifelhaft, ob das Beschleunigungsgebot überhaupt verletzt worden ist bei einer Gesamtbearbeitungsdauer von rund fünfeinhalb Jahren und insgesamt sieben Instanzen (vgl. E. 2.3 hiervor).

Die Frage braucht jedoch nicht vertieft zu werden. Im Wesentlichen hat der Beschwerdeführer selber durch Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel (inklusive Bestreitung der Verlässlichkeit des Geschwindigkeitsmessgeräts, seiner Installation und des Betriebs sowie diverser Fristverlängerungen) für die lange Verfahrensdauer gesorgt.

 

BGE 1C_490.2016: Der übersehene Fussgänger

In Zürich befährt der Beschwerdeführer eine Kreuzung gerade als die Ampel von grün auf gelb wechselt. Da er mit langsamer Geschwindigkeit (ca. 20km/h) unterwegs war und nicht aufmerksam war, tütscht er eine Fussgängerin, die grün hatte und bereits auf dem Fussgängerstreifen ging. Im Strafverfahren wird er wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das BGer bestätigt in der Folge den einmonatigen Ausweisentzug.

E. 3.4: Nach Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten (vgl. auch Art. 6 VRV [SR 741.11]). Der Fahrzeugführer hat zudem allgemein sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten genügt (Art. 31 Abs. 1 SVG), was unter anderem voraussetzt, dass er seine Aufmerksamkeit dem Verkehr zuwendet (vgl. Art. 3 Abs. 1 VRV).

E. 3.5: Die Missachtung dieser Regeln bei der Anfahrt zu einem Fussgängerstreifen ruft eine ernstliche Gefahr für die Fussgänger hervor, da diese bei einer Kollision mit einem Auto selbst bei relativ geringer Fahrgeschwindigkeit schwere und schwerste Verletzungen davontragen können.

Nichts Neues, aber als Repetitorium auch nicht schlecht.

Das rechtsüberholende Velo

BGE 6B_164/2016: Präzisierung Rechtsprechung; Das rechtsüberholende Velo

Im Juni 2012 biegt ein Sattelschlepper mit Anhänger in Luzern rechts ab und überrollt dabei den ihn rechts überholenden Velofahrer. Der LKW-Fahrer wird erstinstanzlich wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen, was von der oberen kantonalen Instanz bestätigt wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wird vom BGer gutgeheissen.

Zur fahrlässigen Tötung E. 2.1: „Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Dies ist der Fall, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat.“

Zum Überholmanöver des Velofahrers: „Nach Art. 42 Abs. 3 VRV dürfen Radfahrer rechts neben einer Motorfahrzeugkolonne vorbeifahren, wenn genügend freier Raum vorhanden ist; das slalomartige Vorfahren ist untersagt. Sie dürfen die Weiterfahrt der Kolonne nicht behindern und sich namentlich nicht vor haltende Wagen stellen. Die Vorschriften zum Überholen sind sinngemäss auch auf das Vorbeifahren im Sinne von Art. 42 Abs. 3 VRV anwendbar (STEFAN MAEDER, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 19 zu Art. 35 SVG). Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass nach Art. 42 Abs. 3 VRV Radfahrer selbst dann an Fahrzeugen rechts vorbeifahren dürfen, wenn diese das rechte Blinklicht eingeschaltet haben (BGE 127 IV 34 E. 3c/aa; Urteil 6S.293/1999 vom 23. November 1999 E. 4a). Dies ist zu präzisieren. Art. 35 SVG enthält keine Sondervorschrift für das Überholen von Rechtsabbiegern, weshalb dieses Manöver nach Art. 35 Abs. 3 SVG zu beurteilen ist (HANS GIGER, SVG Kommentar, 8. Aufl. 2014, N. 29 zu Art. 35 SVG; siehe auch STEFAN MAEDER, a.a.O, N. 80 zu Art. 35 SVG). Ein Fahrzeugführer, der in einer sich bewegenden Fahrzeugkolonne mittels der entsprechenden Richtungsanzeige die Absicht signalisiert, nach rechts abbiegen zu wollen, wird von einem rechtsvorbeifahrenden Velofahrer behindert, wenn Letzterer nicht vorbeifahren kann, ohne den Weg des abbiegenden Fahrzeugs schneiden zu müssen. In diesem Fall erlaubt Art. 35 Abs. 3 SVG kein rechtsseitiges Vorbeifahren.“

Zum Vertrauensgrundsatz: „Der Beschwerdeführer durfte gestützt auf Art. 26 Abs. 1 SVG darauf vertrauen, beim Abbiegen nicht rechts überholt zu werden. Ihm ist demnach keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen, womit er sich der fahrlässigen Tötung nicht schuldig gemacht hat.“

Fazit: Velofahrer dürfen in der Kolonne Fahrzeuge nur rechtsüberholen, wenn sie dieses Manöver abschliessen können, bevor der rechtsabbiegende Auto- oder LKW-Fahrer seinerseits sein Abbiegemanöver beginnt.

Blaulicht als Rechtfertigung?, Auflagen, Fahren unter Medikamenteneinfluss, Rechtsfahrgebot

BGE 6B_930/2016: Blaulicht schützt vor Strafe nicht

Der Beschwerdeführer ist Polizist. Er überfuhr mit Blaulicht und Sirene eine rote Ampel und kollidierte mit einem korrekt fahrenden Fahrzeug. Das BGer bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II.

Erwägung 1.3: „Missachtet der Führer eines Feuerwehr-, Sanitäts-, Polizei- oder Zollfahrzeugs auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten Verkehrsregeln oder besondere Anordnungen für den Verkehr, so macht er sich nicht strafbar, wenn er alle Sorgfalt walten lässt, die nach den Umständen erforderlich ist (Art. 100 Abs. 4). “

„Indem der Beschwerdeführer beim Befahren der Kreuzung seine Aufmerksamkeit ausschliesslich nach rechts richtete und den anderen Bereichen der Kreuzung keine Beachtung schenkte, verletzte er elementarste Sorgfaltsregeln und gefährdete dabei ernstlich andere Verkehrsteilnehmer. Im Übrigen kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Die Verurteilung wegen fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln verletzt kein Bundesrecht.“

 

BGE 1C_545/2016: Verhältnismässigkeit von Auflagen nach FiaZ

Ein Lenker wird mit einer BAK von 1.8 bis 2.42 Gewichtspromille erwischt. Nach erfolgter Fahreignungsabklärung wird ihm die Fahrerlaubnis wiedererteilt. Nulltoleranz am Steuer, ansonsten sozialverträglicher Alkoholkonsum. Nachkontrolle mit Haarproben. Trotz zwischenzeitlich erfolgtem Sicherungsentzug äussert sich das BGer zur Verhältnismässigkeit der Auflagen:

Erwägung 2.2: „Danach ist der Beschwerdeführer nicht zu einer Totalabstinenz verpflichtet, sondern darf moderat Alkohol konsumieren. Lediglich beim Führen eines Motorfahrzeugs gilt eine Nulltoleranz. Dies erscheint verhältnismässig. Unverhältnismässig erscheint unter den gegebenen Umständen jedoch, die Abstinenzkontrolle nicht mit einer zeitlichen Beschränkung zu versehen.“

 

BGE 1C_536/2016: Nachweis FuM

Bei einer Verkehrskontrolle stellt ein Polizist beim Beschwerdeführer „schläfriges Verhalten und gerötete, wässrige Augen“ fest. Der Drogenschnelltest ist positiv bzgl. Amphetaminen. Der Lenker gab bei der Kontrolle an die Medikamente Paroxetin (Antidepressivum) und Clozapin (Neuroleptikum) einzunehmen. Die Blutprobe war negativ. Trotzdem schloss die Arztperson aufgrund der Medikamenten und der Aussage des Polizisten auf Fahrunfähigkeit.

Der Beschwerdeführer wurde rechtskräftig gemäss Art. 91 Abs. 2 SVG bestraft. Das StVA AG verfügte eine Fahreignungsabklärung ohne vorsorglichen Ausweisentzug. Das Gutachten war positiv und Auflagen waren nicht nötig. In der Folge enzog das StVA AG den Führerausweis für drei Monate wegen dem FuM. Das BGer heisst die dagegen erhobene Beschwerde gut.

Zur Bindung an das Strafurteil E. 3.3.3: „Vorliegend steht indessen keineswegs fest, dass sich der Beschwerdeführer bewusst war, dass er auf Dritte immer einen schläfrigen Eindruck macht. Diese Annahme des Verwaltungsgerichts findet in den Akten keine Stütze. Der Umstand wurde erst von der Gutachterin des PDAG beweismässig erstellt, indem sie den Hausarzt des Beschwerdeführers kontaktierte, dessen Auskunft sich mit ihrer eigenen Feststellung, der Beschwerdeführer wirke etwas träge, deckt. Diese Beweismittel wurden nach dem Erlass des Strafbefehls produziert und sind damit im Administrativverfahren zu berücksichtigen.“

Zur Fahrunfähigkeit: „Die Blutanalyse ergab, dass der Beschwerdeführer, wie er selber zu Protokoll gegeben hatte, ein Antidepressivum und ein Neuroleptikum zu sich genommen hatte und sich diese Medikamente in einer pharmakologisch wirksamen Konzentration in seinem Blut nachweisen liessen. Da indessen die Fahreignung des Beschwerdeführers von einer gut eingestellten Medikation – sie war im Zeitpunkt der Verkehrskontrolle und des PDAG-Gutachtens gleich – abhängt, spricht der Nachweis dieser beiden Medikamente in therapeutischer Konzentration im Blut des Beschwerdeführers nicht gegen, sondern für seine Fahrfähigkeit. Zusammenfassend lassen das Polizeiprotokoll, der Arztbericht und das Kurzgutachten den Schluss nicht zu, dass der Beschwerdeführer, als er in die Verkehrskontrolle geriet, stark übermüdet und fahrunfähig war.“

Fazit: Das sonst so teure und verhasste verkehrsmedizinische Gutachten erwies sich in vorliegendem Fall als Hauptargument gegen eine durch Medikamente verursachte Fahrunfähigkeit. Der Verkehrsmediziner bewies sozusagen rückwirkend die Fahrfähigkeit des Lenkers.

 

BGE 1C_539/2016: Ungenügendes Rechtsfahren mit Streifkollision

Ein Lenker verursacht durch ungenügendes Rechtsfahren eine Streifkollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Er wird gemäss SVG 34 I i.V.m. 90 I gebüsst. Das BGer bestätigt die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung (StVA BE), womit der Führerausweis auf Probe annulliert wurde.

Erwägung 3.2.: „Insofern kann es als erwiesen erachtet werden, dass durch die Streifkollision eine Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer hervorgerufen wurde, die nicht mehr nur als leicht eingestuft werden kann. Ein solches Fahrverhalten kann denn auch nach der Rechtsprechung aufgrund der konkreten Gefährdung der Unfallgegner – auch ohne Vorliegen eines tatsächlichen Personenschadens – durchaus einen Führerausweisentzug wegen einer mittelschweren Widerhandlung nach sich ziehen (vgl. Urteil 1C_476/2014 vom 29. Mai 2015 E. 4.3 betreffend Auffahrunfälle).“