Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.

Anordnung Blutprobe, Mitteilungen zw. Behörden

BGE 6B_942/2016: Zuständigkeit Anordnung Blutprobe (Bestätigung Rechtsprechung, teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde bei einer Polizeikontrolle einem Drogenschnelltest unterzogen, welcher ein positives Ergebnis auf Cannabiskonsum ergab. Die Blutprobe ergab aber keinen THC-Wert, sondern nur Stoffwechsel-Abbauprodukte. Bzgl. Vorwurf des FuD gab es eine Einstellung, der Cannabiskonsum wurde mit Strafbefehl gesühnt. Gegen die Kostenfolge der Einstellungsverfügung wehrt sich der Beschwerdeführer bzgl. Entschädigungen, Beweismittelverwertbarkeit und die Mitteilung der Einstellung an das Strassenverkehrsamt und die Polizei.

E. 3.2. zum Schadenersatz wegen der vorläufigen Abnahme: „Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass die Regelung von Art. 54 Abs. 3 SVG zum Polizeirecht gehört, weshalb die Bestimmungen der Strafprozessordnung keine Anwendung finden. Allfällige Entschädigungsansprüche (einschliesslich Anwaltskosten), die im Zusammenhang mit der Abnahme des Führerausweises stehen, sind daher im kantonalen Verwaltungsverfahren geltend zu machen (Urteil 6B_178/2015 vom 26. August 2015 E. 2 und 3.3 mit Hinweisen).“

E. 5.2. zur Rechtmässigkeit der Blutprobe: „Bei der Blutentnahme handelt es sich um eine Zwangsmassnahme, welche selbst dann von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden muss, wenn der Betroffene in diese einwilligt. Für eine kantonale Bestimmung, welche die Zuständigkeit für die Anordnung einer Blutprobe unter bestimmten Bedingungen der Polizei überträgt, besteht kein Raum (Urteil 6B_1000/2016 vom 4. April 2017 E. 2.3.1 und 2.3.2 mit Hinweisen).“ „Die Blutprobe wurde ohne Zutun der Staatsanwaltschaft von der Polizei angeordnet (Akten Staatsanwaltschaft, act. A4). Es handelt sich somit um eine rechtswidrige Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet…“

E. 6.2. zur Übermittlung der Einstellungsverfügung u.a. an das StVA: „Nach Art. 73 Abs. 1 StPO sind die Mitglieder von Strafbehörden verpflichtet, Stillschweigen hinsichtlich Tatsachen zu bewahren, die ihnen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind. Art. 75 Abs. 4 StPO bestimmt, dass Bund und Kantone die Strafbehörden zu Mitteilungen an Behörden verpflichten oder berechtigen können.“ „Nach Art. 104 Abs. 1 SVG müssen die Polizei- und Strafbehörden der zuständigen Behörde alle Widerhandlungen melden, die eine im Strassenverkehrsgesetz vorgesehene Massnahme nach sich ziehen könnten.“ „Die Einstellungsverfügung wurde erlassen, weil der Beschwerdeführer 1 nicht im fahrunfähigen Zustand gefahren war. Somit liegt gerade keine Widerhandlung vor, welche dem Strassenverkehrsamt zu melden wäre. Auch ist nicht erkennbar, inwiefern die zur Diskussion stehende Einstellungsverfügung eine Administrativmassnahme nach sich ziehen könnte. Für die Mitteilung an das Strassenverkehrsamt besteht somit keine gesetzliche Grundlage.“

Flying-Rockets-Fall

BGE 6B_360/2016: Die Unsorgfaltsgemeinschaft (gutgeheissene Beschwerde und dogmatisch höchst interessant)

Am Silvester 2013 zündeten zwei Cousins je zwei Feuerwerksraketen, wovon eine auf einen Balkon fiel und einen Brandschaden von CHF 868’951.00 verursachte. Welche Rakete genau den Brand verursachte, war nicht ermittelbar. Beide Cousins wurden mit Strafbefehl wegen Art. 222 StGB bestraft. Die erste Instanz sprach die Beschuldigten frei, die Berufung der Staatsanwaltschaft dagegen wurde gutgeheissen. Das BGer wiederum heisst die Beschwerde der Beschuldigten gut und spricht diese frei. Der Entscheid ist deshalb interessant, weil er sich intensiv mit der im „Rolling-Stones-Entscheid“ (BGE 113 IV 58) kreierten Unsorgfaltsgemeinschaft auseinandersetzt. Grds. stellt sich die Frage, ob Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten möglich ist.

E. 4.6: Es stellt sich die Frage, ob eine Gesamthandlung i.S.v. BGE 113 IV 58 vorliegt. „Aus dieser Beweisführung folgt, dass die beiden einzig„beschlossen“, vier Raketen zu starten, und zwar jeder deren zwei. Die Art und Weise des Startens bestimmte jeder für sich, „d.h. ohne vorgängige Absprache“ (ebenso bereits die Erstinstanz, oben E. 4.3).“

E. 4.7: Das BGer fasst übersichtlich die versch. Lehrmeinungen zum Rolling-Stones-Fall zusammen und kommt zum Schluss, dass „ohne die Literatur erschöpfend auszuwerten, [sich] schliessen [lässt], dass die Konzeption einer fahrlässigen Mittäterschaft von der wohl herrschenden Lehre abgelehnt und BGE 113 IV 58 in der Begründung und weniger im Ergebnis kritisiert wird, während JOSÉ HURTADO POZO mit der Konzeption der „Unsorgfaltsgemeinschaft“ einen konstruktiven dogmatischen Entwurf zu der mit BGE 113 IV 58 aufgeworfenen Sachproblematik vorlegt.“

E. 4.8: Das BGer untersucht seine eigene Rechtsprechung zur Thematik mit bes. Augenmerk auf das Strassenverkehrsrecht.

E. 4.9: Eine Unsorgfaltsgemeinschaft wird dann angenommen, wenn eine „Gesamthandlung“ vorliegt, die Täter gemeinsam die Tat von Anfang bis Ende durchführen – so wie im Rolling-Stones-Fall. Vorliegend beschlossen die Beschwerdeführer zwar gemeinsam nach draussen zu gehen, die Modalitäten der Raketenzündung entschieden sie aber je für sich. „Vielmehr ist [daher] festzustellen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der vorinstanzlich angenommenen Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58 beweismässig nicht erstellt sind. Der gemeinsame Beschluss einer sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht nachgewiesen (bereits Erstinstanz, oben E. 4.3).“

E. 4.10: Mittäterschaft bzw. der gemeinsame Tatentschluss muss grds. bewiesen sein.

E. 4.11: „Wegen des nur mangelhaft durchgeführten Beweisverfahrens lässt sich nicht mehr eruieren (Erstinstanz) bzw. ist nicht mehr zu ermitteln (Vorinstanz), welcher der beiden Beschwerdeführer die brandauslösende Rakete gezündet hatte. Insbesonders ist auch deren individuell-konkretes Vorgehen und der diesbezüglich rechtserhebliche subjektive Sachverhalt nicht mehr zu eruieren.“

Da die Beschwerdeführer nicht von Anfang bis Ende gemeinsam handelten, wurden Sie freigesprochen.

Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt, Einstellung Strafverfahren

BGE 1C_165/2017: Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt (Bestätigung Rechtsprechung)

Um einer Verkehrskontrolle wegen fehlender Autobahnvignette zu entgehen, fuhr der Beschwerdeführer etwa eine Wagenlänge rückwärts auf der Autobahneinfahrt, wofür er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung ab. Der Entscheid fasst exemplarisch die Rechtsprechung zur  Widerhandlung im Massnahmenrecht zusammen.

E. 2.1 und 2.2 zur Widerhandlungsschwere und den strafrechtlichen Pendandts SVG 90 I und II.

E. 2.3 zur Bindung der Administrativbehörde an das Strafurteil.

E. 3: „Wer unter diesen Gegebenheiten verbotenerweise rückwärts fährt, schafft ohne Zweifel eine erhöhte abstrakte Gefährdung für die Verkehrssicherheit, weil andere Verkehrsteilnehmer – etwa nachfolgende Fahrzeuge, insbesondere aber auch Fussgänger auf dem Fussgängerstreifen – nicht mit einem derart verkehrswidrigen Verhalten rechnen müssen. Das reicht für die Annahme einer mittelschweren Verkehrsregelverletzung aus, gleichgültig darum, ob der Beschwerdeführer durch sein Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug konkret gefährdet hat oder nicht. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer dieses Manöver vorsätzlich ausführte, um dem Stau (und/oder der Verkehrskontrolle) auszuweichen, weshalb auch sein Verschulden nicht bagatellisiert werden kann.“

 

BGE 6B_1055/2016: Voraussetzungen für die Einstellung im Strafverfahren (gutgeheissene Beschwerde)

Im Kanton Luzern zog sich ein Badegast eines Strandbades eine komplette Tetraplegie zu nach einem Kopfsprung von einem Steg in ca. 1,2 m tiefes Wasser. Am Steg war keine Kopfsprung-Verbotstafel angebracht. Nachdem die kantonalen Instanzen die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Strandbadbetreiber (fahrlässige schwere KV) bestätigten, heisst das BGer die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E. 2.1 zur Einstellung: „Nach Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, u.a. wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). In diesem Zusammenhang gilt der aus dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 1 StGB) fliessende Grundsatz „in dubio pro duriore“. Danach darf eine Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die Staatsanwaltschaft und die oberen kantonalen Instanzen über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft. Hingegen ist (sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt) Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Halten sich die Wahrscheinlichkeiten diesbezüglich in etwa die Waage, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, ebenfalls eine Anklageerhebung auf (BGE 138 IV 186 E. 4.1 S. 190 mit Hinweisen; Urteil 1B_248/2012 vom 2. Oktober 2012, in: RtiD 2013 I S. 160).“

E. 2.3 f. zur Fahrlässigkeit: Das Kantonsgericht war der Ansicht, dass die strafbewehrte Pflicht des Betreibers einer öffentlichen Badeanstalt, seine Gäste vor Gefahren zu schützen, nur soweit gehe, als sie für diesen nicht vorhersehbar oder nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Der Betreiber dürfe vom Badegast erwarten, dass er sich auf die einem Badebetrieb typischen Gefahren einstelle und sich des verbleibenden Restrisikos und der daraus folgenden Selbstverantwortung bewusst sei. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro duriore“ und dass das Merkmal der Vorhersehbarkeit falsch beurteilt wurde.

E. 2.5: In Bezug auf Strandbäder gibt es keine ausdrückl. Vorschriften über die Beschilderung von Stegen. Um allfällige Sorgfaltspflichten des Strandbadbetreibers zu finden, setzen sich die Richter deshalb mit bfu-Empfehlungen auseinander. Die bfu führt in einer Fachdokumentation auch aus, dass die meisten Unfälle in Natürbädern wegen Sprüngen in zu seichtes Wasser passieren. Der Zweck eines Steges ist, dass man nicht vom Ufer aus in den See schwimmen muss, das Springen vom Steg wird als zweckwidrig bezeichnet. Trotzdem räumt der Beschwerdegegner ein, dass der Steg immer wieder für einen Kopfsprung benutzt wurde. Insofern kann das Tatbestandsmerkmal der Vorhersehbarkeit nicht ohne Weiteres verneint werden. Ebenso sind gemäss BGer die Ausführungen der kantonalen Instanz zum erlaubten Risiko nicht gänzlich nachvollziehbar.

Das Strafverfahren wurde also zu Unrecht eingestellt.

Zwar liegt hier noch kein Endentscheid vor, allerdings wurde dieser in gewisser Weise durch das Bundesgericht bereits präjudiziert. Den Schweizer Gartenbädern ist zu empfehlen, dass sie an sämtlichen Stegen, wo die Wassertiefe nicht unbedingt ausreichend ist, Spungverbotstafeln anbringen.

Es scheint, als nähere man sich langsam US-amerkanischen Verhältnissen, wo sich der für jede erdenkbare Gefahrenquelle Verantwortliche durch Verbote, Sicherheitshinweise etc. schützen muss. So tragisch, dass der Unfall ist, die Selbstverantwortung scheint zurückgedrängt. Dass man ohne den Seegrund zu sehen oder vorgängig die Wassertiefe zu überprüfen einen Kopfsprung in ein natürliches Gewässer wagt, widerspricht elementaren Vorsichtspflichten, die einem zumindest im Schwimmunterricht und bei den Pfadi eingetrichtert wurden.

 

Vorsichtspflichten bei Bushaltestellen, Parteientschädigung

BGE 6B_1056/2016: Vorsichtspflichten bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (gutgeheissene Beschwerde)

An einer Bushaltestelle macht eine Fussgängerin unvermittelt einen Schritt nach vorne und wird dadurch vom Aussenspiegel eines Trolleybusses erfasst. Die obere kantonale Instanz (SG) verurteilte den Busfahrer wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das BGer heisst die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E.1.3.2: „An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen (Art. 33 Abs. 3 SVG). Das Trottoir ist den Fussgängern, der Radweg den Radfahrern vorbehalten (Art. 43 Abs. 2 SVG). Muss mit einem Fahrzeug das Trottoir benützt werden, so ist der Führer gegenüber den Fussgängern und Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten zu besonderer Vorsicht verpflichtet; er hat ihnen den Vortritt zu lassen (Art. 41 Abs. 2 VRV).“

E. 1.4: „Zuzustimmen ist dem Beschwerdeführer, dass sich die Rücksichtspflicht gemäss Art. 33 Abs. 3 SVG primär an Fahrzeugführer richtet, die an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel vorbeifahren und die aufgrund von sich dort befindlichen Bussen oder Strassenbahnen mit unvorsichtig auf die Strasse hinaustretenden Personen zu rechnen haben (vgl. BGE 97 IV 242 E. 2 S. 244 f.; Urteile 6B_541/2016 vom 23. Februar 2017 E. 1.5; 1C_604/2012 vom 17. Mai 2013 E. 6.2; 1C_425/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 3.1; 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009 E. 5.2). Aus dieser Bestimmung lässt sich folglich keine besondere Vorsichtspflicht für an die Haltestelle heranfahrende Buschauffeure ableiten.“

 

BGE 6B_193/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen

Dem Beschwerdeführer wurde ein Verstoss gegen die VTS vorgeworfen. Das Strafbefehlsverfahren wurde eingestellt, eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen. Entgegen den kantonalen Instanzen spricht sich das BGer für eine PE aus.

E 2.5: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist einem Beschuldigten in der Regel der Beizug eines Anwalts zuzubilligen, jedenfalls wenn dem Deliktsvorwurf eine gewisse Schwere zukommt. Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Im Übrigen sind beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Anwalts neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen (BGE 142 IV 45 E. 2.1; 138 IV 197 E. 2.3.5).“

Fahreignung, Wenden auf Autobahnzufahrt, prov. def. Führerausweis

BGE 1C_144/2017: Keine Fahreignungsabklärung bei LilZ (Laufen in laufunfähigem Zustand), gutgeheissene Beschwerde

Der Beschwerdeführer stürzt in Döttingen in betrunkenem Zustand und bricht sich dabei den Fuss. Der Atemalkoholtest ergibt einen Wert von 2.27g/kg. Da der Beschwerdeführer eine Vorgeschichte mit wiederholten FiaZ-Widerhandlungen hat, meldet der Polizist den Vorfall dem Strassenverkehrsamt. Dieses verfügt eine verkehrspsychologische Begutachtung, aber keinen vorsorglichen Ausweisentzug.

E. 2.1: bzgl. Verkehrsmedizinischer Suchtbegriff

E. 2.2: bzgl. Zweifel an Fahreignung

E. 2.3: bzgl. vorsorglichem Ausweisentzug

E. 3.3: „Besteht ein begründeter Verdacht, dass ein Lenker solche Fahrten unternehmen könnte, ist ihm der Ausweis vorsorglich abzunehmen und seine Fahreignung abzuklären. Die Auffassung des Strassenverkehrsamts, dieses Risiko sei kurz- und mittelfristig – bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Anordnung der verkehrspsychiatrischen Abklärung, was bei zwei Rechtsmittelinstanzen im Kanton und einer im Bund Monate oder sogar Jahre dauern kann – tragbar, ist nicht nachvollziehbar. Besteht ein ernsthafter Grund zur Annahme, dass einem Lenker wegen verkehrsrelevanten Alkoholmissbrauchs die Fahreignung abgeht, so besteht das Risiko, dass er sich (stark) betrunken ans Steuer setzt, jederzeit bzw. ab sofort. Ihm ist diesfalls der Ausweis vorsorglich zu entziehen, bis durch ein verkehrsmedizinisches Gutachten feststeht, dass die Befürchtung unbegründet ist.“

E. 3.4: „Damit erscheint es plausibel, dass es sich beim Rauschtrinken vom 19. Dezember 2015, welches keinen Bezug zu einer allfälligen Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr hatte, um ein isoliertes Ereignis handelt und damit auch nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Beschwerdeführer erneut einen verkehrsrelevanten Alkoholüberkonsum betreiben könnte. Nachdem das Strassenverkehrsamt den Beschwerdeführer nach dem Vorfall unbehelligt weiterfahren liess und er dies offenbar seit rund 1 ½ Jahren auch tut, ohne dass er Anlass zu Beanstandungen geboten hätte, haben sich die Zweifel an seiner Fahreignung jedenfalls soweit zerstreut, dass sich die Anordnung einer verkehrspsychiatrischen Abklärung nicht (mehr) rechtfertigen lässt. Die Beschwerde ist begründet. “

 

BGE 6B_316/2017: Wenden auf Autobahnzufahrt entspricht SVG 90 II

Der Beschwerdeführer wendete sein Lieferwagen auf einer Autobahnzufahrt in Thun, nachdem er sah, dass auf der Autobahn stockender Verkehr herrschte. Staatsanwaltschaft verurteil wegen SVG 90 II, erste Instanz wegen SVG 90 I, obere Instanz wegen SVG 90 II und das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.4 zur subj. Komponente von SVG 90 II: „Der Beschwerdeführer hat die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer keineswegs nicht bedacht, sondern hat diese aufgrund der ausgezeichneten Strassen- und Wetterverhältnisse an diesem Tag, der Verkehrssituation im relevanten Zeitpunkt sowie der guten Übersichtlichkeit der Örtlichkeit ausgeschlossen“ (Beschwerde S. 14). Er anerkennt damit vor Bundesgericht ein überlegtes und damit zumindest bewusst fahrlässiges Handeln, das entgegen seiner Argumentation nach der Rechtsprechung als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren ist. Denn grobe Fahrlässigkeit ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist (oben E. 1.2.2).“

 

BGE 6B_370/2016: Nachträgliche Kostentragung des Opfers im Strafverfahren

Im vorliegenden Fall wurde der Täter vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Dagegen legte das Opfer Berufung ein.

E. 2.3.4: „Wer bedürftig ist und eine unmittelbare Beeinträchtigung in seiner körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität durch eine Straftat dartut, hat Anspruch darauf, seine Vorwürfe im Rahmen eines strafprozessualen Untersuchungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens abklären zu lassen, ohne dabei das Risiko einzugehen, im Falle eines Freispruchs die Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung zurückerstatten zu müssen. Art. 30 Abs. 3 OHG kommt daher auch zum Tragen, wenn die geltend gemachte Straftat im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen werden kann.“

E. 2.3.5: Anders verhält es sich bezüglich der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren, wenn es wie vorliegend bereits erstinstanzlich zu einem Freispruch kam, der Freispruch auch im Berufungsverfahren bestätigt wurde und schliesslich in Rechtskraft erwuchs. In solchen Fällen muss es möglich sein, von der Privatklägerschaft, welche als Opfer im Sinne von Art. 116 StPO Berufung erhob, bei verbesserten wirtschaftlichen Verhältnissen die Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Berufungsverfahren zu verlangen, auch wenn das Rechtsbegehren auf Schuldigsprechung nicht aussichtslos erschien (was Voraussetzung dafür ist, dass der Privatklägerschaft überhaupt ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt werden kann, vgl. Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO). Insoweit geht die in Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO statuierte Pflicht zur Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren Art. 30 Abs. 3 OHG vor.

 

BGE 1C_95/2017: Der provisorische definitive Fahrausweis

Der Sachverhalt auf einer Zeitachse:

19.08.2011: Erteilung des Führerausweises auf Probe, Kat. B etc.
31.05.2012: Erweiterung des Führerausweises auf Probe, Kat. C etc.

22.05.2013: Verkehrsunfall, mangelnder Abstand, SVG 90 I
07.10.2013: Strafbefehl
16.12.2013: Warnentzug 1 Mt., Verlängerung Probezeit, angefochten

19.08.2014: Erteilung definitiver Ausweis

17.04.2015: Bestätigung Ausweisentzug, obere kantonale Instanz, rechtskräftig
Vollzug Massnahme: 28.01.-27.02.2016

11.03.2016: Mitteilung durch StVA, dass der wiedererteilte Ausweis wieder auf Probe mit Probezeit von einem Jahr ab Ende der Massnahme.

Gesetzliche Grundlagen: Art. 15a Abs. 3 SVG, Art. 35 VZV, Art. 16 Abs. 1 SVG

Der Beschwerdeführer möchte die Erteilung eines definitiven Ausweises mit Gültigkeit ab 19.08.2015, also rückwirkende Anrechnung der Probezeitverlängerung. Die Beschwerde wird abgewiesen, das BGer stellt aber fest, dass hier ein im Gesetz nicht vorgesehener Fall vorliegt.

E. 4.4: Grds. besteht ein Rechtsanspruch auf den def. Führerausweis, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind (s. BGE 6B_1019/2016). „Le permis à l’essai est alors échu (cf. art. 95 al. 2 LCR par opposition à l’art. 95 al. 1 let. c LCR; voir également Rapport de la Commission des transports et des télécommunications du Conseil national du 22 avril 2010, in FF 2010 3584 ch. 4) et l’autorité administrative est tenue de délivrer un permis de conduire définitif, à tout le moins provisoirement, si l’intéressé à suivi la formation complémentaire prescrite et déposé le certificat en attestant“.

Tritt danach der Fall ein, dass die Probezeit hätte verlängert werden müssen, so sind gemäss Art. 16 Abs. 1 SVG die Voraussetzungen für den definitiven Ausweis nicht erfüllt: „A l’issue d’une telle procédure judiciaire, en cas de confirmation de la décision de retrait du permis de conduire à l’essai et de la prolongation de la période probatoire, l’une des conditions nécessaire à l’octroi d’un permis définitif – à savoir l’écoulement complet de la période d’essai (cf. art. 15b al. 2 LCR; Message, FF 1999 4130) – n’est plus réalisée de sorte que ce permis définitif doit être retiré en application de l’art. 16 al. 1 LCR (dans le même sens, cf. CÉDRIC MIZEL, op.cit., n. 83.1.5, p. 635 s.).“

Die verlängerte Probezeit muss ab dem Ende der Massnahme beginnen (Art. 35 Abs. 2 VZV): „quant à la prolongation de la période probatoire, qui se matérialise par la délivrance d’un nouveau permis de conduire à l’essai (cf. art. 35 al. 2 OAC) d’une durée d’une année, celle-ci doit impérativement commencer à courir dès la fin de l’exécution de la mesure de retrait sanctionnant la première infraction, en application des art. 15a al. 3 2e phrase LCR et 35 al. 2 OAC.“

E. 4.5: Das Bundesgericht hat erkannt, dass hier ein Systemfehler im Gesetz vorliegt. Die kantonalen Behörden haben keine Möglichkeit, mit der Erteilung des def. Ausweises zuzuwarten, wenn noch Verfahren bzgl. Administrativmassnahmen hängig sind: „Cette solution est certes insatisfaisante et présente une certaine incohérence: elle a pour effet d’entrecouper la période probatoire, soumises à des règles particulières liées au but éducatif poursuivi (cf. ATF 136 II 447 consid. 5.1 p. 454), par un régime de permis définitif. Elle s’impose toutefois pour des motifs de sécurité du droit, l’intéressé étant, d’une part, formellement titulaire d’un permis définitif lors de la commission de la seconde infraction et, d’autre part, la décision portant sur sa première infraction n’étant, par définition, pas encore définitive et exécutoire; cette solution s’impose également d’un point de vue systématique, la loi ne permettant pas la prolongation du permis à l’essai au motif d’une procédure pendante (cf. consid. 4.4), le législateur n’ayant d’ailleurs pas voulu que la période probatoire de trois ans soit prolongée de plus d’une année (cf. Message p. 4130).“

 

Def. Führerausweis

BGE 6B_1019/2016: Voraussetzungen für die Erteilung des definitiven Führerausweises (teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer, Inhaber des Führerausweises auf Probe, fährt im Juli 2014 im Kanton Zürich ein Auto, obwohl ihm der Führerausweis auf Probe im Februar 2014 in Italien entzogen wurde. Im Zeitpunkt der Fahrt war der Führerausweis auf Probe abgelaufen. Die kantonalen Instanzen verurteilen den Beschwerdeführer u.a. wegen Fahrens nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des auf Probe ausgestellten Führerausweises gemäss Art. 95 Abs. 2 SVG. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 1.4.4: Grundsätzlich hat ein Autofahrer einen Rechtsanspruch auf Erteilung des definitiven Ausweises, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind:

–       Die Probezeit ist abgelaufen.
–       Die Weiterbildungskurse wurden besucht.
–       Das Gesuch um Erteilung des def. Ausweises wurde gestellt bzw. die elektronische Bestätigung des Kursveranstalters wurde an das StVA geschickt.

Vorliegend hat das StVA ZH einfach zugewartet mit Erteilung des def. Fahrausweises, weil die italienischen Behörden den Ausweis dorthin geschickt haben. Dieses Vorgehen ist im Gesetz nicht vorgesehen. Steht der Verfall des Führerausweises auf Probe im Sinne von Art. 15a Abs. 4 SVG zur Debatte, ist der Führerausweis nach der Rechtsprechung aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich umgehend vorsorglich zu entziehen, wobei das Annullierungsverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens sistiert werden kann (E. 1.4.3).

Fazit: Das StVA hätte den Ausweis auf Probe vorsorglich entziehen müssen und nicht einfach zuwarten dürfen.

Geschwindigkeit

BGE 6B_95/2017: Schematismus GÜ (tlw. Gutgeheissene Beschwerde, allerdings kassatorisch)

Der Beschwerdeführer fuhr in einer 30er Zone 22km/h zu schnell, wofür er von den kantonalen Instanzen – entgegen dem Schematismus – wegen SVG 90 II verurteilt wurde. Das BGer heisst die Beschwerde gut, weist die Sache allerdings an die Vorinstanz zurück, da diese den Sachverhalt ungenügend ermittelt habe und somit nicht festgestellt werden konnte, ob die strengen Voraussetzungen von SVG 90 II erfüllt sind.

Fazit: Gewisse Tendenzen sind erkennbar, dass die Strafbehörden eine Verschärfung des Schematismus zu erreichen versuchen.

Zuständigkeit zur Anordnung einer Blutprobe

BGE 6B_996/2016: Anordnung der Alkoholblutprobe (teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer beschädigt beim Verlassen des Parkfeldes ein anderes Auto, fährt „wegen Harndrang“ nach Hause, trinkt dort zwei Gläser Wein und begibt sich nach einem Telefonat durch die Polizei wieder zur Unfallstelle. Diese stellt Alkoholgeruch fest und ordnet eine Blutprobe an.

Das BGer bestätigt den Schuldspruch wegen Nichtbeherrschen (SVG 31 I i.V.m. 90 I), wegen pflichtwidrigem Verhalten (SVG 51 III i.V.m. 92 I) und Vereitelung (SVG 91a I). Die Beschwerde wird allerdings in Bezug auf das FiaZ-Delikt gutgeheissen, da die nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft die Blutprobe hätte anordnen müssen:

E. 3.4: „NIKLAUS SCHMID führt dazu aus, zur im Prinzip schriftlichen (Art. 241 Abs. 1 StPO) Anordnung von Blutproben sei im SVG-Bereich nicht die Polizei, sondern nur die Staatsanwaltschaft oder allenfalls das Gericht zuständig (Urteil 6B_532/2016 vom 15. Dezember 2016 E. 1.4.1). Mit der ersatzlosen Streichung von Art. 55 Abs. 5 SVG könnten die Kantone die Anordnungskompetenz nicht mehr der Polizei zuweisen.“

E. 3.5: „In casu liegt eine schriftliche Anordnung der Polizei in den Akten. Ob die Luzerner Polizei die Blutentnahme rechtmässig anordnete, ist durchaus zweifelhaft (vgl. Art. 198 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 241 Abs. 1 StPO), lässt sich aber weder aufgrund der erst- und vorinstanzlichen Urteile noch der Akten mit Sicherheit entscheiden. Insbesondere scheint keine nachträgliche schriftliche Bestätigung der Staatsanwaltschaft vorzuliegen (Art. 241 Abs. 1 Satz 2 StPO). Von einer Anordnungskompetenz bei „Gefahr im Verzug“ (im Sinne des in casu nicht anwendbaren Art. 241 Abs. 3 StPO) wird ohnehin nicht ausgegangen werden können.“

Landwirtschaftliche Fahrt

BGE 1C_391/2016: Die landwirtschaftliche Fahrt, Fahren ohne Berechtigung (gutgeheissene Beschwerde)

Es handelt sich hier um eine Detailproblematik, da die Beschwerde aber gutgeheissen wurde, wird das Urteil aufgeführt.

Der Beschwerdeführer besitzt den Ausweis Kat. M/G/G40. Er fuhr mit seinem Trekker samt Anhänger Müll für eine Gemeinde zur Entsorgungsstelle. Diese Fahrt kann nicht unter die gemäss Art. 86 VRV erlaubten landwirtschaftlichen Fahrten subsumiert werden. Der Beschwerdeführer wurde von der Jugendstaatsanwaltschaft wegen Fahren ohne den erforderlichen Ausweis (Art. 95 SVG) gebüsst. Das Strassenverkehrsamt bzw. die Staatsanwaltschaft SH entzog daraufhin den Führerausweis für einen Monat (Art. 16b SVG). Das BGer hebt die Verfügung auf.

E. 2.2: Zwar war der Beschwerdeführer auf einer nicht landwirtschaftlichen Fahrt, für welche er eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 90 VRV benötigt hätte, allerdings erhielt er vom StVA die Falschauskunft, dass es keine solchen Bewilligungen für Abfallfahrten gäbe.

E. 2.3: Der Tatbestand „Fahren ohne Berechtigung“ bezweckt den Schutz übriger Verkehrsteilnehmer, die nicht auf ihrem Fahrzeug ausgebildet sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Auf einer landwirtschaftlichen Fahrt hätte der Beschwerdeführer ohne weiteres fahren dürfen.

E. 2.4: “ Diese Ausführungen zur strafrechtlichen Seite der Angelegenheit sind schlüssig. Daraus ergibt sich für die verwaltungsrechtliche Beurteilung die Konsequenz, dass der Beschwerdeführer kein Motorfahrzeug geführt hat, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen (Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG), was mit einem Führerausweisentzug von mindestens einem Monat zu ahnden wäre (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG).“ “ Es liegt damit nicht einmal eine leichte Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften vor (Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG e contrario), seine Verfehlung entspricht qualitativ einer Widerhandlung, die im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden könnte. Auf jeden Fall kann ein besonders leichter Fall angenommen und auf jegliche Massnahmen verzichtet werden (Art. 16a Abs. 4 SVG).“