Ohne Beweise kein Raser / Nachvollziehbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung

BGE 6B_774/2017: Schematismus bei GÜ (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen GÜ innerorts um 31km/h erhielt der Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen grober Verkehrsregelverletung. Vor erster Instanz wurde er aber wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt, weil er an einen krebskranken Freund gedacht habe und insofern den subjektiven Tatbestand von SVG 90 II nicht erfüllt habe. Das Obergericht verurteilt wiederum wegen grober, was vom BGer geschützt wird.

E. 5.1. zum Schematismus: „Nach der Rechtsprechung ist ungeachtet der konkreten Umstände der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG objektiv erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird.“

E. 5.2. zu den subj. Voraussetzungen: “ Die Annahme von Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ist restriktiv zu handhaben, weshalb nicht unbesehen von einer objektiv groben auf eine subjektiv grobe Verkehrsregelverletzung geschlossen werden darf. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der Schwere des Erfolgs objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht zu betrachten ist, wiegt auch subjektiv schwer.“ „Das Bundesgericht verneinte ein rücksichtsloses Verhalten in einem Fall, in dem ein Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h auf einer Autobahn übersehen hatte (Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 E. 3.2). Es verneinte Rücksichtslosigkeit auch im Fall der Missachtung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_622/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 3.5).“

E. 6.: Das BGer bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II, denn auch wenn der Beschwerdeführer an seinen krebskranken Freund gedacht hat, so durfte ihm als erfahrenem Autofahrer nicht entgehen, dass er auf einer Strassen mit Innerortscharakter unterwegs war.

 

BGE 6B_101/2017: Kein Raser mangels Beweisen (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde wegen massiver Geschwindigkeitsüberschreitung von 130km/h von den kantonalen Instanzen für eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung verurteilt worden. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde.

E. 1. Zur Beweiswürdigung: Es geht rein um die Würdigung der Beweiskraft eines Videos. Nach den Vorinstanzen war auf dem Video eines Geschwindigkeitsmessgeräts ein Polizeiauto erkennbar und insofern den Aussagen eines Polizisten Glauben zu schenken. Nach der Meinung des Bundesgerichts hingegen sei auf dem Video kein Blaulicht zu erkennen. Der Sachverhalt wurde willkürlich festgestellt

Der Entscheid bringt nichts Neues, ist einfach der Vollständigkeit halber dabei.

Rasen wie im Game

BGE 6B_698/2017: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer vollzog ganz in GTA-Manier mehrere haarsträubende Überholmanöver auf der Autobahn, bei welchen er u.a. einem vorfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von zwei Kilometern bis auf eine Handbreite, Stossstange an Stossstange folgte. Als ihm die Geduld ausging, fuhr er leicht auf das Auto auf, um die Lenkern zum Wechseln auf den Normalstreifen zu bewegen. Ebenfalls überholt er ein anderes Auto in Rennfahrermanier rechts. Der Beschwerdeführer wehrt sich im Wesentlichen gegen die Schuldsprüche wegen Gefährdung des Lebens und qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 129 StGB: „In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Sie liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt.“ Subjektiv verlangt der Tatbestand direkter Vorsatz.

E. 4.3. Subsumtion: „Der Tatbestand von Art. 129 StGB ist bereits beim eingeräumten ungenügendem Abstand „während lediglich weniger Sekunden“ erfüllt“. Durch das Touchieren des vorfahrenden Fahrzeuges, musste er mit einem folgenschweren Unfall rechnen, vertraute aber darauf, dass dieser nicht eintritt.

E. 5.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG: „Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die Gefahr muss mithin unmittelbar sein.“

E. 5.3. zum Rechtsüberholen: Rechtsüberholen ist im Normalfall eine grobe Verkehrsregelverletzung. „Das zu beurteilende Rechtsüberholen war hochgradig riskant und gefährlich und ist damit als waghalsig einzustufen und nicht vergleichbar mit einem „einfachen“ Rechtsvorbeifahren (erstinstanzliches Urteil S. 29). Der Schuldspruch im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist nicht zu beanstanden.“

E. 5.4./5. Zum Abstand: Der Beschwerdeführer verhielt sich wie im Actionfilm, weshalb auch das Abstandsvergehen unter Art. 90 Abs. 3 SVG zu subsumieren ist.

E. 6ff. Zur Konkurrenz zwischen Art. 129 StGB und Art. 90 Abs. 3 SVG: StGB 129 schützt das Rechtsgut „Leben“, SVG 90 III jenes der „Verkehrssicherheit“, mittelbar allerdings auch das Leben. SVG 90 III ist zwar lex specialis zu StGB 129 und ginge diesem vor, ebenso lässt sich argumentieren, dass das höchstrangige Rechtsgut Leben der Verkehrssicherheit vorgehe. Als abstraktes Gefährdungsdelikt setzt der mittelbare Lebensschutz von SVG 90 III früher ein, als jener des konkreten Gefährdungsdeliktes von StGB 129. Allerdings erfasst StGB 129 wiederum verschuldensmässig weniger schwere und schwerere Straftaten als SVG 90 III in Bezug auf das Strafmass. Ob nun der eine den anderen Tatbestand konsumiere, könne nicht abschliessend beurteilt werden. Da weder Spezialität noch Konsumtion in Frage kommt, liegt ein Fall von „Alternativität“ vor (gemäss Stratenwerth). Das BGer urteilt aber nicht abschliessend, da es nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstossen will.

Wer also seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben will, sollte dies zu Hause mit dem Spielemedium seiner Wahl machen und nicht auf öffentlichen Strassen.

Nur noch Raser auf Schweizer Strassen?

BGE 6B_1399/2016: Nicht jeder Crasher ist ein Raser (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer fuhr am 19. November 2013 gegen 7:15 Uhr auf der A8 in Richtung Interlaken. Um einen vor ihm auf der einspurigen und richtungsgetrennten Autostrasse fahrenden Personenwagen zu überholen, fuhr er auf den Rastplatz Därligen. Bei der Ausfahrt des Rastplatzes verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und schleuderte quer über die Autostrasse. Dabei durchbrach er die Mittelleitplanke und kam auf der Gegenfahrbahn zum Stillstand, wo er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Die obere kantonale Instanz (Obergericht BE) verurteilt den Beschwerdeführer wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer heisst die Beschwerde dagegen gut.

E. 1.3. zum Rasertatbestand: „Nach Art. 90 Abs. 3 SVG wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.“ „Die Vorinstanz erwägt, das Verhalten des Beschwerdeführers enthalte Elemente aller drei Regelbeispiele von Art. 90 Abs. 3 SVG.“

E. 1.3.1./2. zur Geschwindigkeit: Grds. sind die Limiten in Art. 90 Abs. 4 SVG zur Beurteilung heranzuziehen. Eine krasse Geschwindigkeitsüberschreitung kann allerdings auch vorliegen, „wenn eine knapp unterhalb der Grenzwerte liegende Geschwindigkeitsüberschreitung im Vergleich mit anderen Missachtungen der Höchstgeschwindigkeit als besonders gefährlich erscheint, etwa aufgrund besonders schwieriger Strassen- und Verkehrsverhältnisse (vgl. BGE 6B_148/2016). Die Höchstgeschwindigkeit vor Ort war sowohl auf der Autostrasse, als auch auf dem Rastplatz 80kmk/h, die der Beschwerdeführer leicht überschritt. Den Grenzwert von 140km/h erreicht er bei weitem nicht. Er erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht.

E. 1.3.3. zum waghalsigen Überholen: „Damit ein Überholen waghalsig im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist, muss es nicht nur gewagt, sondern unsinnig sein (BUSSY/RUSCONI/JEANNERET/KUHN/MIZEL/MÜLLER, Code suisse de la circulation routière commenté, 4. Aufl. 2015, N. 5.2 zu Art. 90 SVG). Bei Überholmanövern wird typischerweise und in erster Linie der Verkehr auf der Gegenfahrbahn gefährdet. Bei der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Fahrt über den Rastplatz fehlt es – unabhängig davon, ob er das vor ihm fahrende Auto überholen wollte – an einer derartigen Gefährdung des Gegenverkehrs. Demnach liegt auch kein waghalsiges Überholen im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG vor.“

E. 1.3.4. zum Rennen: „Eine Teilnahme an einem unbewilligten Rennen setzt voraus, dass mindestens zwei Verkehrsteilnehmer ausdrücklich oder konkludent einen Geschwindigkeitswettstreit vereinbaren (GERHARD FIOLKA, Grobe oder „krasse“ Verkehrsregelverletzung? Zur Auslegung und Abgrenzung von Art. 90 Abs. 3-4 SVG, Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2013, S. 346 ff., S. 366; WOHLERS/COHEN, a.a.O., S. 12). Eine derartige Abrede zwischen dem Beschwerdeführer und dem Lenker des überholten Fahrzeugs liegt nicht vor. Von der Teilnahme an einem Rennen kann daher keine Rede sein.“

E. 1.3.6: „Ein blindes Befahren des Rastplatzes mit relativ hoher Geschwindigkeit wäre prinzipiell geeignet, den Tatbestand der in Art. 90 Abs. 3 SVG enthaltenen Generalklausel zu erfüllen.“ Dies war aber vorliegend nicht erstellt.

Dieses Urteil widerspiegelt die generelle Tendenz der Strafbehörden, Autofahrer härter anzupacken. Die Verschärfung des Geschwindigkeitsschematismus auf Autobahnen ist ein weiteres Beispiel. Nur das Bundesgericht steht (noch) für eine zurückhaltende Anwendung des Rasertatbestandes (vgl. auch BGE 6B_876/2016).

 

Die Dashcam-Odysee geht weiter…

BGE 6B_758/2017: Die Dashcam-Odyssee geht weiter

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund von Indizienbeweisen wegen zu geringem Abstand und dem Überfahren einer doppelten Sicherheitslinie auf kantonaler Ebene Verurteilt. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des Sachverhaltes. Zu seinen Ungunsten wirken sich hauptsächlich die Aussage des vorfahrenden Lenkers aus, dass er das Fahrzeug zu ca. 90% selber lenkt und Dashcam-Aufnahmen, die im erstinstanzlichen Verfahren noch berücksichtigt wurden, vor der Rechtsmittelinstanz jedoch nicht mehr. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu den Ausführungen der Vorinstanz: Zunächst wird festgehalten, dass die Aussagen des anderen Fahrers glaubhaft seien und eine Verwechslung ausgeschlossen werden könne. Auch wenn theoretisch andere Personen mit dem Auto des Beschwerdeführers fahren können, so fahre er nach eigenen Angaben doch zu 90-95% das Auto selbst. Auch ein schlüssiges Alibi konnte der Beschwerdeführer nicht liefern. „Zu den Dashcamaufzeichnungen hält die Vorinstanz fest, es erscheine zumindest problematisch, das Geschehen auf der Strasse ständig zu filmen. Der Anzeigeerstatter sei aber berechtigt gewesen, die Dashcam in Betrieb zu nehmen bzw. laufen zu lassen, nachdem ihn der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug bedrängt habe. Mit anderen Worten habe die Aufzeichnung des Überfahrens der doppelten Sicherheitslinie durch den ersten deutlich gewichtigeren Verstoss einen Anlassbezug erhalten, sodass keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung und damit auch kein Beweisverwertungsverbot für den zweiten Verstoss vorliege (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.).“

E. 1.3. zum Willkürverbot

E. 1.4.1f. zur vorinstanzlichen Beweiswürdigung: “ Ausschlaggebend war, dass er der Hauptlenker des Tatfahrzeugs war, die Täterbeschreibung des Anzeigeerstatters auf ihn zutrifft, Ersterer ihn auch als Täter identifizierte und er nichts vorbrachte, was für seine Abwesenheit am Tatort zur Tatzeit sprechen könnte.“ „Kommt die Vorinstanz anhand von Indizien zum Schluss, der Beschwerdeführer sei der Lenker des Fahrzeugs gewesen, ist auch dessen Vorwurf unbegründet, der Grundsatz „in dubio pro reo“ sei verletzt.“

E. 1.4.3 zur Dashcam: „Die Dashcamaufzeichnungen des Anzeigeerstatters erachtet die Vorinstanz lediglich für den Zeitraum nach der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung von Art. 34 Abs. 4 SVG bzw. für den Schuldspruch der im Nachhinein erfolgten einfachen Verletzung der Verkehrsregeln durch Überfahren der doppelten Sicherheitslinie als verwertbar. Die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnungen für den Zeitraum vor dem Bedrängen durch den Beschwerdeführer lässt sie entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers offen und stellt im Sinne seiner vor den Vorinstanzen noch vertretenen Auffassung nicht darauf ab (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.). Konsequenterweise würdigt die Vorinstanz die Aufzeichnungen für diesen Zeitraum nicht. Darin liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Vorinstanz begründet, weshalb sie auf die Aufzeichnungen insoweit nicht abstellt. Die Frage der Verwertbarkeit der Dashcamaufzeichnungen kann auch vor Bundesgericht offenbleiben. Entscheidend wäre von vornherein nicht die Reaktion bzw. Einschätzung der Situation durch den Anzeigeerstatter, sondern die durch den ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren geschaffene erhöhte abstrakte Gefahr.

Zwar lässt das Bundesgericht die Frage der Dashcamaufnahmen als Beweis offen, es scheint aber in die Richtung zu gehen, dass wenn die Aufnahme ab einem Anfangsverdacht beginnt, diese Verwertbar sein soll, zumindest nach der Meinung der Vorinstanz. Die Frage nach der Verhältnismässigkeit wird nicht beantwortet. Auch wenn dies im Rahmen der Beweisverwertung sinnvoll sein mag, besteht hier immer noch ein grosses Missbrauchspotential. Wer garantiert, dass die Aufnahme einer dauernd laufenden Dashcam nicht nachträglich am Computer zurecht geschnitten wird mit der nachträglichen Behauptung, dass mit der Videoaufnahme erst mit dem Anfangsverdacht begonnen wurde…

Klassisches Rechtsüberholen bleibt SVG 90 II

BGE 6B_558/2017: Klassisches Rechtsüberholen ist SVG 90 II (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer überholt auf der Autobahn einen Autofahrer rechts, indem er ausschwenkt, rechts vorbeifährt und wiedereinbiegt auf die Überholspur. Das BGer bestätigt die Verurteilung wegen SVG 90 II.

E. 1.2. zu den obj. und sub. Voraussetzungen von SVG 90 II u.a.: „Grundsätzlich ist von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (Urteil 6B_1004/2016 vom 14. März 2017 E. 3.2 mit Hinweis).“

E. 1.3. zum Rechtsüberholverbot

E. 1.5. zur Subsumption: „Wie dargelegt, ist grundsätzlich von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, die das Verhalten des Beschwerdeführers subjektiv weniger schwer erscheinen liessen.“

 

Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.

Starker Harndrang entschuldigt GÜ nicht

BGE 6B_15/2017: Starker Harndrang entschuldigt GÜ nicht

Für das gelegentliche Schmunzeln: Der Beschwerdeführer hat ausserorts die Geschwindigkeit um 30 km/h überschritten. Er musste dringend „Wasser lassen“ und macht deshalb einen Notstand geltend. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.4: „Insbesondere führt das kantonale Gericht aus, für die Annahme eines rechtfertigenden Notstands fehle es bereits an der erforderlichen (absoluten) Subsidiarität, hätte der Beschwerdeführer doch am Strassenrand anhalten und dort urinieren können. Daran ändere nichts, dass dies für ihn aus Gründen der guten Erziehung nicht in Frage gekommen sei. Es lägen auch keine ernsthaften Gründe vor, welche an der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zweifeln liessen. Dieser habe sich gezielt und bewusst gegen das Urinieren am Strassenrand und für das Aufsuchen der entfernten Toilette mit übersetzter Geschwindigkeit entschieden.“

THC-Carbonsäure-Grenze und Ausweichemanöver

VGE GL vom 29.06.2017: Fahreignungsabklärung ab einem THC-COOH-Wert (THC-Carbonsäure) von 75µg/L (Bestätigung Rechtsprechung)

Bei einer Verkehrskontrolle fiel der Drogenschnelltest positiv auf Cannabis aus. Das IRM Bern führte eine Blutprobe durch. Der THC-Wert war mit 1.4µg/L unter dem in Art. 34 ASTRA-VO stipulierten Grenzwert, weshalb keine Fahrunfähigkeit vorlag. Das Strassenverkehrsamt verfügte aber eine Fahreignungsabklärung wegen dem höheren THC-COOH-Wert von 68µg/L. Das VGer heisst die Beschwerde gegen die Abklärung gut.

E. 5.2: „Eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin Zürich (IRMZ) empfiehlt eine Fahreignungsprüfung hingegen erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L, weil eine Konzentration im Blut ab diesem Wert mit einem chronischen Cannabiskonsum vereinbar sei (Munira Haag-Dawold, Fahreignungsbegutachtung, in Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2009, St. Gallen 2009, S. 25 ff., 33). Auch bei erstmaligem Fahren unter Cannabiseinfluss wird vertreten, eine verkehrsmedizinische Begutachtung erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L anzuordnen (Isa Thiele, Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum, in Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2005, S. 105 ff., 118). Die Aussagekraft des THC-COOH-Werts wird hingegen in einer neuen Studie des IRM Bern bestritten, da ein solcher Wert mit einer geringen Sensitivität belastet sei. Dabei wird postuliert, die THC-COOH-Glucoronid-Konzentration als zusätzlichen Indikator für die Unterscheidung des gelegentlichen vom häufigen Cannabiskonsumenten zu verwenden (IRM Bern, S. 11).“

E. 5.3: „Naheliegend erscheint es daher, zumindest bei Fahrzeugführern, welche einen einwandfreien automobilistischen Leumund aufweisen und bei denen keine Gefahr eines Mischkonsums oder andere Hinweise für eine fehlende Fähigkeit, Drogenkonsum und Teilnahme am Strassenverkehr trennen zu können, eine verkehrsmedizinische Begutachtung erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L anzuordnen. Dies entspricht zum einen einem namhaften Teil der medizinischen Lehre und zum andern der Praxis anderer deutschschweizer Kantone.“

Der Entscheid deckt sich grds. mit der Rechtsprechung des BGer (BGE 1C_618/2015 E. 3.3).

 

BGE 6B_1006/2016: Das Ausweichmanöver als Nichtbeherrschung

Der Beschwerdeführer weicht auf einer Überlandstrasse in einer Kurve einem unerwartet auf seiner Spur rückwärtsfahrenden Fahrzeug aus, wobei er ins Schleudern gerät und unterhalb der Strasse zum Stillstand kommt. Das BGer bestätigt die Verurteilung wegen SVG 31 I i.V.m. 90 I.

E. 2.1: Zunächst stellt das BGer fest, dass im Bruchteil der Sekunde des Entscheidens in einer gefährlichen Situation auch das Wählen einer suboptimalen Lösung entschuldbar ist („Toutefois, est excusable celui qui, surpris par la manoeuvre insolite, inattendue et dangereuse d’un autre usager ou par l’apparition soudaine d’un animal, n’a pas adopté, entre diverses réactions possibles, celle qui apparaît après coup objectivement comme étant la plus adéquate (cf. arrêt 1C_361/2014 du 26 janvier 2015 consid. 3.1 et références citées)“.

Allerdings kann ab einem gewissen Zeitpunkt das Wählen der schlechteren Lösung dem Fahrer auch wieder angelastet werden („En revanche, lorsqu’une manoeuvre s’impose à un tel point que, même si une réaction très rapide est nécessaire, elle peut être reconnue comme préférable, le conducteur est en faute s’il ne la choisit pas (ATF 83 IV 84; cf. également arrêt 1C_361/2014 du 26 janvier 2015 consid. 3.1 et références citées)“.

E. 2.2/3: In der Folge schützt das BGer die Ansicht der Vorinstanz, dass die erste Lenkbewegung nach rechts zum Ausweichen adäquat war, das brüske Lenken nach links allerdings, um wieder auf die Strasse zu gelangen, war nicht mehr entschuldbar. So wäre ein leichtes nach links Lenken die klar bessere Lösung gewesen.

Ein etwas seltsamer Entscheid. Gerne würde ich die Richter in einer vergleichbaren Situation mit kühlem Gemüt über die Strasse schliddern sehen.

 

Missachtung Gelblicht bei einspuriger Baustelle

BGE 6B_1416/2016: Die einspurige Baustelle

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verurteilung für eine grobe Verkehrsregelverletzung. Auf einer zweispurigen Strassen überholt er bei der Ampelanlage das vorfahrende Fahrzeug und fährt bei Gelb in die einspurige Baustelle, wo er – je nach Version – anhalten musste wegen dem Gegenverkehr bzw. einer Beschädigung an seinem Fahrzeug. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2.2 zu den subjektiven und objektiven Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung.

E. 1.2.3 zum Gelblicht: „Gelbes Licht bedeutet, wenn es auf das grüne Licht folgt: „Halt“ für alle Fahrzeuge, die noch vor der Verzweigung halten können (Art. 68 Abs. 4 lit. a der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 [SSV; SR 741.21]). Das Beachten von Lichtsignalen, insbesondere des Gelblichts, gehört zu den elementarsten Pflichten, die ein Fahrzeuglenker zu befolgen hat. Ein Gelblicht, das bei einer Anhaltemöglichkeit vor der Ampel unbedingt „Halt“ gebietet, zählt zudem zu den auffälligsten, die Sicherheit im Strassenverkehr gewährleistenden Verkehrszeichen überhaupt. Wer trotz ausreichender Möglichkeit, während der Gelbphase anzuhalten, mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfährt, der handelt rücksichtslos und grobfahrlässig im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG, auch wenn er hofft, noch vor dem Umschalten auf Rot an der Ampel vorbeizukommen. Denn er muss sich bewusst sein, dass er sich noch während der Rotphase auf der Kreuzung befinden wird, was stets mit einem erheblichen Risiko für das Leben und die Gesundheit seiner Mitmenschen verbunden ist (BGE 123 IV 88 E. 4a und 4c mit Hinweisen).“

E. 1.4.1 zur subjektiven Kompnente: „Es erscheint gar als besonders rücksichtslos, dass er vor der Vorbeifahrt am ihm unmissverständlich „Halt“ gebietenden Gelblicht noch ein vorschriftsmässig anhaltendes Fahrzeug überholte, um überhaupt auf die Baustellenpassage zu gelangen. Gleiches gilt für den Umstand, dass er anschliessend auf 50 km/h beschleunigte, während die Kolonne vor ihm lediglich mit 30 km/h unterwegs war. Die reduzierte Geschwindigkeit war der Situation offensichtlich angemessenen, zumal im Baustellenbereich allgemein besonders vorsichtiges und aufmerksames Fahren angezeigt ist (Urteil 1C_50/2017 vom 16. Mai 2017 E. 4.3).“

 

Rechtsüberholen, Fristlose Kündigung

BGE 6B_127/2017: Das klassische Rechtsüberholen ist und bleibt eine grobe Verkehrsregelverletzung (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer führt ein klassisches Rechtsüberholmanöver durch. Auf einer dreispurigen Autobahn überholt er zunächst auf der mittleren Spur, wechselt dann auf die Normalspur, überholt weitere Fahrzeuge rechts und wechselt anschliessend wieder auf die mittlere Spur. Er wehrt sich gegen die kantonale Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung, insb. im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung bzgl. Rechtsvorbeifahren (BGE 142 IV 93). Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.2: “ Gemäss Art. 35 Abs. 1 SVG ist links zu überholen. Eine Ausnahme von dem daraus abgeleiteten Verbot des Rechtsüberholens sieht Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV allgemein und Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV für Autobahnen „beim Fahren in parallelen Kolonnen“ vor. Gestattet ist, rechts an anderen Fahrzeugen unter Wechsel des Fahrstreifens vorbeizufahren (sog. Vorfahren), wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist (vgl. Art. 44 Abs. 1 SVG). Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist hingegen gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV ausdrücklich untersagt. Beim Fahren in parallelen Kolonnen auf Autobahnen darf deshalb in keinem Falle durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen rechts überholt werden. Dies ist namentlich der Fall, wenn ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen ausnützt, um auf der rechten Fahrbahn zu überholen (BGE 142 IV 93 E. 3.3 S. 97 mit Hinweisen).“

E. 3: Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen von SVG 90 II.

Bzgl. klassischem Rechtsüberholen bleibt die Rechtsprechung also hart.

 

BGE 4A_625/2016: Grobe Verkehrsregelverletzung rechtfertigt fristlose Kündigung des LKW-Fahrers (Exkurs Arbeitsrecht)

The more you know: Nicht nur erwarten fehlbare Berufsfahrer Strafen und Massnahmen, nun müssen LKW-Fahrer grds. mit einer fristlosen Entlassung rechnen, da ein Unfall mit Personenschaden zu einem „Imageschaden“ des Arbeitgebers führt und damit das Vertrauensverhältnis erschüttern kann.