Die Pflichten nach dem Unfall

Zwei Urteile zu den Pflichten des Autofahrers nach einem Unfall. BGE 6B_626/2018 befasst sich mit den Pflichten nach Sachschaden, BGE 6B_575/2018 mit jenen nach einem Personenschaden.

In BGE 6B_626/2018 fuhr der Beschwerdeführer in ein von der Feuerwehr aufgestelltes Absperrgitter. Nach dem Unfall liess der Beschwerdeführer zwar sein Kontrollschild fotografieren, unterliess es aber, der Feuerwehr seine Personalien anzugeben. Er wehrt sich gegen eine Bestrafung gemäss Art. 92 Abs. 1 SVG.

E. 1.3/4 zu den Pflichten: Gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG muss der Verursacher dem Geschädigten sofort Namen und Adresse angeben. Ist dies nicht möglich, muss er die Polizei verständigen. Die Angabe des Kontrollschildes alleine reicht nicht aus, zumal Halter und Lenker nicht unbedingt die gleiche Person sein muss. Selbst wenn dies zuträfe, ist es nicht Sache des Geschädigten, nach dem Namen und dem Wohnsitz des Beteiligten zu forschen (E. 1.3.1). Der Schädiger muss den Geschädigten über den entstandenen Schaden unterrichten und ihm Namen und Adresse unaufgefordert mitteilen. Die Anzeige hat sofort (unverzüglich) nach dem Unfall zu erfolgen, d.h. so rasch als dies dem Schädiger nach den Umständen zuzumuten ist (E. 1.4.1).

Der Beschwerdeführer gab vor Ort nur sein Kontrollschild an bzw. liess dieses fotografieren. Auch nachdem der Beschwerdeführer, der kein Mobiltelefon besitzt, zuhause ankam, unterliess er es, die ihm bekannte geschädigte Partei zu informieren. Er wurde erst ca. 40min später anhand des fotografierten Kontrollschildes durch die Polizei aufgesucht und identifiziert. Weder gab er vor Ort seine Personalien an, noch verständigte er unverzüglich die geschädigte Partei, als ihm dies möglich war. Die Beschwerde wird abgewiesen.

In BGE 6B_575/2018 beschäftigt sich das Bundesgericht mit der Frage, ab wann eine Verletzung vorliegt, die für eine Führerflucht vorausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer kollidierte mit einem Kind auf dem Fussgängerstreifen. Er gab der Mutter des Kindes seine Adresse bekannt, die Polizei hat er allerdings erst am Folgetag über den Unfall benachrichtigt. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung nach Art. 92 Abs. 2 SVG.

E. 2.2-4 zur Verletzung: Art. 51 Abs. 2 SVG stipuliert, dass im Falle eines Personenschadens den Verletzten zu helfen ist, die Polizei gerufen werden muss und sich die Beteiligten ohne Erlaubnis der Polizei nicht entfernen dürfen. Nach einem Zusammenstoss zwischen Mensch und Maschine ist von einem Verkehrsunfall auszugehen (E. 2.1). Es stellt sich die Frage, ab wann jemand als verletzt gilt. Art. 55 VRV konkretisiert die Regeln bei Personenschäden. Die Polizei muss gemäss Abs. 1 sofort benachrichtigt werden, ausser es liegen gemäss Abs. 2 nur geringfügige Prellungen oder Schürfungen vor. Allerdings liegt auch in diesen Situationen nach der Lehre und Rechtsprechung eine Verletzung im Sinne eines Personenschadens vor. Nur absolut geringfügige, praktisch bedeutungslose Schäden, denen kaum Beachtung geschenkt werden müsse, mache einen Beizug der Polizei nicht nötig. Ein Erschrecken alleine reicht nicht für eine Verletzung aus (E. 2.2.1/2). Da vorliegend die Kollision relativ heftig war, durfte der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass nur unbeachtliche Schäden vorlagen.

E. 2.5 zur Flucht: Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass er nicht geflüchtet sei. Die Flucht setzt allerdings kein krasses Fehlverhalten voraus. Eine Flucht ist bereits gegeben, wenn man seinen Pflichten nicht nachkommt, z.B. indem man sich ohne die Polizei zu rufen vom Unfallort entfernt.

Diese Rechtsprechung macht die Regelung in Art. 55 Abs. 2 VRV bis zu einem gewissen Grad obsolet. Im Zweifelsfalle ist dem Autofahrer zu empfehlen, dass er die Polizei hinzuzieht, wenn irgendwie die Möglichkeit besteht, dass sich jemand beim Unfall verletzt hat.

Drogenschnelltest bei der Polizeikontrolle

BGE 6B_598/2018:

Der Beschwerdeführer widersetzte sich bei einer Polizeikontrolle einem Drogenschnelltest und wurde dafür wegen Vereitelung verurteilt. Neben div. Rügen über die Zusammensetzung der Gerichte sowie den Strafprozess rügt der Beschwerdeführer, dass Art. 91a SVG gegen das Selbstbelastungsverbot verstösst und Drogenschnelltests nicht von der Polizei, sondern von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden müssen.

E. 3 zum Vereiteln: Art. 91a SVG soll verhindern, dass der korrekt sich einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit unterziehende Fahrzeugführer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt. Gemäss Art. 55 Abs. 1 SVG kann die Polizei ohne Verdachtsmomente Fahrzeugführer einer Atemalkoholprobe unterziehen. Bei Anzeichen auf Fahrunfähigkeit, die nicht auf Alkohol zurückzuführen sind, können weitereVoruntersuchungen durchgeführt werden, z.B. Urin- und Speichelproben. Nach Art. 10 Abs. 2 SKV führt die Polizei solche Vortests durch (E. 3.1).

Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass solche Vortests von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden müssen, weil ein Anfangsverdacht vorausgesetzt ist (E. 3.3). Das BGer hat darauf hingewiesen, dass Art. 10 Abs. 2 SKV eine Anordnungskompetenz enthält. Die Lehre wiederum ist gespalten (E. 3.2). Polizeiliche Kontrollen im Strassenverkehr ohne Tatverdacht sind Handlungen im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Kontrolltätigkeit. Fraglich ist, ob die nach Art. 10 Abs. 2 SKV erforderlichen Hinweise auf Fahrunfähigkeit im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nach Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO auszulegen sind.  

Nach der Rechtsprechung genügen für die Durchführung eines Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV bereits geringe Anzeichen für eine durch Betäubungs- oder Arzneimittel beeinträchtigte Fahrfähigkeit, wie beispielsweise ein blasser Teint und wässrige Augen. Nicht zulässig ist eine Voruntersuchung, welche einzig auf der Kenntnis des früheren Drogenkonsums basiert. Art. 55 SVG hat generalpräventive Wirkung. Zudem geht es in Abs. 2 „nur“ um Voruntersuchungen, deren Eingriffsintensität beschränkt ist. Es wird nicht, wie etwa bei der Blutprobe, in die körperliche Integrität der betroffenen Person eingegriffen. Aus diesem Grund sind die von Art. 10 Abs. 2 SKV geforderten Hinweise nicht nicht mit einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO gleichzusetzen. Die Polizei ist befugt, solche Vortests anzuordnen. Erst wenn durch den Vortest aus den Hinweisen ein hinreichender Tatverdacht wird, braucht es eine Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Durchführung weiterer Zwangsmassnahmen, i.e. Blutprobe (E. 3.5).

Art. 91a SVG verstösst auch nicht gegen das Verbot des Selbstbelastungszwanges. Als Halter und Lenker eines Strassenfahrzeuges hat man gegenüber den Behörden gewisse Obliegenheiten, worunter auch Auskunftspflichten fallen. Der EGMR in seiner Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten, dass die Selbstbelastungsfreiheit nicht berührt ist, wenn es um die Entnahme von Beweismitteln wie Blut, Atem, Urin usw. geht, die auch ohne den Willen der beschuldigten Person erlangt werden können (E. 3.6).

Das BGer weist die Beschwerde ab, wobei interessant ist, dass die Hälfte der Verfahrenskosten direkt dem Rechtsvertreter auferlegt, weil dieser das BGer wiederholt mit denselben Rügegründen beschäftigt hat.

Was ist genau eine Einspurstrecke?

BGE 6B_216/2018:

Die Strafbehörden werfen dem Beschwerdeführer vor, auf der Autobahn rechts überholt zu haben. Dieser entgegnet, dass er sich auf einer Einspurstrecke befunden habe, auf welcher man rechts überholen darf.

E. 1 zur Einspurstrecke: Eine Einspurstrecke ist ein Fahrstreifen, der zum Einspuren bestimmt ist und mit Einspurtafeln, die ein Fahrziel angeben, gekennzeichnet ist (E. 1.3). Nach Art. 35 Abs. 1 SVG muss links überholt werden, woraus das Rechtsüberholverbot abgeleitet wird. “ Überholen liegt vor, wenn ein schnelleres Fahrzeug ein in gleicher Richtung langsamer vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bildet“. Gemäss Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV darf man aber auf Einspurstrecken rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren, sofern für die einzelnen Fahrstreifen unterschiedliche Fahrziele signalisiert sind (E. 1.4). Der Beschwerdeführer ist dabei der Ansicht, dass pro Fahrstreifen auch mehrere Ziele signalisiert werden können. Dem widerspricht das Bundesgericht. Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV muss im Lichte des Rechtsüberholverbots eng ausgelegt werden, da Rechtsüberholen nach wie vor eine ernstliche Gefahr für den Verkehr darstellt (E. 1.6). Deshalb kann die Ausnahme von Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV nur gelten, wenn ausschliesslich ein Fahrziel auf der Einspurstrecke signalisiert ist, weil nur dann davon ausgegangen werden kann, dass der linksfahrende nicht doch einen Spurwechsel auf seine Normalspur vornehmen wird.

E. 2 zum Verbotsirrtum: Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er einem Rechtsirrtum unterlegen ist. Der Irrtum darf dabei nicht vermeidbar sein. „Von Inhabern eines Führerausweises wird grundsätzlich erwartet, dass sie die Verkehrsregeln kennen. Liegen Zweifel an der Rechtmässigkeit eines Manövers vor, ist dieses nicht vorzunehmen.“ Mit dieser Argumentation dürfte wohl jeder Irrtum über die Strassenverkehrsregeln vermeidbar sein.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Der unaufmerksame Fussgänger (gutgh. Beschwerde)

BGE 6B_1294/2017

Im Dezember 2014 überfuhr der Beschwerdeführer bei schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen einen Fussgänger, wofür er von den kantonalen Instanzen wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer hingegen heisst seine Beschwerde gut.

E. 1.1./2. zu den Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Vertrauensgrundsatz und rügt, dass er nicht damit habe rechnen müssen, dass ein Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn tritt, wo es keinen Fussgängerstreifen hat. Konkrete Anzeichen für ein Fehlverhalten des Fussgängers habe es nicht gegeben. Die Vorinstanz hingegen geht davon aus, dass der Beschwerdeführer den Fussgänger hätte bemerken und schon früher bremsen müssen.

E. 1.3.-5. zum Rechtlichen: Der Autofahrer muss sein Fahrzeug gemäss Art. 31 SVG stets so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Nach dem Vertrauensgrundsatz in Art. 26 SVG darf er aber davon ausgehen, dass sich sämtliche Verkehrsteilnehmer korrekt verhalten. Wo es keine Fussgängerstreifen hat, ist der Autofahrer gegenüber dem Fussgänger grds. vortrittsberechtigt (vgl. Art. 47 Abs. 5 VRV). „Das Mass der Sorgfalt, die vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen.“

E. 1.6./7. Zur Subsumption: Der Fussgänger überquerte die Fahrbahn 6.5m vor dem Fussgängerstreifen. Er hörte Musik und war unaufmerksam. Die Witterungs- und Sichtverhältnisse waren schlecht, der Fussgänger war dunkel gekleidet. Der Beschwerdeführer hingegen machte trotz Ortskundigkeit keine Kontrollblicke nach links und rechts. Er sah den Fussgänger erst, als dieser auf der Fahrbahn war. Allerdings gab es keine Anzeichen dafür, dass der Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn treten würde. Insofern liegt i.c. keine Sorgfaltspflichtsverletzung vor. Zwischen dem Betreten der Fahrbahn und der Kollision liegen lediglich 0.8 Sekunden, was nicht einmal der durchschnittlichen Reaktionszeit von einer Sekunde entspricht. Es gab keine Kommunikation zwischen den beiden Verkehrsteilnehmern, da der Fussgänger mit dem Rücken zum Beschwerdeführer lief. Das blosse Vorhandensein von erwachsenen Fussgängern auf dem Trottoir erfordert kein Bremsmanöver. Kausale Ursache für den Unfall war das unvorhersehbare Beschreiten der Fahrbahn durch den Fussgänger, womit der Unfall für den Beschwerdeführer nicht vermeidbar war. Der Autofahrer wird freigesprochen.

Diabetes und Fahrunfähigkeit

BGE 6B_1450/2017: Verkehrsunfall wegen Diabetes (Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer ist Diabetiker. Im September 2016 verursachte er einen Unfall. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau warf ihm Fahren in fahrunfähigem Zustand vor, weil er vor der Abfahrt seinen Blutzuckerwert nicht gemessen habe. Das Bezirksgericht sprach in frei, das Obergericht hingegen hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gut. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

E. 1.1 Meinung des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz hat ihren Schuldspruch lediglich mit Richtwerten aus einem Merkblatt für Fahrzeuglenker mit Diabetes mellitus des Kantonsspitals Aarau und aus Richtlinien bezüglich Fahreignung und Fahrfähigkeit bei Diabetes mellitus der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) begründet. Eine konkrete Einzelfallabklärung habe die Vorinstanz aber unterlassen, v.a. weil Sie einen Blutzuckerwert von 5 mmol/l als Minimum für Fahrtauglichkeit einsetzt. Der Beschwerdeführer fühlte sich vor der Fahrt gut und fahrfähig. Zudem hat er vor der Fahrt noch ein Langzeit-Insulin eingenommen.

E. 1.2. Meinung der Vorinstanz: Das Obergericht war der Meinung, dass der Beschwerdeführer mind. eventualvorsätzlich handelte, da er vor der Fahrt einen Blutzuckerwert von 4.8mmol/l gemessen hatte und keine Vorsichtsmassnahmen getroffen habe.

E. 1.3 Meinung des Bundesgerichts: Die Vorinstanz hat nicht gewürdigt, dass der Beschwerdeführer vor Fahrtbeginn ein Langzeit-Insulin eingenommen hat. Zudem hat sie die Richtlinien für Diabetiker generell angewendet und nicht auf den vorliegenden Einzelfall abgestimmt (vgl. auch BGE 1C_840/2013 E. 2.2). Aus diesen Gründen ist der vorinstanzliche Schuldspruch bundesrechtswidrig.

Da hat das Obergericht relativ schludrig gearbeitet und den Sachverhalt willkürlich festgestellt.

Keine Ordnungsbussen für juristische Personen

Urteil 6B_252/2017: Keine Ordnungsbussen für die Firma (gutgh. Beschwerde)

Der Entscheid dreht sich um die Frage, ob juristische Personen aufgrund der im Ordnungsbussengesetz stipulierten Halterhaftung zu Übertretungsbussen verdonnert werden können, wenn sie den Lenker des auf sie eingelösten Fahrzeug nicht bezeichnen können.

E. 1. zur Halterhaftung: Zunächst beschäftigt sich das BGer damit, ob die Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG gegen die Unschuldsvermutung und damit gegen Art. 6 EMRK verstösst. Dieser garantiert ein faires Verfahren und zwingt damit die Anklagebehörde grds. die erforderlichen Beweismittel zu erbringen (E. 1.2.1). Die Unschuldsvermutung gilt allerdings nicht absolut. Bei leichteren Widerhandlungen, die mit geringen Bussen bestraft werden, verstösst eine Halterhaftung nicht gegen Art. 6 EMRK, solange die EMRK-Vertragsstaaten innerhalb vernünftiger Grenzen bleiben (vgl. O’Halloran und Francis gegen Grossbritannien, Urteil vom 29. Juni 2007; Falk gegen Niederlande, Urteil vom 19. Oktober 2004; E. 1.2.2).

Fahrzeughalter akzeptieren grds. die Strassenverkehrsgesetzgebung, aus welcher sich gewisse Obliegenheiten ergeben, z.B. Auskunftspflichten gegenüber Behörden. Weigert sich der Halter, den Lenker anzugeben, kann man ihn nicht dazu zwingen, er hat aber die Konsequenzen daraus zu tragen (E. 1.2.3). Einem Fahrzeughalter ist zuzumuten, die Identität der Person zu kennen, der er sein Fahrzeug anvertraut. Dies gilt auch für juristische Personen. Es entspricht denn auch dem Willen des Gesetzgebers, die Verantwortung des Fahrzeughalters zu stärken und die Behörden von aufwändiger, unverhältnismässiger Ermittlungsarbeit im Bereich ausgesprochener Bagatelldelikte, wie sie im Ordnungsbussenverfahren beurteilt werden, zu entlasten (vgl. E. 1.3.1).

Art. 6 EMRK wird durch die Halterhaftung des OBG nicht verletzt.

E. 2. zur Haltereigenschaft: Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie als juristische Person gar kein Auto fahren könne und schon deshalb nicht strafbar sei. Für die Halterhaftung ist gemäss der Rechtsprechung auf den formellen Halterbegriff abzustellen (vgl. Urteil 6B_432/2017 E. 2.2). Da die Beschwerdeführerin im Fahrzeugausweis eingetragen ist, gilt sie als Halterin nach OBG.

E. 3. zur Strafbarkeit des Unternehmens: Gemäss Art. 102 StGB werden Unternehmen Straftaten zugerechnet, wenn sie aufgrund mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner natürlichen Person zugerechnet werden können, wobei nur Verbrechen und Vergehen genannt werden. Bei Übertretungen haften juristische Personen nur, wenn dies ausdrücklich im Gesetz geregelt ist (E. 3.1.1). Im Strafrecht muss das Legalitätsprinzip streng angewendet werden. Ohne Gesetz gibt es keine Strafe („nulla poena sine lege“; Art. 1 StGB). Ebenso enspringt dem Legalitätsprinzip das Bestimmtheitsgebot, das besagt, dass Strafnormen so präzise fomuliert sein müssen, dass sich ein Durchschnittsbürger danach auch richten kann („nulla poena sine lege certa“). Der Gesetzgeber wollte mit Art. 6 OBG den Halter bei geringen Straftaten im Verkehr in die Pflicht nehmen. Eine ausdrückliche Bestrafung von juristischen Personen für Übertretungen wird darin aber nicht stipuliert. Insofern verletzt eine Ordnungsbusse, welche einer juristischen Person auferlegt wird, das Legalitätsprinzip (E. 3.2).

Mangels gesetzlicher Grundlage können juristische Personen damit nicht mit verkehrsrechtlichen Ordnungsbussen bestraft werden.

Vom Halter zum Lenker

BGE 6B_243/2018: Geschlecht, Alter und Statur reichen aus

Dem Beschwerdeführer wird u.a. vorgeworfen, auf der Autobahn mit zu geringem Abstand gefahren zu sein und das vorfahrende Auto rechts überholt zu haben. Erstinstanzlich wurde er freigesprochen, das Obergericht hingegen hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch gut. Der Beschwerdeführer bestreitet seine Lenkerschaft. Es geht um die Beweiswürdigung.

Der Beschwerdeführer hat seine Vergehen zunächst an einer polizeilichen Einvernahme zugegeben. Da er allerdings über das Bestehen eines Beweisvideos getäuscht worden sei, erachtet er diese Einvernahme als nicht verwertbar (vgl. Art. 140 i.V.m. Art. 141 StPO). Die Vorinstanz war der Meinung, dass es auf die Einvernahme gar nicht ankommt, da der Beschwerdeführer Halter des Fahrzeuges ist und zwei Zeugen den Lenker als „40- bis 50- bzw. 40- bis 45-jährigen, leicht übergewichtigen bzw. stämmigen Mann“ beschrieben haben, der glatzköpfig gewesen sein soll (E. 1.1./2.).

Das BGer lässt offen, ob die Einvernahme verwertbar ist oder nicht, denn „nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann die Haltereigenschaft bei einem Strassenverkehrsdelikt, das von einem nicht eindeutig identifizierbaren Fahrzeuglenker begangen worden ist, ein Indiz für die Täterschaft sein (BGE 6B_791/2011 E. 1.4.1 mit Hinweis; BGE 6B_812/2011 E. 1.5; BGE 6B_628/2010 E. 2.3). Das Gericht kann im Rahmen der Beweiswürdigung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zum Schluss gelangen, der Halter habe das Fahrzeug selber gelenkt, wenn dieser die Tat bestreitet und sich über den möglichen Lenker ausschweigt (BGE 6B_914/2015 E. 1.2; BGE 6B_812/2011 E. 1.5; BGE 6B_439/2010 E. 5.1; BGE 1P.641/2000 E. 4). Nichts anderes kann gelten, wenn der Halter zwar Angaben zum Lenker macht, diese aber unglaubhaft oder gar widerlegt sind (BGE 6B_748/2009 E. 2.2 e contrario; BGE 1P.428/2003 E. 4.6.2; BGE 1P.641/2000 E. 4 e contrario; E. 1.4.2).

Zwar gibt es im ordentlichen SVG-Strafverfahren keine Halterhaftung. Von der Haltereigenschaft als Indiz auf die Täterschaft zu schliessen ist indessen nicht willkürlich (E. 1.4.4.). Ebenso konnten Zeugen die Statur, das Alter und das Geschlecht des Lenkers beschreiben, die mit dem Beschwerdeführer übereinstimmen. Schliesslich war auch das Aussageverhalten des Beschwerdeführers nicht lupenrein. Die Beweiswürdigung der Vorinstanz war damit nicht willkürlich (E. 1.4.5.).

Das „in dubio“-Prinzip wird hier relativ stark aufgeweicht zu Gunsten einer einfacheren Strafverfolgung von Autofahrern. Ebenso scheint eine Art Beweislastumkehr stattzufinden, in welcher der Autofahrer die Beweise für seine Unschuld liefern muss und nicht die Strafbehörden den Beweis für die Schuld. Übergewichtige, mittelalterliche Männer gibt es in der Schweiz wohl einige…

 

Von Rasern und Süchten

BGE 6B_567/2017: Raserurteil (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer überholte ausserorts bei starkem Nebel und vor einer Rechtskurve zwei Autos mit mind. 133km/h. In der Folge kam es auf der Gegenfahrbahn zu einer Frontalkollision, wobei zwei Insassen des korrekt entgegenkommenden Autos getötet wurden. Zwei weitere sowie der Beschwerdeführer wurden schwer verletzt. In den kantonalen Instanzen wurde der Beschwerdeführer wegen eventualvorsätzlicher Tötung und schwerer Körperverletzung sowie dem Rasertatbestand zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer die Verurteilung wegen fahrlässiger Tatbegehung.

E. 2.1.1. zu (Eventual)Vorsatz, (bewusster) Fahrlässigkeit

E. 2.1.2. von der bewussten Fahrlässigkeit zum Eventualvorsatz: „Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen hat, muss das Gericht bei Fehlen eines Geständnisses aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweis).“

„Ein Fahrzeuglenker droht durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Die Annahme, er habe sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden und nicht im Sinne der bewussten Fahrlässigkeit auf einen guten Ausgang vertraut, darf deshalb nicht leichthin angenommen werden (BGE 130 IV 58 E. 9.1 mit Hinweisen). Bei Unfällen im Strassenverkehr kann nicht ohne Weiteres aus der hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits die Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen unter Umständen das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht. Eventualvorsatz in Bezug auf Verletzungs- und Todesfolgen ist bei Unfällen im Strassenverkehr nur mit Zurückhaltung und in krassen Fällen anzunehmen, in denen sich aus dem gesamten Geschehen ergibt, dass der Fahrzeuglenker sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden hat (BGE 133 IV 9 E. 4.4). “

E. 2.2. zum Sachverhalt: Das Überholmanöver des Beschwerdeführers war dermassen irrsinnig, dass weder er, noch der entgegenkommende Lenker den Unfall durch rechtzeitige Reaktion hätten vermeiden können. Als Junglenker, der seit erst vier Monaten den Führerausweis hatte, durfte der Beschwerdeführer auch nicht auf sein Fahrgeschick vertrauen. Nur der Zufall hätte den Unfall verhindern können. Der tatbestandsmässige Erfolg drängte sich derart auf, dass von einer Inkaufnahme seitens des Beschwerdeführers ausgegangen werden muss, umso mehr, weil er die Strecke kannte.

E. 3. Zum Rasertatbestand: Zwar wird die qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung von dem Tatbestand der vorsätzlichen Tötung konsumiert. Zur Erfüllung des Rasertatbestandes reicht aber bereits eine erhöht abstrakte Gefährdung, eine konkrete ist nicht vorausgesetzt. Der Tatbestand zählt beispielhaft „waghalsiges Überholen“ als Tathandlung auf und fordert ein hohes Risiko. Gegenüber den Überholten Fahrzeugen bestand eine erhöht abstrakte Gefährdung und ein hohes Risiko, dass sie in den Unfall hätten involviert werden können. Insofern ist auch der Rasertatbestand erfüllt.

E. 4. Zur Strafzumessung: Lediglich in diesem Punkt heisst das BGer die Beschwerde gut und weist die Sache an die Vorinstanz zurück. 8 Jahre Freiheitsentzug sind zuviel.

Der BGE schliesst nahtlos an BGE 6B_1050/2017 an, in welchem ebenfalls ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung durch Überholen im Nebel erfolgte.

 

BGE 1C_701/2017: Ne gute Repetition zum Alkoholgenuss (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Entscheid fasst die Rechtsprechung zur Fahreignung bzgl. Alkohol gut zusammen. Der Beschwerdeführer wurde nach einer FiaZ-Fahrt zur Fahreignungsabklärung aufgeboten. Die Haaranalyse wies einen EtG-Wert von 57pg/mg auf, woraufhin die KAM vom Kt. FR einen Sicherungsentzug verfügte. Das BGer weist die Beschwerde gegen diese Verfügung ab.

E. 2. zum Sicherungsentzug:

Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen fürs Autofahren gemäss Art. 14 SVG nicht mehr bestehen, muss die Fahrerlaubnis entzogen werden. Werden im Administrativverfahren Sicherungsmassnahmen zugunsten der Verkehrssicherheit verfügt, gilt die Unschuldsvermutung nicht (E. 2.1.). Eine Trunksucht liegt grds. vor, wenn zwischen Konsum und Autofahren nicht mehr getrennt werden kann (E. 2.2). Ein EtG-Wert bei der Haaranalyse von mehr als 30 pg/mg gilt als nicht mehr sozialverträglich und damit übermässig (E. 2.3.1.). Von der Haaranalyse wird nur abgewichen, wenn das die Glaubwürdigkeit des Gutachten ernsthaft erschüttert ist (E. 2.3.2.).

E. 3. Zum Gutachten:

Die Haaranalyse ist mit einer Messunsicherheit von 30% behaftet (E. 3.1.). Ein Gutachten darf nicht ausschliesslich auf dem EtG-Wert abstellen, sondern muss auch die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen beachten (E. 3.2.).

Da im vorliegenden Fall das Gutachten die Voraussetzungen der Rechtsprechung erfüllte, war der Sicherungsentzug berechtigt.

So einfach wird das Grobe zum Einfachen

BGE 6B_1324/2017, das Elefantenrennen (gutgh. Beschwerde)

Beschwerdeführer ist LKW-Fahrer und hat einen anderen Brummi auf der Autobahn überholt. Für sein Ausschwenken auf die Überholspur, wodurch ein PKW abbremsen musste, wurde er mit am Ende des kantonalen Instanzenzugs mit grober Verkehrsregelverletzung bestraft. Vor BGer verlangt er eine einfache Verkehrsregelverletzung und erhält Recht.

E. 1. Zur Sistierung des Administrativverfahrens: Der Beschwerdeführer verlangt die Sistierung des Administrativverfahrens, was natürlich im Strafverfahren nicht geht. Allerdings merkt das BGer an, „dass die Verwaltungsbehörde – sofern ein Strafverfahren eingeleitet worden ist – mit dem Erlass einer administrativen Massnahme grundsätzlich zuwarten muss, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt oder die rechtliche Qualifikation des in Frage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist.“

E. 2.1. zur den Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung, insb. dass die Rücksichtslosigkeit verneint werden kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen.

E. 2.2 zu den Pflichten des Überholenden

E. 2.4. zur Meinung der Vorinstanz: Diese war der Ansicht, dass der Beschwerdeführer auf den Spurwechsel hätte verzichten müssen, da er den nachfolgenden PKW im Seitenspiegel gesehen habe und als erfahrener Berufschauffeur um die Geschwindigkeitsdifferenzen von LKW und PKW wissen müsse. Dass er trotzdem überholte und auch den Blinker zu spät setzte, sei als rücksichtslos zu qualifizieren.

E. 2.5. Meinung des BGer: Nach dessen Ansicht handelte der Beschwerdeführer nicht rücksichtslos. Da der PKW relativ nah am LKW fuhr und fast gleichzeitig zum Überholen ausscherte, ist es durchaus denkbar, dass der Beschwerdeführer diesen beim kurzen Sicherheitsblick übersehen hat. Da der PKW auch schon eine gewisse Zeit hinter dem LKW fuhr, musste der Beschwerdeführer nicht damit rechnen, dass der PKW just im gleichen Moment überholen würde.

Fazit: Man muss stets versuchen, die besonderen Umstände zu finden, welche auf das Fehlen von Rücksichtslosigkeit hindeuten.

Das Ausweichmanöver

BGE 6B_351/2017: Das bestrafte Ausweichmanöver (gutgh. Beschwerde)

Endlich wieder einmal ein BGE mit so richtig saftigem SVG-Fleisch am Knochen. Der Beschwerdeführer war mit seinem Lieferwagen auf einer vortrittsberechtigten Strasse mit ca. 50km/h unterwegs. Plötzlich nahm er ein Auto wahr, das etwa 10m vor ihm von einem Parkplatz auf seine Fahrbahn hinausfuhr. Intuitiv leitete er bremsend ein Ausweichmanöver auf die Gegenfahrbahn ein, wobei es zu einer Kollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kam, dessen Lenker ein Schleudertrauma erlitt. Wegen dem Unfall wurde der Beschwerdeführer von den kantonalen Instanzen TG wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.1./2. zu den Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass in einer Gefahrsituation, in welcher man sich blitzartig für eine Reaktion entscheiden muss, rückblickend dem Reagierenden das Wählen einer objektiv schlechteren Reaktion nicht vorgeworfen werden kann. Die Vorinstanzen hingegen beziehen sich auf ein Gutachten, nach welchem mit einer Vollbremsung die Kollision mit dem vortrittsbelastenden Auto „beinahe“ hätte vermieden werden können. Insofern habe der Beschwerdeführer sein Fahrzeug durch das Vornehmen des Ausweichmanövers nicht beherrscht und gegen Art. 31 SVG verstossen.

E. 1.3. zur Sorgfaltspflichtsverletzung des Fahrlässigkeitsdeliktes im SVG: „Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat.“ “ Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war.“ Im Strassenverkehr ergeben sich die Sorgfaltspflichten aus dem SVG. Das Beherrschen des Fahrzeuges setzt voraus, dass der Lenker seine Aufmerksamkeit der Strasse zuwendet (SVG 31 i.V.m. VRV 3). Ebenso muss er seine Geschwindigkeit stets den Umständen anpassen (SVG 32).“ Dies gilt auch beim Befahren von Hauptstrassen, weil auch der Vortrittsberechtigte der allgemeinen Sorgfaltspflicht untersteht und sich nicht blindlings auf sein Vortrittsrecht verlassen darf (BGE 89 IV 140 E. 3c S. 145 mit Hinweisen).“

In gewissen Situationen wird die Sicht des Vortrittsbelastenden in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche dermassen behindert, „dass er zwangsläufig mit dem Vorderteil seines Wagens in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche gelangt, bevor er von seinem Fahrersitz aus überhaupt Einblick in diese erhält. In solchen Situationen ist daher gemäss der Praxis des Bundesgerichts ein sehr vorsichtiges Hineintasten zulässig, wenn der Vortrittsberechtigte das ohne Sicht langsam einmündende Fahrzeug rechtzeitig genug sehen kann, um entweder selbst auszuweichen oder den Wartepflichtigen durch ein Signal zu warnen (BGE 143 IV 500 E. 1.2.2; 127 IV 34 E. 3c/bb S. 43 f.; 122 IV 133 E. 2a S. 136; BGE 105 IV 339 E. 3; je mit Hinweisen). Dabei darf grundsätzlich darauf vertraut werden, dass vortrittsberechtigte Fahrzeuge abbremsen oder sogar anhalten, wenn das einbiegende Fahrzeug aus genügend grosser Entfernung gesehen werden kann (BGE 89 IV 140 E. 3c; Urteil 6B_1185/2014 vom 24. Februar 2015 E. 2.5).

E. 1.4. zur Meinung des BGer: Entgegen den Vorinstanzen erkennt das BGer im Verhalten des Beschwerdeführers keine Sorgfaltspflichtsverletzung und insofern kein schuldhaftes Verhalten. „Vom Fahrzeuglenker wird grundsätzlich eine richtige, situationsadäquate Reaktion verlangt. Doch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Fahrzeuglenker im Strassenverkehr überraschend in eine kritische Situation kommen kann, in der Fehlentscheide möglich und verständlich sind. Unvermutet auftretende Gefahren stellen oft hohe und höchste Ansprüche an die Reaktionsfähigkeit der Betroffenen, weshalb dem Fahrzeugführer nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn sich seine Reaktion im Nachhinein, nach ruhigem Überlegen und Abwägen, allenfalls nach Durchführung einer technischen Expertise, als nicht die beste aller denkbaren Reaktionsweisen erweist, jedenfalls so lange nicht, als die getroffene Reaktion verständlich und nicht als abwegig oder gar kopflos erscheint (Urteil 1C_361/2014 vom 26. Januar 2015 E. 3.1 mit Hinweisen).“ „Das Bundesgericht verlangt, dass die ergriffene Massnahme und diejenige, welche ex post als die zweckmässigere erscheint, annähernd gleichwertig sein müssen und dass der Fahrzeugführer deren unterschiedliche Wirksamkeit nur deshalb nicht erkannte, weil die plötzlich eingetretene Situation eine augenblickliche Entscheidung erforderte. Wo eine Vorkehr im Vergleich zu andern sich aber derart aufdrängt, dass sie auch im Falle der Notwendigkeit sehr rascher Reaktion als die näherliegende und angemessenere erkannt werden kann, ist es als Fehler anzurechnen, wenn trotzdem eine weniger geeignete getroffen wird.“

Das Ausweichmanöver war nach der Ansicht des BGer im Vergleich zu einer Vollbremsung eine mehr oder weniger gleichwertige Reaktion, weshalb die Kollision nicht schuldhaft verursacht wurde. Erneut erscheint das Bundesgericht als Vertreter des gesunden Menschenverstandes und bewegt sich nach dem zu strengen BGE 6B_1006/2016 in die richtige Richtung.