Vortrittsregel darf nicht aufgeweicht werden

BGE 6B_1300/2016: Spieglein, Spieglein an der Strasse…zum Vortritt (teilw. Gutgeheissene Beschwerde; zur Publikation vorgesehen)

Auf einer Strassenkreuzung im Val de Travers gab es eine heftige Kollision. X. fuhr aus einer nicht vortrittsberechtigten Strasse auf die Kreuzung und kollidierte mit dem Fahrzeug von A. Weil Ersterer keinen Sicherheitsgurt trug, wurde er durch den Unfall dauerhaft querschnittsgelähmt. A. fuhr auf der vortrittsberechtigten Strasse mit 87km/h, obwohl die Tempolimite 60km/h betrug. Zudem schnitt er die Sicherheitslinie. X. verlangt vor BGer einen Freispruch und eventualiter, dass er nur wegen einfacher, nicht aber grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wird.

E. 1.2.1 zum Vortrittsrecht: Auf Kreuzungen gilt der Vortritt grds. auf der ganzen Verkehrsfläche unter dem Vorbehalt abweichender Signale oder Markierungen. Der Vortritt ist missachtet, wenn der Berechtigte seine Fahrweise brüsk ändern muss, z.B. durch plötzliches Bremsen oder Beschleunigen oder wenn er zu einem Ausweichmanöver gezwungen wird. Diese Definition soll aber das Vortrittsrecht nicht aufweichen, dass nach dem BGer als wichtige Verkehrsregel einer klaren und einfachen Anwendung bedarf.

E. 1.2.2 zur Vortrittsbelastung: Der Vortrittsbelastete kann seinen Pflichten nur nachkommen, wenn er die vortrittsberechtigte Strasse in beide Richtungen einsehen kann. Wenn dies nicht der Fall ist, muss sich der Vortrittsbelastete sehr langsam und vorsichtig in die vortrittsberechtigte Strasse hineintasten („très lentement et prudemment“), z.B. wenn die Sicht durch eine Mauer oder eine Hecke beeinträchtigt ist.

E. 1.2.3 zu Spiegeln: Spiegeln im Strassenverkehr dürfen lediglich als Notbehelfe („moyen de fortune“) betrachtet werden. Um eine grösseres Sichtfeld abzudecken, sind die Spiegel meistens konvex. Dies wiederum macht aber das Schätzen von Geschwindigkeit und Distanz von im Spiegel sichtbaren Fahrzeugen äusserst schwierig.

E. 1.2.4 zum Vertrauensgrundsatz: Auf diesen kann sich berufen, wer sich selber regelkonform verhält.

E. 1.3.: Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer das vortrittsberechtigte Fahrzeug im Spiegel sah. Er befand sich deshalb in einer unklaren Situation und hätte das vortrittsberechtige Auto vorbeifahren lassen müssen. Indem er in die vortrittsberechtigte Verkehrsfläche fuhr, hat er die Verkehrsregeln verletzt. Er kann sich auch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, denn er hatte via Spiegel Sicht auf das vortrittsberechtigte Fahrzeug, tastete sich aber dennoch in die Kantonsstrasse vor.

E. 2. zu SVG 90 II: Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut. Die objektiv vorausgesetzte ernsthafte Gefährdung liegt zwar vor, die subjektiven Voraussetzungen sind aber in diesem Einzelfall nicht erfüllt. Eine grobe Fahrlässigkeit kann dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden. Er war ortsunkundig und insb. der Spiegel trug massgeblich zur Falscheinschätzung der Distanz und Geschwindigkeit des Beschwerdeführers bei.

Wenn also an einer Strassen ein Spiegel steht, muss man diesen beachten und darf sich nicht in die vortrittsberechtigte Strasse hineintasten, ansonsten missachtet man den Vortritt. Auch wenn die Folgen einer Vortrittsmissachtung gravierend sein können, so ist ein konvexer Spiegel aber als Gegenindiz zu werten, aufgrund von welchem von einer groben Verkehrsregelverletzung abgesehen werden muss.

Beweisverwertungsverbot von Einvernahmen

BGE 6B_129/2017: Wenn das Gesagte nicht gilt (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von den kantonalen Instanzen wegen einer Vielzahl von Straftatbeständen wie einfacher Körperverletzung, Nötigung, qualifiziertem Raub und Widerhandlungen gegen das Waffengesetz verurteilt. Mit Beschwerde vor BGer verlangt er einen teilweisen Freispruch. Er rügt, dass er an diversen von der Staatsanwaltschaft an die Polizei delegierten Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen und Zeugen nicht teilnehmen konnte, womit seine Teilnahmerechte gemäss Art. 147 StPO verletzt wurden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Verwertungsverbot: „Eine Verletzung von Art. 147 Abs. 1 StPO führt gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO zu einem Beweisverwertungsverbot gegenüber der Partei, die an der Beweiserhebung nicht anwesend war (BGE 139 IV 25 E. 5.4.1 S. 34). Dies gilt für Einvernahmen im  gleichen Verfahren. Gemäss der Praxis des Bundesgerichtes (BGE 140 IV 172, bestätigt in BGE 141 IV 220 E. 4.5 S. 230) kommt den Beschuldigten hingegen in  getrennt geführten Verfahren im jeweils anderen Verfahren keine Parteistellung zu.“

E. 1.6.1: „Sämtliche Einvernahmen wurden somit im gleichen Verfahren ST.2011.4075 durchgeführt.“ „Werden Aussagen, welche die Befragten in Einvernahmen ohne Teilnahme des Beschwerdeführers machten, in späteren Konfrontationseinvernahmen den Befragten wörtlich vorgehalten, so werden diese Aussagen im Sinne von Art. 147 Abs. 4 StPO unzulässigerweise verwertet.“

E. 1.6.2. zu den Spielregeln für die Strafbehörden: „Art. 147 Abs. 4 StPO hält klar fest, dass Beweise, die unter Verletzung des Teilnahmerechts erhoben worden sind, nicht zulasten der Partei verwertet werden dürfen, die nicht anwesend war. Und ebenso deutlich sieht Art. 141 Abs. 1 StPO vor, dass Beweise in keinem Fall verwertbar sind, wenn die Strafprozessordnung einen Beweis als unverwertbar bezeichnet. Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise sind denn auch nach Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Strafakten zu entfernen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss zu halten und danach zu vernichten. Sind Beweise in keinem Fall verwertbar und aus den Strafakten zu entfernen, hat dies auch Konsequenzen für die weitere Untersuchungsführung. Die aus unverwertbaren Einvernahmen erlangten Erkenntnisse dürfen weder für die Vorbereitung noch für die Durchführung erneuter Beweiserhebungen verwendet werden.“

Nun muss die Vorinstanz sich damit herumschlagen, ob die rechtmässigen Beweise für eine Verurteilung ausreichen.

Gefährdung des Lebens, Halterhaftung im OBG

BGE 6B_303/2017: „Mich kontrolliert keiner!“ (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug eine Verkehrskontrolle durchbrochen, wofür er u.a. von den kantonalen Instanzen wegen Gefährdung des Lebens verurteilt wurde. Seine Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

E. 4. zur Gefährdung des Lebens: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Vorausgesetzt ist dabei eine Gefahr für das Leben; eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht.“ Durch das Verhalten des Täters muss für dritte Lebensgefahr bestehen, wobei subjektiv direkter Vorsatz gefordert ist. Damit für eine Person Lebensgefahr durch ein Fahrzeug besteht, muss dieses mit einer gewissen Geschwindigkeit fahren. Sofern „nur“ die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung besteht, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Weil die kantonalen Instanzen es versäumten, die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln, kann nicht gesagt werden, ob für die Polizisten tatsächlich Lebensgefahr bestand. Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 6. Zur fahrlässigen Körperverletzung: Diese bedingt stets ein ordentlich gestellter Strafantrag. Aus der Konstituierung als Privatklägerschaft kann kein Strafantrag abgeleitet werden.

E. 7. Zur groben Verkehrsregelregelverletzung: Die Weisungen der Polizei gemäss SVG 27 sind stets wichtige Verkehrsregeln und wenn man diese missachtet bzw. wenn man eine Verkehrskontrolle durchbricht, verhält man sich rücksichtslos.

Die Gefährdung des Lebens ist also von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als Beschuldigter ist es empfehlenswert, keine Angaben zur Geschwindigkeit zu machen, die Strafbehörden wiederum sollten diese unbedingt ermitteln.

 

BGE 6B_432/2017: Bussen bezahlen für andere… (Bestätigung Rechtsprechung)

Die Beschwerdeführerin hat als formelle Halterin eines Fahrzeuges mehrere Ordnungsbussen erhalten, obwohl sie mit diesem nicht mehr fährt. Das BGer verdonnert sie dazu, diese zu bezahlen.

E. 2.2: In der Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447 ff.) wird klargestellt, dass es nicht – wie im Haftpflichtrecht – auf die materielle Eigenschaft des Halters ankommt, sondern auf die formelle der im Fahrzeugausweis eingetragenen Person (BBl 2010 8517; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.4). Bei den Angaben des Halters nach Art. 6 Abs. 4 OBG darf es sich nicht um eine wenig plausible Information handeln. Name und Adresse des Fahrzeugführers müssen vollständig sein. Es müssen genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers gemacht werden, so dass dieser individualisierbar ist (BBl 2010 8487; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.5).

Es zählt also, was im Fahrzeugausweis steht und nicht, wer konkret mit dem Auto unterwegs ist.

Kosten für Blutprobe

BGE 6B_563/2017: Kosten für die Blutprobe (gutgh. Beschwerde)

Beim Beschwerdeführer wurde anlässlich einer Verkehrskontrolle ein Drugwipe durchgeführt, der positiv auf Cannabis ausfiel. In der anschliessend (rechtswidrig) durchgeführten Blutprobe konnte kein THC, sondern nur das Abbauprodukt THC-COOH nachgewiesen werden. Das Verfahren wegen FuD wurde eingestellt, die Kosten des Verfahrens aber dem Beschwerdeführer auferlegt, wogegen er sich erfolgreich wehrt.

E. 1.2. zur Kostenauflage: Ein widerrechtliches Verhalten alleine reicht für die Auferlegung der Verfahrenskosten nicht aus. Das Verhalten der beschuldigten Person muss adäquat gewesen sein für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens. Die Überbindung der Kosten bei Freispruch oder Einstellung hat Ausnahmecharakter. Es ist ferner verfassungswidrig, einem Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden.

E. 1.3./4. Zu den Ansichten der Parteien: Nach der Vorinstanz habe „der Beschwerdeführer durch sein widerrechtliches Verhalten dazu unmittelbar Anlass gegeben und das Verfahren adäquat-kausal verursacht. Daran vermöge eine allfällige Unverwertbarkeit der aus der Blutprobe gewonnenen Erkenntnisse nichts zu ändern, da er zugegeben habe, eineinhalb Tage vor der Verkehrskontrolle einen Joint Cannabis geraucht zu haben.“ Nach Ansicht der Beschwerdeführers habe er „32 Stunden nach dem Konsum, als die Wirkung längst verflogen gewesen sei, nicht damit rechnen müssen, dass ein Strafverfahren wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand eingeleitet werden würde.“

E. 1.6./7. Zur Konklusion: Einerseits wurde die Blutprobe falsch angeordnet und ist nicht verwertbar, andererseits muss der zugegebene Cannabiskonsum gesondert betrachtet werden. Die Kosten dürfen nicht der beschuldigten Person auferlegt werden.

Ob diese Rechtsprechung auch dann anwendbar ist, wenn die Blutprobe korrekt angeordnet worden wäre, ist nicht abschliessend beurteilbar. Geht man davon aus, dass nach mehr als 24h Konsum nicht mehr mit einem FuD-Vorwurf gerechnet werden muss, dürfte diese Rechtsprechung konsequenterweise auch bei korrekter Blutprobe anwendbar sein.

Der Raser beschäftigt weiter

BGE 6B_24/2017: Rasen, Rasen, Rasen (Präzisierung Rechtsprechung)

Nachdem sich das BGer in BGE 142 IV 137 zu den subjektiven Voraussetzungen des Rasertatbestandes geäussert hat, möchte der Beschwerdeführer wissen, ob bei einer GÜ nach SVG 90 IV das objektive Element von SVG 90 III des grossen Unfallfallrisikos mit Schwerverletzten oder Todesopfern immer erfüllt, oder separat zu prüfen ist. Er hat in der 50er Zone die Tempolimite mit einem Motorrad um 58km/h überschritten.

E. 1.2: Das Bundesgericht hat bereits festgestellt, dass bei einer GÜ nach SVG 90 IV die objektiven Voraussetzungen von SVG 90 III und prinzipiell auch die subjektiven Voraussetzungen erfüllt sind. Die Frage, ob bei einer GÜ nach SVG 90 IV automatisch ein grosses Unfallrisiko mit Todesfolge angenommen werden könne, wurde bis jetzt vom BGer noch nicht vertieft beantwortet.

E. 1.3. zum allg. Schematismus: Das BGer verweist auf die gefestigte Rechtsprechung, nach welcher bei Tempoexzessen grds. ein Schematismus zur Anwendung gelangt, es sei denn, es lägen ausserordentliche Umstände vor. Eine abstrakte Gefährdung liegt bei Tempoexzessen grds. vor.

E. 1.4-6 zur Lehre und Rechtsprechung: Das BGer verweist einerseits auf die Kritik in der Lehre zum Schematismus, andererseits auf die Rechtsprechung, dass bei Tempoexzessen, welche SVG 90 IV nicht erfüllen, ebenfalls eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung vorliegen kann (z.B. BGE 6B_148/2016) und kommt zum Schluss, dass bei GÜ nach SVG 90 IV prinzipiell die zweite obj. Voraussetzung von SVG 90 III, das Unfallrisiko, erfüllt ist. In ausserordentlichen Fällen, z.B. wenn die Geschwindigkeit nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit limitiert ist, kann ein Tempoexzess im Rahmen von SVG 90 IV den objektiven Tatbestand von SVG 90 III nicht erfüllen. Daraus folgt, dass SVG 90 IV eine umstossbare gesetzliche Vermutung enthält.

Im vorliegenden Fall lagen keine ausserordentlichen Umstände vor. Der Motorradfahrer ist ein Raser.

Lichthupe rechtfertigt eine Vollbremsung nicht

BGE 6B_359/2017: Lichthupe rechtfertigt eine Vollbremsung nicht

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung und Nötigung. Nach einem Überholmanöver auf der Autobahn wurde der Beschwerdeführer vom überholten und nunmehr auf der Überholspur nachfahrenden Fahrzeug mehrmals per Lichthupe dafür „gerügt“, ein rechtswidriges Überholmanöver durchgeführt zu haben. Durch die Lichthupe und das Fernlicht sah sich der Beschwerdeführer in einem Notstand, worauf er abrupt bis fast zu Stillstand bremste und es zu einer kleinen Auffahrkollision kam. Das BGer verneint einen Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund und weist die Beschwerde ab.

E. 2.2 zu den Voraussetzungen von SVG 90 II: „Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen).“

E. 2.3: „Gemäss Art. 12 Abs. 2 VRV sind brüskes Bremsen und Halten nur gestattet, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.“

E. 2.4 zur Nötigung

E. 3.1: „Dass man durch das Licht respektive durch Fernlicht eines hinter einem fahrenden Personenwagens beim Blick in den (Rück-) Spiegel geblendet wird, ist eine alltägliche, wenn auch unangenehme, Verkehrssituation, die fast jeder Automobilist kennt. Eine normale und verkehrsadäquate Reaktion wäre gewesen, den Winkel des Innenspiegels mit dem extra hierfür angebrachten Hebel zu verstellen (oder nicht mehr in den Rückspiegel zu schauen).“ „Ein bewusstes und abruptes Abbremsen auf der Überholspur bei dicht folgendem Verkehr ist keine nachvollziehbare oder erklärbare Reaktion auf Fernlicht „von hinten.““

E. 3.2. richterlicher Fingerzeig: „Es steht den einzelnen Verkehrsteilnehmern nicht zu, das (Fahr-) Verhalten anderer Automobilisten zu beurteilen und – aus welchen Motiven auch immer – zu sanktionieren oder zu disziplinieren. Das Bremsmanöver auf der Überholspur war höchst gefährlich und begründet erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers. Dass Y.________ sich ebenfalls verkehrswidrig und anmassend verhalten hat, ändert hieran nichts. Völlig unverständlich ist zudem, dass die beiden Unfallverursacher eine Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet und behindert haben, indem sie trotz des glimpflichen Auffahrunfalls bis zum Eintreffen der Polizei die Überholspur blockierten, anstatt die Autobahn möglichst schnell und gefahrlos frei zu geben.“

Das BGer rügt den Bremsenden zu Recht und fügt an, dass bei einer Schikanebremsung „erhebliche Zweifel an der Fahreigung“ eines Lenkers bestehen, präjudiziert damit in gewisser Weise das Administrativmassnahmenverfahren, denn bei erheblichen Zweifeln ist durchaus ein vorsorglicher Entzug mit Fahreignungsabklärung angesagt.

Parteientschädigung bei Übertretungen

BGE 6B_322/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen (gutgeheissene Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wurde von den Ermittlungsbehörden das Führen eines nicht vorschriftsgemässen Traktor vorgeworfen. Von diesem Vorwurf sprach ihn der Richter erster Instanz frei, sprach ihm aber keine Parteientschädigung zu. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer nun erfolgreich vor BGer.

E. 2.4.1. zur Entschädigung: „Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat.“

Der Entscheid zitiert ausdrücklich den bereits erwirkten BGE 6B_193/2017. Gegen die Ansicht der Bundesrichter ist nichts einzuwenden. Nur zu oft werden im Rahmen des „in dubio pro durore“-Prinzips Bürger mit Strafbefehlen konfrontiert. Wehrt man sich erfolgreich dagegen, werden einem die (Anwalts)Kosten, welche letztlich der Staat verursacht, dafür nicht ersetzt. Diese Praxis müssen die Strafbehörden dringend überdenken.

Ohne Beweise kein Raser / Nachvollziehbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung

BGE 6B_774/2017: Schematismus bei GÜ (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen GÜ innerorts um 31km/h erhielt der Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen grober Verkehrsregelverletung. Vor erster Instanz wurde er aber wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt, weil er an einen krebskranken Freund gedacht habe und insofern den subjektiven Tatbestand von SVG 90 II nicht erfüllt habe. Das Obergericht verurteilt wiederum wegen grober, was vom BGer geschützt wird.

E. 5.1. zum Schematismus: „Nach der Rechtsprechung ist ungeachtet der konkreten Umstände der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG objektiv erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird.“

E. 5.2. zu den subj. Voraussetzungen: “ Die Annahme von Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ist restriktiv zu handhaben, weshalb nicht unbesehen von einer objektiv groben auf eine subjektiv grobe Verkehrsregelverletzung geschlossen werden darf. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der Schwere des Erfolgs objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht zu betrachten ist, wiegt auch subjektiv schwer.“ „Das Bundesgericht verneinte ein rücksichtsloses Verhalten in einem Fall, in dem ein Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h auf einer Autobahn übersehen hatte (Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 E. 3.2). Es verneinte Rücksichtslosigkeit auch im Fall der Missachtung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_622/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 3.5).“

E. 6.: Das BGer bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II, denn auch wenn der Beschwerdeführer an seinen krebskranken Freund gedacht hat, so durfte ihm als erfahrenem Autofahrer nicht entgehen, dass er auf einer Strassen mit Innerortscharakter unterwegs war.

 

BGE 6B_101/2017: Kein Raser mangels Beweisen (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde wegen massiver Geschwindigkeitsüberschreitung von 130km/h von den kantonalen Instanzen für eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung verurteilt worden. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde.

E. 1. Zur Beweiswürdigung: Es geht rein um die Würdigung der Beweiskraft eines Videos. Nach den Vorinstanzen war auf dem Video eines Geschwindigkeitsmessgeräts ein Polizeiauto erkennbar und insofern den Aussagen eines Polizisten Glauben zu schenken. Nach der Meinung des Bundesgerichts hingegen sei auf dem Video kein Blaulicht zu erkennen. Der Sachverhalt wurde willkürlich festgestellt

Der Entscheid bringt nichts Neues, ist einfach der Vollständigkeit halber dabei.

Zu den Kosten

BGE 6B_1382/2016: Kostenauflage bei Freispruch (Bestätigung Rechtsprechung)

Im Rahmen eines Gazprom-Deals tätigte der Beschwerdeführer mehrere Zahlungen nach Russland, wofür er wegen Bestechung fremder Amtsträger angeklagt wurde. Das Bundesstrafgericht sprach ihn zwar frei, auferlegte ihm aber die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 63’000.00. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer und verlangt u.a. eine Entschädigung von CHF 347’922.30. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu StPO 426: Wenn die beschuldigte Person rechtswidrig oder schuldhaft ein Strafverfahren einleitet oder verzögert, können ihr trotz Freispruch die Kosten auferlegt werden. Dabei darf aber die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen, d.h. die beschuldigte Person muss in zivilrechtlich vorwerfbarer Weises – analog gemäss OR 41 – das Verfahren verzögert haben. Das Bundesgericht prüft dies frei und greift nur bei Willkür ein.

Die Vorinstanz erachtete die Bezahlung von Geldern an Gazprom-Mitarbeiter durch eine vom Beschwerdeführer beherrschten Gesellschaft als Vertragswidrigkeit, da in sog. Consultancy Agreements die Verpflichtung eingegangen wurde, eben keine Zahlungen direkt an Mitarbeiter von Gazprom zu leisten. Darin liege sodann das zivilrechtliche Verschulden. Dieser Ansicht folgt das BGer und weist die Beschwerde ab

 

BGE 6B_1389/2016: Angemessene Parteientschädigung bei Freispruch (teilw. gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von der Bundesanwaltschaft wegen Bestechung fremder Amtsträger und Geldwäscherei angeklagt. Das Verfahren wegen Geldwäscherei wurde eingestellt, bzgl. Bestechung erfolgte ein Freispruch. Dem Beschwerdeführer wurde eine Entschädigung von CHF 123k und Genugtuung von 2k zugesprochen. Dagegen wehrt er sich und verlangt eine Entschädigung von CHF 459’640.95 und Genugtuung von CHF 30k. Es geht um die Frage, was ein „angemessener Aufwand“ des Verteidigers im Strafverfahren ist.

E. 2.2.1 zu StPO 429: Grds. hat man bei bei Einstellung oder Freispruch Entschädigungsanspruch für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte. „Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (BGE 142 IV 163 E. 3.1.2; 138 IV 197 E. 2.3.4 mit Hinweis). Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 18.3.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 143 IV 214).“

E. 2.4.2./3. zu den Verteidigerkosten: Weil sich der Wahlverteidiger nicht in der Verfahrenssprache deutsch ausrücken konnte, bestellte das Bundesstrafgericht einen amtlichen Verteidiger. Die Verteidigung durch mehrere Anwälte ist unproblematisch, man muss einen Hauptverteidiger bestimmen. Da das Verfahren nach Ansicht der Vorinstanz nicht komplex war, d.h. Anwälte von versch. Spezialgebieten nicht erforderlich waren, hätte der Wahlverteidiger eher zurücktreten müssen.

E. 2.7.3./4. zu den Kosten: Begründet ist die Beschwerde nur darin, dass die Vorinstanz nicht auswies, welche Auslagen und welchen Zeitaufwand der erbetenen Verteidigung sie nun genau anerkannte. Diesbzgl. wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Das Pferd als Haustier

BGE 4A_241/2016: Das Pferd als Haustier (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdegegner ist auf der Autobahn auf einen Pferdeanhänger aufgefahren, wobei sich das Pferd verletzte. Dieses wohnt in einem Stall ca. 6km vom Tierhalter entfernt. Es stellt sich die Frage, ob das Tier noch „im häuslichen Bereich“ lebt, denn in diesem Fall können auch Heilungskosten geltend gemacht werden, die den Wert des Tieres übersteigen (i.c. CHF 74’393.90). Stirbt es, kann ein Affektionswert durchgesetzt werden. Die kantonalen Instanzen wiesen Klage und Berufung ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

E. 2. zur Lehre: Es gibt zwei Lehrmeinungen. Nach der einen versteht man unter Tieren im häuslichen Bereich „heimhaltungstaugliche Haustiere […], welche nach ihrer Wesensart und Beschaffenheit zu einem häuslichen oder sonst engen räumlichen Zusammenleben mit dem Menschen geeignet sind“. Nach der anderen Auffassung muss die emotionale Beziehung zum Tier beachtet werden. Der entscheidende Gesichtspunkt sei „eine gewisse Häufigkeit der Kontakte, so dass es mehr auf die zeitliche Intensität als die örtliche Nähe ankomme.“

E. 3. Auslegung: Das BGer legt den Begriff mit pragmatischem Methodenpluralismus aus und kommt zum Schluss, dass es weniger auf den geographischen Standort eines Tieres ankommt, sondern eher auf die emotionale Bindung zu diesem. Sofern also ein Pferd, welches in einiger Distanz zum Wohnort des Halters lebt, aber von diesem und dessen Familie selber gepflegt wird, sowie es mit einem „klassischen Haustier“ der Fall wäre, ist beim Pferd von einem Tief „im häuslichen Bereich“ auszugehen.

Der Entscheid ist sicher richtig. Nicht jeder „Pferdeflüsterer“ kann sich ein Stall in den Garten stellen und die Beziehung zu einem Pferd als Freizeittier ist sicher mit derjenigen zu einer Hauskatze oder einem Hund vergleichbar.