Starker Harndrang entschuldigt GÜ nicht

BGE 6B_15/2017: Starker Harndrang entschuldigt GÜ nicht

Für das gelegentliche Schmunzeln: Der Beschwerdeführer hat ausserorts die Geschwindigkeit um 30 km/h überschritten. Er musste dringend „Wasser lassen“ und macht deshalb einen Notstand geltend. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.4: „Insbesondere führt das kantonale Gericht aus, für die Annahme eines rechtfertigenden Notstands fehle es bereits an der erforderlichen (absoluten) Subsidiarität, hätte der Beschwerdeführer doch am Strassenrand anhalten und dort urinieren können. Daran ändere nichts, dass dies für ihn aus Gründen der guten Erziehung nicht in Frage gekommen sei. Es lägen auch keine ernsthaften Gründe vor, welche an der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zweifeln liessen. Dieser habe sich gezielt und bewusst gegen das Urinieren am Strassenrand und für das Aufsuchen der entfernten Toilette mit übersetzter Geschwindigkeit entschieden.“

Von Rasern und Dashcams

BGE 6B_67/2017: Gefährdung des Lebens durch SVG-Widerhandlungen

Der Beschwerdeführer flüchtete mit qualifizierter BAK und ohne Fahrberechtigung vor der Polizei, wobei er in einem Tunnel dermassen schnell in eine Kurve fuhr, dass das Fahrzeug nur noch auf den rechten Rädern fuhr und die Dachkannte des Wagens entlang der Tunnelwand schrammte. Sämtliche Mitfahrer waren nicht angegurtet und schrien dabei panisch. Das BGer bestätigt u.a. den Schuldspruch wegen Art. 129 StGB.

E. 2.2.: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Eine solche liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV 1 E. 5.1; 121 IV 67 E. 2b/aa). Dies setzt indes nicht voraus, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Rechtsguts grösser sein muss als jene ihres Ausbleibens (BGE 121 IV 67 E. 2b/aa; 94 IV 60 E. 2). Die Gefahr muss mithin unmittelbar, nicht aber unausweichlich erscheinen (BGE 94 IV 60 E. 2).

Der subjektive Tatbestand verlangt in Bezug auf die unmittelbare Lebensgefahr direkten Vorsatz.“

E. 2.3. Subsumption: Das BGer bejaht danach die Erfüllung des Tatbestandes, u.a. weil der Beschwerdeführer ausgesagt habe, „sein Leben sei ihm durch den Kopf gegangen, als er auf den beiden Rädern gestanden sei.“

Ein Raserentscheid ohne Rasertatbestand…

 

KGE SZ vom 20.06.2017: Unverwertbarkeit von privaten Dashcam-Aufnahmen

Private Dashcam-Aufnahmen sind nicht verwertbar, weil der Datenschutz, auch bei groben Verkehrsregelverletzungen, höher zu gewichten ist, als das Strafverfolgungsbedürfnis des Staates.

E. 3. zur Beweiserhebung durch Private: „Das Bundesgericht hält es für überzeugend, von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur dann als verwertbar zu betrachten, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für die Verwertung spricht (BGer 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E.2.4.4).“ Es besteht zwar kein staatliches Beweismonopol, trotzdem sind private Beweise nur äusserst zurückhaltend zu verwerten.

E. 3 b) zum Datenschutz: „Wird ein aufgezeichnetes Kennzeichen durch Vergrösserung zur Identifikation des Fahrzeughalters ablesbar gemacht, wird die informationelle Integrität des den Wagen lenkenden Halters beeinträchtigt und damit seine Persönlichkeit verletzt (dazu vgl. etwa Aebi-Müller, CHK 3, ZGB 28 N 3; Wermelinger, DSG SHK, 2015, Art. 12 DSG N 2;auch BGE 138 II 146 E. 10.2 und 10.6.2).“

E. 3 b) cc) zur Interessensabwägung Strafverfolgung vs. Datenschutz: “ Allein aufgrund der Anzeige des Fahrlehrers hätte ohne die rechtswidrig beschafften bzw. bearbeiteten Aufzeichnungen kein Strafverfahren gegen einen identifizierbaren Täter eröffnet werden können. Da der Fahrlehrer zur Datenbeschaffung keine privaten Interessen hatte (oben lit. bb) und die Verkehrsregelverletzungen, obwohl sie mutmasslich grob waren, keine schwerwiegenden Straftaten sind (vgl. unten E. 4.b), ist die Verwertung der für die Polizei nicht erhältlichen (oben lit. aa) Aufzeichnungen nicht gerechtfertigt. Ansonsten würde in Kauf genommen, dass Private den verfassungsmässigen Schutz vor Datenmissbrauch aushebeln (Art. 13 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 BV). Zudem würden im Vorfeld des staatlichen Strafmonopols für Personen falsche Anreize zur privaten Beweiserhebung geschaffen, ohne dass sie einem entsprechenden Verfahren an diesen Beweisen je selber ein Interesse haben könnten. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine justizförmige Strafverfolgung (siehe ebenfalls Art. 2 StPO) und die Interessen des in seiner Privatheit bzw. Freiheit rechtlich geschützten Beschuldigten an einem fairen Verfahren überwiegen bei nicht schweren Straftaten diejenigen der Strafverfolgung an der Wahrheitsfindung (dazu vgl. auch Gless, a.a.O., Art. 139 StPO N15 f. und 28) und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.“

Ein wichtiges Urteil, welches die Bürger davor schützt, dass einerseits „Hobbydetektive“ aus Langeweile Jagd auf andere machen und andererseits die Strafbehörden in Umgehung der strafprozessualen Voraussetzungen an Beweise gelangen können.

 

Flying-Rockets-Fall

BGE 6B_360/2016: Die Unsorgfaltsgemeinschaft (gutgeheissene Beschwerde und dogmatisch höchst interessant)

Am Silvester 2013 zündeten zwei Cousins je zwei Feuerwerksraketen, wovon eine auf einen Balkon fiel und einen Brandschaden von CHF 868’951.00 verursachte. Welche Rakete genau den Brand verursachte, war nicht ermittelbar. Beide Cousins wurden mit Strafbefehl wegen Art. 222 StGB bestraft. Die erste Instanz sprach die Beschuldigten frei, die Berufung der Staatsanwaltschaft dagegen wurde gutgeheissen. Das BGer wiederum heisst die Beschwerde der Beschuldigten gut und spricht diese frei. Der Entscheid ist deshalb interessant, weil er sich intensiv mit der im „Rolling-Stones-Entscheid“ (BGE 113 IV 58) kreierten Unsorgfaltsgemeinschaft auseinandersetzt. Grds. stellt sich die Frage, ob Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten möglich ist.

E. 4.6: Es stellt sich die Frage, ob eine Gesamthandlung i.S.v. BGE 113 IV 58 vorliegt. „Aus dieser Beweisführung folgt, dass die beiden einzig„beschlossen“, vier Raketen zu starten, und zwar jeder deren zwei. Die Art und Weise des Startens bestimmte jeder für sich, „d.h. ohne vorgängige Absprache“ (ebenso bereits die Erstinstanz, oben E. 4.3).“

E. 4.7: Das BGer fasst übersichtlich die versch. Lehrmeinungen zum Rolling-Stones-Fall zusammen und kommt zum Schluss, dass „ohne die Literatur erschöpfend auszuwerten, [sich] schliessen [lässt], dass die Konzeption einer fahrlässigen Mittäterschaft von der wohl herrschenden Lehre abgelehnt und BGE 113 IV 58 in der Begründung und weniger im Ergebnis kritisiert wird, während JOSÉ HURTADO POZO mit der Konzeption der „Unsorgfaltsgemeinschaft“ einen konstruktiven dogmatischen Entwurf zu der mit BGE 113 IV 58 aufgeworfenen Sachproblematik vorlegt.“

E. 4.8: Das BGer untersucht seine eigene Rechtsprechung zur Thematik mit bes. Augenmerk auf das Strassenverkehrsrecht.

E. 4.9: Eine Unsorgfaltsgemeinschaft wird dann angenommen, wenn eine „Gesamthandlung“ vorliegt, die Täter gemeinsam die Tat von Anfang bis Ende durchführen – so wie im Rolling-Stones-Fall. Vorliegend beschlossen die Beschwerdeführer zwar gemeinsam nach draussen zu gehen, die Modalitäten der Raketenzündung entschieden sie aber je für sich. „Vielmehr ist [daher] festzustellen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der vorinstanzlich angenommenen Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58 beweismässig nicht erstellt sind. Der gemeinsame Beschluss einer sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht nachgewiesen (bereits Erstinstanz, oben E. 4.3).“

E. 4.10: Mittäterschaft bzw. der gemeinsame Tatentschluss muss grds. bewiesen sein.

E. 4.11: „Wegen des nur mangelhaft durchgeführten Beweisverfahrens lässt sich nicht mehr eruieren (Erstinstanz) bzw. ist nicht mehr zu ermitteln (Vorinstanz), welcher der beiden Beschwerdeführer die brandauslösende Rakete gezündet hatte. Insbesonders ist auch deren individuell-konkretes Vorgehen und der diesbezüglich rechtserhebliche subjektive Sachverhalt nicht mehr zu eruieren.“

Da die Beschwerdeführer nicht von Anfang bis Ende gemeinsam handelten, wurden Sie freigesprochen.

THC-Carbonsäure-Grenze und Ausweichemanöver

VGE GL vom 29.06.2017: Fahreignungsabklärung ab einem THC-COOH-Wert (THC-Carbonsäure) von 75µg/L (Bestätigung Rechtsprechung)

Bei einer Verkehrskontrolle fiel der Drogenschnelltest positiv auf Cannabis aus. Das IRM Bern führte eine Blutprobe durch. Der THC-Wert war mit 1.4µg/L unter dem in Art. 34 ASTRA-VO stipulierten Grenzwert, weshalb keine Fahrunfähigkeit vorlag. Das Strassenverkehrsamt verfügte aber eine Fahreignungsabklärung wegen dem höheren THC-COOH-Wert von 68µg/L. Das VGer heisst die Beschwerde gegen die Abklärung gut.

E. 5.2: „Eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin Zürich (IRMZ) empfiehlt eine Fahreignungsprüfung hingegen erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L, weil eine Konzentration im Blut ab diesem Wert mit einem chronischen Cannabiskonsum vereinbar sei (Munira Haag-Dawold, Fahreignungsbegutachtung, in Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2009, St. Gallen 2009, S. 25 ff., 33). Auch bei erstmaligem Fahren unter Cannabiseinfluss wird vertreten, eine verkehrsmedizinische Begutachtung erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L anzuordnen (Isa Thiele, Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum, in Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2005, S. 105 ff., 118). Die Aussagekraft des THC-COOH-Werts wird hingegen in einer neuen Studie des IRM Bern bestritten, da ein solcher Wert mit einer geringen Sensitivität belastet sei. Dabei wird postuliert, die THC-COOH-Glucoronid-Konzentration als zusätzlichen Indikator für die Unterscheidung des gelegentlichen vom häufigen Cannabiskonsumenten zu verwenden (IRM Bern, S. 11).“

E. 5.3: „Naheliegend erscheint es daher, zumindest bei Fahrzeugführern, welche einen einwandfreien automobilistischen Leumund aufweisen und bei denen keine Gefahr eines Mischkonsums oder andere Hinweise für eine fehlende Fähigkeit, Drogenkonsum und Teilnahme am Strassenverkehr trennen zu können, eine verkehrsmedizinische Begutachtung erst ab einem THC-COOH-Wert von 75 μg/L anzuordnen. Dies entspricht zum einen einem namhaften Teil der medizinischen Lehre und zum andern der Praxis anderer deutschschweizer Kantone.“

Der Entscheid deckt sich grds. mit der Rechtsprechung des BGer (BGE 1C_618/2015 E. 3.3).

 

BGE 6B_1006/2016: Das Ausweichmanöver als Nichtbeherrschung

Der Beschwerdeführer weicht auf einer Überlandstrasse in einer Kurve einem unerwartet auf seiner Spur rückwärtsfahrenden Fahrzeug aus, wobei er ins Schleudern gerät und unterhalb der Strasse zum Stillstand kommt. Das BGer bestätigt die Verurteilung wegen SVG 31 I i.V.m. 90 I.

E. 2.1: Zunächst stellt das BGer fest, dass im Bruchteil der Sekunde des Entscheidens in einer gefährlichen Situation auch das Wählen einer suboptimalen Lösung entschuldbar ist („Toutefois, est excusable celui qui, surpris par la manoeuvre insolite, inattendue et dangereuse d’un autre usager ou par l’apparition soudaine d’un animal, n’a pas adopté, entre diverses réactions possibles, celle qui apparaît après coup objectivement comme étant la plus adéquate (cf. arrêt 1C_361/2014 du 26 janvier 2015 consid. 3.1 et références citées)“.

Allerdings kann ab einem gewissen Zeitpunkt das Wählen der schlechteren Lösung dem Fahrer auch wieder angelastet werden („En revanche, lorsqu’une manoeuvre s’impose à un tel point que, même si une réaction très rapide est nécessaire, elle peut être reconnue comme préférable, le conducteur est en faute s’il ne la choisit pas (ATF 83 IV 84; cf. également arrêt 1C_361/2014 du 26 janvier 2015 consid. 3.1 et références citées)“.

E. 2.2/3: In der Folge schützt das BGer die Ansicht der Vorinstanz, dass die erste Lenkbewegung nach rechts zum Ausweichen adäquat war, das brüske Lenken nach links allerdings, um wieder auf die Strasse zu gelangen, war nicht mehr entschuldbar. So wäre ein leichtes nach links Lenken die klar bessere Lösung gewesen.

Ein etwas seltsamer Entscheid. Gerne würde ich die Richter in einer vergleichbaren Situation mit kühlem Gemüt über die Strasse schliddern sehen.

 

Relevanz des Gutachtens bzgl. Fahreignung

BGE 1C_242/2017: Fahreignung (gutgeheissene Beschwerde des StVA BE)

Nach einem Verkehrsunfall mit Todesfolge wurde beim Beschwerdegegner Alkohol und Cannabis im Blut festgestellt. Gemäss Blutprobe betrug der Alkoholwert 0.38% und das Ergebnis bzgl. THC war negativ, wobei das Gutachten einen früheren Konsum bejahte. Das Strassenverkehrsamt ordnete den vorsorglichen Entzug des Ausweises und eine verkehrspsychologische Begutachtung an. Letztere verneinte die Fahreignung des Beschwerdegegners, wonach das StVA einen Sicherungsentzug verfügte. Gegen diese Verfügung rekurrierte der Beschwerdegegner erfolgreich, er wurde gemäss dem Entscheid der Rekurskommission mit „sofortiger Wirkung“ wieder zum Strassenverkehr zugelassen. Gegen diesen Entscheid führt das StVA wiederum Beschwerde an das BGer, welches den Sicherungsentzug bestätigt.

E. 3.1: Erfüllt ein Fahrzeugführer die Voraussetzungen von Art. 14 SVG nicht, so muss die Fahrerlaubnis gemäss Art. 16 Abs. 1 SVG grds. entzogen werden.

E. 3.2: Bei umfassenden Massnahmen wie dem Sicherungsentzug muss die Behörde die Umstände genau abklären. Lässt sie eine Expertise erarbeiten, ist die Behörde grds. an die Meinung des Experten gebunden.

E. 3.4: Das BGer setzt sich im folgenden mit dem Gutachten auseinander und stellt fest, dass dieses schlüssig ist. Die Vorinstanz durfte demnach nicht ohne weiteres von der Empfehlung des Experten abweichen. Sie hätte zumindest Ergänzungsfragen oder ein weiteres Gutachten einholen müssen.

Fazit: Besteht ein Gutachten, sollte der Vertreter zumindest Ergänzungsfragen an den Experten beantragen. Ein Gegengutachten zu beantragen ist wohl letztlich eine Kostenfrage bei der generell strengen Rechtsprechung bzgl. Administrativmassnahmen nach SVG.

Rechtlich geschütztes Interesse bei bereits vollzogenem Warnentzug

BGE 1C_200/2017: Rechtlich geschütztes Interesse

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen fünfmonatigen Warnentzug wegen schwerer Widerhandlung gegen das SVG, obwohl der Warnentzug wegen einem Sicherungsentzug bereits vollzogen war im Zeitpunkt der Verfügung. Da die Massnahme bereits vollzogen war, stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt noch zur Beschwerde legitimiert ist. Nach seiner Ansicht ist dies zu bejahen, denn die Dauer der Massnahme von fünf Monaten, also zwei über der gesetzlichen Mindestdauer, belaste seinen verkehrsrechtlichen Leumund, habe Auswirkungen auf eine allfällige Beurteilung der Fahreignung in Bezug auf Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG sowie von haftpflicht- und versicherungsrechtliche Fragen. Das BGer sieht dies anders und weist die Beschwerde ab.

E. 2.2 zum rechtlich geschützten Interesse: „Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer, dass der Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens  unmittelbar beeinflusst werden kann (BGE 141 II 14 E. 4.4 S. 29 f.; 133 II 409 E. 1.3 S. 413; je mit Hinweisen). Hingegen kann als schutzwürdiges Interesse, das einen praktischen Nutzen einbringt, nicht jedes irgendwie geartete Interesse bzw. jede entfernte Möglichkeit, dass ein anderer Verfahrensausgang dereinst noch irgendwo eine Rolle spielen könnte, gelten. Vielmehr ist erforderlich, dass die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflusst werden könnte. „

E. 3.2.2 zum Leumund: Unbestritten ist die Qualifikation der Widerhandlung als schwere. Bei der Massnahmenkaskade ist nicht die Dauer, sondern die Schwere der Widerhandlung massgebend. Bei einer erneuten Widerhandlung ist allerdings der Leumund gemäss Art. 16 ASbs. 3 SVG zu beachten. „Es erscheint daher nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Umstand, ob dem Beschwerdeführer der Führerausweis wegen des Vorfalls vom 6. Juli 2012 nur wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand oder zusätzlich wegen weiterer Verkehrsdelikte bzw. für drei oder für fünf Monate entzogen wurde, dereinst einmal auf die Situation des Beschwerdeführers auswirken könnte, sofern dieser in Zukunft erneut Verkehrsdelikte begehen würde. Andererseits stünde – selbst wenn der Beschwerdeführer in Zukunft erneut solche Verkehrsdelikte begehen sollte – keineswegs fest, dass die angeordnete Entzugsdauer tatsächlich einen Einfluss auf die Dauer des neuerlichen Ausweisentzugs hätte. Dies zumal der Leumund des Beschwerdeführers als Motorfahrzeugführer, welcher nur eines von mehreren Kriterien für die Festsetzung der Dauer eines allfälligen künftigen Ausweisentzugs bildet (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG), ohnehin bereits getrübt ist. Folglich wäre die Frage, ob dem Beschwerdeführer der Ausweis nach dem Vorfall vom 6. Juli 2012 für drei oder fünf Monate entzogen worden ist, insoweit höchstens von untergeordneter Bedeutung.

E. 3.3 zur Fahreignung: Auch hinsichtlich dem in Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG geregelten Sicherungsentzug schliesst das BGer nicht jegliche Auswirkung aus. Da aber eine derart strenge Massnahme sorgfältig abgeklärt werden muss und der vorliegende Warnentzug nur eines vieler Kriterien ist, betrachtet das BGer auch hier die Auswirkung als untergeordnet.

E. 3.5: „Gesamthaft betrachtet ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die vom Beschwerdeführer vor der Vorinstanz beantragte Änderung des angefochtenen Entscheids unmittelbar auf seine tatsächliche oder rechtliche Situation auswirken könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass die Frage der Entzugsdauer auf die Situation des Beschwerdeführers theoretisch in Zukunft noch einen gewissen Einfluss haben könnte, zumal die Wahrscheinlichkeit dafür unter den gegebenen Umständen als zu gering erscheint.“

Fazit: Gegen einen bereits vollzogenen Warnentzug zu prozessieren, lohnt sich grds. nicht.

Kostenentscheid im Berufungsverfahren, Parteientschädigung der Privatklägerschaft

BGE 6B_1118/2016: Der teure Vergleich

Im Rahmen einer Nachbarstreitigkeit wurde ein Nachbar wegen div. Antragsdelikten erstinstanzlich verurteilt. Dagegen erhob er Berufung. Im Rahmen eines Vergleiches zog der andere Nachbar seine Strafanträge zurück. Die Berufungsinstanz schrieb das Verfahren ab und auferlegte dem antragstellenden Nachbar sämtliche Verfahrenskosten. Dagegen wehrt sich dieser mit Beschwerde, welche das BGer abweist.

E. 1.2.1: „Die Verlegung der Kosten folgt dem Grundsatz, wonach die Kosten trägt, wer sie verursacht. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, können bei Antragsdelikten die Verfahrenskosten deshalb grundsätzlich dem Privatkläger auferlegt werden, sofern er nicht nur Strafantrag gestellt, sondern aktiv Einfluss auf den Gang des Verfahrens genommen hat, und soweit nicht der Beschuldigte nach Art. 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig ist (Art. 427 Abs. 2 StPO). Eine andere gesetzliche Einschränkung der Kostenauflage an den Privatkläger gibt es nicht. Der Antragsteller, der als Privatkläger am Verfahren teilnimmt, soll grundsätzlich auch das volle Kostenrisiko tragen.

E. 1.2.2: Die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien nach ihrem Obsiegen und Unterliegen (428 Abs. 1 erster Satz StPO). Ob eine Partei als obsiegend oder unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Berufungsgericht gestellten Anträge gutgeheissen wurden. Stellt eine Partei, die kein Rechtsmittel eingelegt hat, keine Anträge, so kann sie weder obsiegen noch unterliegen und dadurch auch nicht kostenpflichtig werden. Zur Frage, wie die Kosten bei Gegenstandslosigkeit zu verteilen sind, äussert sich Art. 428 Abs. 1 StPO nicht. Tritt diese während der Hängigkeit des Rechtsmittels ein, ist für die Beurteilung der Kostenfolgen in erster Linie auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen. Lässt sich dieser nicht feststellen, so ist nach den allgemeinen prozessrechtlichen Kriterien jene Partei kostenpflichtig, die das Verfahren veranlasst hat oder in welcher die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Prozesses geführt haben. Angesichts der verschiedenen, möglichen Konstellationen erscheint die analoge Anwendung des in Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO vorgesehenen Ermessensenscheids auch für den Strafprozess gerechtfertigt (BGE 138 IV 248 E. 5.3; THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 5 f., N. 14 zu Art. 428 StPO; YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 1 ff. zu Art. 428 StPO).

E. 1.2.3: „Die Gegenstandslosigkeit ist mithin nicht einfach aufgrund äusserer, von niemandem zu vertretender Umstände eingetreten. Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie dem Beschwerdeführer, dem Verursacherprinzip folgend (vgl. oben E. 1.2.1), auch diese Kosten auferlegt. Daran ändert nichts, dass er ohne den Rückzug des Strafantrags bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vor Berufungsgericht wohl obsiegt hätte. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer die Kostenfolgen eines solchen Rückzugs bewusst sein mussten.

Fazit: Man sollte in einem Vergleich immer auch die Frage der Tragung der Verfahrenskosten regeln!

 

BGE 6B_226/2017: Parteientschädigung der Strafklägerschaft

Vier Strafkläger erreichen die Verurteilung einer Drittperson mit Strafbefehl wegen Tätlichkeit, Beschimpfung und Drohung. Letztere wird nicht zur Bezahlung einer Parteientschädigung verpflichtet, wogegen sich drei der vier Strafkläger wehren. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.1 zur Parteientschädigung: „Gemäss Art. 433 Abs. 1 lit. a StPO hat die Privatklägerschaft, wenn sie obsiegt, gegenüber der beschuldigten Person Anspruch auf angemessene Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren. Die Privatklägerschaft obsiegt, wenn im Falle der Strafklage die beschuldigte Person schuldig gesprochen wird und/oder wenn im Falle der Zivilklage die Zivilforderung geschützt wird. Die Aufwendungen im Sinne von Art. 433 Abs. 1 StPO betreffen in erster Linie die Anwaltskosten, soweit diese durch die Beteiligung am Strafverfahren selbst verursacht wurden und für die Wahrung der Interessen der Privatklägerschaft notwendig waren (BGE 139 IV 102 E. 4.1 S. 107 und E. 4.3 S. 108; Urteil 6B_423/2016 vom 26. Januar 2017 E. 2.3 mit Hinweisen).“

E. 4.3.1 zu den Voraussetzungen:  „Was unter einer angemessenen Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Sinne von Art. 433 Abs. 1 StPO zu verstehen ist bzw. wann notwendige Aufwendungen anzunehmen sind, wird von der Rechtsprechung nicht abschliessend umschrieben (vgl. BGE 139 IV 102 E. 4.3 S. 108). In der Lehre wird die Meinung vertreten, notwendige Aufwendungen lägen insbesondere in den folgenden Konstellationen vor: Wenn die Privatklägerschaft wesentlich zur Abklärung einer Strafsache und Verurteilung des Täters beigetragen hat; bei komplexen, nicht leicht überschaubaren Straffällen, an deren gründlicher Untersuchung und gerichtlicher Beurteilung der Kläger ein erhebliches Interesse hatte oder wenn der Beizug eines Anwalts im Hinblick auf die sich stellenden, nicht einfachen rechtlichen Fragen gerechtfertigt erschien (WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N. 19 zu Art. 433 StPO; STEPHANIE EYMANN, Die Parteientschädigung an die Privatklägerschaft im Strafprozess, forumpoenale 5/2013, S. 316). Die Lehre verweist zur näheren Umschreibung der notwendigen Aufwendungen auf das zu Art. 429 StPO Gesagte (WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 18 zu Art. 433 StPO; EYMANN, a.a.O., S. 316; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung […], 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 433 StPO). Gemäss der Botschaft des Bundesrates soll die beschuldigte Person nur dann Anspruch auf eine Entschädigung für anwaltliche Kosten haben, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder der rechtlichen Komplexität notwendig war und wenn der Arbeitsaufwand und somit das Honorar des Anwalts gerechtfertigt waren (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1329 Ziff. 2.10.3.1). Das Bundesgericht stellte zu Art. 429 StPO fest, dass diese beiden in der Botschaft genannten kumulativen Voraussetzungen im Einklang mit der herrschenden Lehre und der Praxis zum früheren Recht stehen und daran festzuhalten ist (BGE 138 IV 197 E. 2.3.4 S. 203; WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 13 zu Art. 429 StPO). Dies hat nicht nur in Bezug auf den Entschädigungsanspruch der beschuldigten Person Geltung, sondern aufgrund der Verweise in der Lehre auch auf denjenigen der Privatklägerschaft.

In der Folge stützt das BGer die Ausführungen der kantonalen Instanz, dass kein rechtlich komplexer Fall vorlag und dass der Rechtsvertreter erst in einem Stadium beigzogen wurde, in welchem die (Konfrontations)Einvernahmen bereits durchgeführt warten. Es weist die Beschwerde ab.

 

 

Missachtung Gelblicht bei einspuriger Baustelle

BGE 6B_1416/2016: Die einspurige Baustelle

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verurteilung für eine grobe Verkehrsregelverletzung. Auf einer zweispurigen Strassen überholt er bei der Ampelanlage das vorfahrende Fahrzeug und fährt bei Gelb in die einspurige Baustelle, wo er – je nach Version – anhalten musste wegen dem Gegenverkehr bzw. einer Beschädigung an seinem Fahrzeug. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2.2 zu den subjektiven und objektiven Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung.

E. 1.2.3 zum Gelblicht: „Gelbes Licht bedeutet, wenn es auf das grüne Licht folgt: „Halt“ für alle Fahrzeuge, die noch vor der Verzweigung halten können (Art. 68 Abs. 4 lit. a der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 [SSV; SR 741.21]). Das Beachten von Lichtsignalen, insbesondere des Gelblichts, gehört zu den elementarsten Pflichten, die ein Fahrzeuglenker zu befolgen hat. Ein Gelblicht, das bei einer Anhaltemöglichkeit vor der Ampel unbedingt „Halt“ gebietet, zählt zudem zu den auffälligsten, die Sicherheit im Strassenverkehr gewährleistenden Verkehrszeichen überhaupt. Wer trotz ausreichender Möglichkeit, während der Gelbphase anzuhalten, mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfährt, der handelt rücksichtslos und grobfahrlässig im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG, auch wenn er hofft, noch vor dem Umschalten auf Rot an der Ampel vorbeizukommen. Denn er muss sich bewusst sein, dass er sich noch während der Rotphase auf der Kreuzung befinden wird, was stets mit einem erheblichen Risiko für das Leben und die Gesundheit seiner Mitmenschen verbunden ist (BGE 123 IV 88 E. 4a und 4c mit Hinweisen).“

E. 1.4.1 zur subjektiven Kompnente: „Es erscheint gar als besonders rücksichtslos, dass er vor der Vorbeifahrt am ihm unmissverständlich „Halt“ gebietenden Gelblicht noch ein vorschriftsmässig anhaltendes Fahrzeug überholte, um überhaupt auf die Baustellenpassage zu gelangen. Gleiches gilt für den Umstand, dass er anschliessend auf 50 km/h beschleunigte, während die Kolonne vor ihm lediglich mit 30 km/h unterwegs war. Die reduzierte Geschwindigkeit war der Situation offensichtlich angemessenen, zumal im Baustellenbereich allgemein besonders vorsichtiges und aufmerksames Fahren angezeigt ist (Urteil 1C_50/2017 vom 16. Mai 2017 E. 4.3).“

 

Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt, Einstellung Strafverfahren

BGE 1C_165/2017: Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt (Bestätigung Rechtsprechung)

Um einer Verkehrskontrolle wegen fehlender Autobahnvignette zu entgehen, fuhr der Beschwerdeführer etwa eine Wagenlänge rückwärts auf der Autobahneinfahrt, wofür er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung ab. Der Entscheid fasst exemplarisch die Rechtsprechung zur  Widerhandlung im Massnahmenrecht zusammen.

E. 2.1 und 2.2 zur Widerhandlungsschwere und den strafrechtlichen Pendandts SVG 90 I und II.

E. 2.3 zur Bindung der Administrativbehörde an das Strafurteil.

E. 3: „Wer unter diesen Gegebenheiten verbotenerweise rückwärts fährt, schafft ohne Zweifel eine erhöhte abstrakte Gefährdung für die Verkehrssicherheit, weil andere Verkehrsteilnehmer – etwa nachfolgende Fahrzeuge, insbesondere aber auch Fussgänger auf dem Fussgängerstreifen – nicht mit einem derart verkehrswidrigen Verhalten rechnen müssen. Das reicht für die Annahme einer mittelschweren Verkehrsregelverletzung aus, gleichgültig darum, ob der Beschwerdeführer durch sein Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug konkret gefährdet hat oder nicht. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer dieses Manöver vorsätzlich ausführte, um dem Stau (und/oder der Verkehrskontrolle) auszuweichen, weshalb auch sein Verschulden nicht bagatellisiert werden kann.“

 

BGE 6B_1055/2016: Voraussetzungen für die Einstellung im Strafverfahren (gutgeheissene Beschwerde)

Im Kanton Luzern zog sich ein Badegast eines Strandbades eine komplette Tetraplegie zu nach einem Kopfsprung von einem Steg in ca. 1,2 m tiefes Wasser. Am Steg war keine Kopfsprung-Verbotstafel angebracht. Nachdem die kantonalen Instanzen die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Strandbadbetreiber (fahrlässige schwere KV) bestätigten, heisst das BGer die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E. 2.1 zur Einstellung: „Nach Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, u.a. wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). In diesem Zusammenhang gilt der aus dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 1 StGB) fliessende Grundsatz „in dubio pro duriore“. Danach darf eine Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die Staatsanwaltschaft und die oberen kantonalen Instanzen über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft. Hingegen ist (sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt) Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Halten sich die Wahrscheinlichkeiten diesbezüglich in etwa die Waage, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, ebenfalls eine Anklageerhebung auf (BGE 138 IV 186 E. 4.1 S. 190 mit Hinweisen; Urteil 1B_248/2012 vom 2. Oktober 2012, in: RtiD 2013 I S. 160).“

E. 2.3 f. zur Fahrlässigkeit: Das Kantonsgericht war der Ansicht, dass die strafbewehrte Pflicht des Betreibers einer öffentlichen Badeanstalt, seine Gäste vor Gefahren zu schützen, nur soweit gehe, als sie für diesen nicht vorhersehbar oder nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Der Betreiber dürfe vom Badegast erwarten, dass er sich auf die einem Badebetrieb typischen Gefahren einstelle und sich des verbleibenden Restrisikos und der daraus folgenden Selbstverantwortung bewusst sei. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro duriore“ und dass das Merkmal der Vorhersehbarkeit falsch beurteilt wurde.

E. 2.5: In Bezug auf Strandbäder gibt es keine ausdrückl. Vorschriften über die Beschilderung von Stegen. Um allfällige Sorgfaltspflichten des Strandbadbetreibers zu finden, setzen sich die Richter deshalb mit bfu-Empfehlungen auseinander. Die bfu führt in einer Fachdokumentation auch aus, dass die meisten Unfälle in Natürbädern wegen Sprüngen in zu seichtes Wasser passieren. Der Zweck eines Steges ist, dass man nicht vom Ufer aus in den See schwimmen muss, das Springen vom Steg wird als zweckwidrig bezeichnet. Trotzdem räumt der Beschwerdegegner ein, dass der Steg immer wieder für einen Kopfsprung benutzt wurde. Insofern kann das Tatbestandsmerkmal der Vorhersehbarkeit nicht ohne Weiteres verneint werden. Ebenso sind gemäss BGer die Ausführungen der kantonalen Instanz zum erlaubten Risiko nicht gänzlich nachvollziehbar.

Das Strafverfahren wurde also zu Unrecht eingestellt.

Zwar liegt hier noch kein Endentscheid vor, allerdings wurde dieser in gewisser Weise durch das Bundesgericht bereits präjudiziert. Den Schweizer Gartenbädern ist zu empfehlen, dass sie an sämtlichen Stegen, wo die Wassertiefe nicht unbedingt ausreichend ist, Spungverbotstafeln anbringen.

Es scheint, als nähere man sich langsam US-amerkanischen Verhältnissen, wo sich der für jede erdenkbare Gefahrenquelle Verantwortliche durch Verbote, Sicherheitshinweise etc. schützen muss. So tragisch, dass der Unfall ist, die Selbstverantwortung scheint zurückgedrängt. Dass man ohne den Seegrund zu sehen oder vorgängig die Wassertiefe zu überprüfen einen Kopfsprung in ein natürliches Gewässer wagt, widerspricht elementaren Vorsichtspflichten, die einem zumindest im Schwimmunterricht und bei den Pfadi eingetrichtert wurden.

 

Rechtsüberholen, Fristlose Kündigung

BGE 6B_127/2017: Das klassische Rechtsüberholen ist und bleibt eine grobe Verkehrsregelverletzung (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer führt ein klassisches Rechtsüberholmanöver durch. Auf einer dreispurigen Autobahn überholt er zunächst auf der mittleren Spur, wechselt dann auf die Normalspur, überholt weitere Fahrzeuge rechts und wechselt anschliessend wieder auf die mittlere Spur. Er wehrt sich gegen die kantonale Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung, insb. im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung bzgl. Rechtsvorbeifahren (BGE 142 IV 93). Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.2: “ Gemäss Art. 35 Abs. 1 SVG ist links zu überholen. Eine Ausnahme von dem daraus abgeleiteten Verbot des Rechtsüberholens sieht Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV allgemein und Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV für Autobahnen „beim Fahren in parallelen Kolonnen“ vor. Gestattet ist, rechts an anderen Fahrzeugen unter Wechsel des Fahrstreifens vorbeizufahren (sog. Vorfahren), wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist (vgl. Art. 44 Abs. 1 SVG). Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist hingegen gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV ausdrücklich untersagt. Beim Fahren in parallelen Kolonnen auf Autobahnen darf deshalb in keinem Falle durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen rechts überholt werden. Dies ist namentlich der Fall, wenn ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen ausnützt, um auf der rechten Fahrbahn zu überholen (BGE 142 IV 93 E. 3.3 S. 97 mit Hinweisen).“

E. 3: Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen von SVG 90 II.

Bzgl. klassischem Rechtsüberholen bleibt die Rechtsprechung also hart.

 

BGE 4A_625/2016: Grobe Verkehrsregelverletzung rechtfertigt fristlose Kündigung des LKW-Fahrers (Exkurs Arbeitsrecht)

The more you know: Nicht nur erwarten fehlbare Berufsfahrer Strafen und Massnahmen, nun müssen LKW-Fahrer grds. mit einer fristlosen Entlassung rechnen, da ein Unfall mit Personenschaden zu einem „Imageschaden“ des Arbeitgebers führt und damit das Vertrauensverhältnis erschüttern kann.