Berufliche Massnahmeempfindlichkeit

BGE 1C_589/2019:

Dem Beschwerdeführer wurde der Fahrausweis für fünf Monate entzogen wegen einer leichten (GÜ) und einer schweren Widerhandlung (FiaZ). Er verlangt aber eine Warnmassnahme von vier Monaten mit der Begründung, dass seine berufliche Angewiesenheit falsch gewürdigt wurde.

Bei der Dauer einer Warnmassnahme sind gemäss Art. 16 SVG die Einzelfallumstände und insb. die berufliche Angewiesenheit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit ist zu prüfen, ob gewisse Fahrzeugführer durch einen Führerscheinentzug stärker betroffen sind als andere. Alle Umstände sind so zu berücksichtigen, dass die verwaltungsrechtliche Massnahme ihren erzieherischen Zweck bestmöglich erfüllt. Den kantonalen Behörden steht dabei ein weiter Spielraum des Ermessens zu, in welches das BGer nur zurückhaltend eingreift, z.B. wenn das behördliche Ermessen überschritten oder missbraucht worden ist. Dies ist der Fall, wenn einzelne Umstände unberücksichtigt bleiben und falsch gewichtet werden (E. 2.2).

Der Beschwerdeführer war der Meinung, dass er als Finanzchef, Verwaltungsrat und Mitglied der Geschäftsleitung seines Arbeitgebers seine Fahrerlaubnis für die Berufsausübung bzw. Dienstfahrten benötigt. Das BGer entgegnet diesbzgl. relativ modern, dass der Beschwerdführer ja auch per Telekonferenz arbeiten oder Fahrgemeinschaften organisieren könnte. Zudem könnte er Aufgaben auch delegieren oder einen Chauffeur organisieren. Dann gibt es ja auch noch den ÖV (E. 2.3).

Beim Beschwerdeführer besteht nur eine leichte Massnahmeempfindlichkeit. Eine Mittelgradig erhöhte Angewiesenheit wird in Fällen bejaht, wo Betroffene das Fahrzeug nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern auch für den Transport von Werkzeugen und Material benötigen. Seine Situation ist auch nicht mit jener eines Berufschauffeurs vergleichbar. Zudem ist ein gewisser organisatorischer, zeitlicher oder finanzieller Mehraufwand die Folge der Massnahme, die wohl genau die erzieherische Wirkung ausmacht (E. 2.4).

Fahreignungsabklärung wegen THC und Kokain

BGE 1C_458/2019:

Das Urteil ist spannend, weil es die Rechtsprechung zur Fahreignungsabklärung wegen Drogen relativ übersichtlich zusammenfasst.

Nach einer Auffahrkollision wurden beim Beschwerdeführer im Urin 75 µg/L Benzoylecgonin, ein Metabolit von Kokain, sowie 7.4 µg/L THC-Carbonsäure festgestellt. Daraufhin ordnete das Strassenverkehrsamt eine Fahreignungsabklärung an, wobei es auf einen vorsorglichen Führerscheinentzug verzichtete.

Fahrausweise werden gemäss Art. 16 Abs. 1 SVG entzogen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr erfüllt sind. Bestehen Zweifel an der Fahreignung einer Person, so wird gemäss Art. 15d SVG eine Fahreignungsabklärung durchgeführt. Dabei ist nicht vorausgesetzt, dass die betroffene Person in fahrunfähigem Zustand gefahren ist.

Ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Cannabiskonsum reicht nicht für Zweifel an der Fahreignung. Ob ein Konsum mässig ist, lässt sich meistens ohne Angaben der betroffenen Person nicht beurteilen. Wer mehr als 40 µg/L THC-Carbonsäure im Blut hat, ist i.d.R. allerdings nicht mehr fahrgeeignet.

Kokain macht schnell abhängig. Wer lediglich einmal und ohne Bezug zum Strassenverkehr Kokain konsumiert, ist in aller Regel fahrgeeignet. Konsumiert man aber regelmässig, wenn auch nicht häufig, ist eine Fahreignungsabklärung indiziert. Mischkonsum verschiedener Substanzen zur Steigerung der Rauschwirkung wiederum lässt meistens an der Fahreignung zweifeln (zum Ganzen ausführlich und aufschlussreich E. 2.1).

Der Beschwerdeführer war vorliegend nicht fahrunfähig. Die in der ASTRA-Verordnung enthaltenen Grenzwerte wurden nicht erreicht. Für die Vorinstanz lagen aber trotzdem Zweifel an der Fahreignung vor, wegen dem Kokain-Metabolit Benzoylecgonin, der zumindest in Deutschland als FuD qualifiziert worden wäre. In der Schweiz gibt es aber keinen Grenzwert dazu. Der Metabolit kann nur zwei Tage lang nachgewiesen werden, was dafür spricht, dass der Beschwerdeführer zwei Tage vor der Fahrt Kokain konsumierte. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer keine näheren Angaben zum Konsum machte bzw. zu seinen Konsumgewohnheiten schwieg (E. 2.2). Der Beschwerdeführer bestreitet im Wesentlichen einen Mischkonsum und stellt sich auf den Standpunkt lediglich einmal und ohne Bezug zum Strassenverkehr Kokain konsumiert zu haben (E. 2.3).

Das Bundesgericht pflichtet der Vorinstanz zu, weil der Beschwerdeführer zu Beginn des Administrativverfahrens noch einen Kokainkonsum leugnete. Vor Bundesgericht allerdings gibt er den Konsum implizit zu. Diese Vertuschung allerdings wird dem Beschwerdeführer zu Last gelegt. Ebenso dass er sich nicht zu seinen Konsumgewohnheiten geäussert hat. Insofern liegen zuwenig Informationen zu den Konsumgewohnheiten des Beschwerdeführers vor, weshalb die Zweifel berechtigt sind.

Die Autofahrer befinden sich bei dieser Thematik in einer Zwickmühle. Einerseits haben sie das Recht, im Strafverfahren die Aussage zu verweigern. Andererseits wird die Ausübung dieses Rechts dann im Administrativverfahren bzgl. Sicherungsmassnahmen zu Lasten der betroffenen Person ausgelegt.

Das Alpenmotorrad

BGE 1C_263/2019 und 1C_264/2019:

Die Beschwerdeführer sind Bergbauern und bewirtschafteten die Alp „Uf Garti“ bei Frutigen. Um Auf die Alp zu gelangen, verwendeten die Beschwerdeführer und wohl weitere Bergbauer nicht immatrikulierte Motorräder ohne MFH und teils mit typenfremden Fahrzeugteilen. Beide Beschwerdeführer besitzen keinen Motorradführerschein. Zumindest der Beginn des Weges führt noch über eine öffentliche Strasse. Die Beschwerdeführer wurden vom Regionalgericht u.a. wegen Fahren ohne Berechtigung, Fahren ohne MFH und Führen eines nicht vorschriftsgemässen Fahrzeuges verurteilt. Unter Annahme eines bes. leichten Falles nach Art. 100 Ziff. 1. SVG sah es aber von einer Bestrafung ab.

Das StVA BE entzog den Beschwerdeführern unter Annahme einer mittelschweren Widerhandlung die Fahrberechtigung für einen Monat. Die Beschwerdeführer stellen sich auf den Standpunkt, dass die Massnahme dem Strafurteil widerspricht und ein besonders leichter Fall nach Art. 16a Abs. 4 SVG anzunehmen sei. Zudem seien sie gutgläubig davon ausgegangen, ein landwirtschaftliches Fahrzeug zu lenken. Das BGer weist die Beschwerden ab.

An die Tatsachenfeststellungen der Strafbehörde ist das Strassenverkehrsamt i.d.R. gebunden. In der rechtlichen Würdigung ist es hingegen frei – namentlich auch der Würdigung des Verschuldens. Der Warnungsentzug ist eine der Strafe ähnliche, aber von ihr unabhängige Verwaltungsmassnahme mit präventivem Charakter, die primär die Erziehung des fehlbaren Fahrzeuglenkers im Interesse der Verkehrssicherheit und nicht dessen Bestrafung bezweckt, auch wenn sie mitunter vom Betroffenen als Strafe empfunden wird. Die straf- und die verwaltungsrechtliche Beurteilung der Schwere eines strassenverkehrsrechtlich massgeblichen Fehlverhaltens müssen sich daher nicht zwingend decken (E. 3.2).

Gemäss Art. 16b Abs. lit. c SVG ist das Führen eines Motorfahrzeuges ohne entsprechende Kategorie eine mittelschwere Widerhandlung. Da noch weitere Delikte hinzukommen, erachtet das BGer die Massnahmedauer von einem Monat als milde. Motorräder sind nach Ansicht des BGer offensichtlich keine landwirtschaftlichen Fahrzeuge und es erachtet die gegenteiligen Vorbringen der Beschwerdeführer als Ausreden. Hinzukommt, dass die Polizei den Alptransport mit der Alpgenossenschaft bereits thematisierte und sich die Beschwerdeführer des widerrechtlichen Verhaltens wohl bewusst waren (E. 3.3).

Der Entscheid ist interessant, weil das Bundesgericht auch schon ausgeführt hat, dass der verwaltungs- und strafrechtliche bes. leichte Fall deckungsgleich sind. Allerdings bedarf es immer einer Einzelfallbeurteilung (vgl. BGE 1C_577/2018 E. 3). Vorliegend gibt es aber entgegen dem Grundsatz „Einheit der Rechtsordnung“ zwei unterschiedliche Beurteilungen, was für die Bergbauern wohl nicht nachvollziehbar ist.

Sicherheitslinie

BGE 1C_334/2019: Sicherheitslinie

Der Beschwerdeführer überholte in Pfäffikon einen Linienbus und überfuhr dabei eine Sicherheitslinie. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass niemand wirklich gefährdet wurde und dass ein besonders leichter Fall anzunehmen sei (E. 3). Das BGer wiederholt exemplarisch und ausführlich die Voraussetzungen der Widerhandlungen nach Art. 16ff. SVG. Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn nicht die privilegierenden Voraussetzungen der leichten oder die qualifizierenden der schweren Widerhandlung vorliegen. Sind Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch oder umgekehrt, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor. Das gilt auch bei einer mittelgrossen Gefährdung und einem mittelschweren oder schweren Verschulden (E. 3.1). Strafurteile sind nicht bindend, aber widersprüchliche Urteile sind zu vermeiden – so gebietet es der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung (zum Ganzen E. 3.2).

Nach Ansicht des Beschwerdeführers lag mangels Gegenverkehr und Passanten keine erhöht abstrakte Gefährdung vor. Es handle sich um eine Bagatelle, zumal das Überfahren einer Sicherheitslinie seit Januar 2020 im Ordnungsbussenverfahren abgehandelt wird (E. 3.3). Das BGer stimmt der Vorinstanz zu, wenn diese von einer erhöht abstrakten Gefährdung ausgeht, denn eine konkrete Gefahr ist für Massnahmen nicht vorausgesetzt. Das Überfahren einer Sicherheitslinie ist objektiv gesehen stets eine schwere Verkehrsregelverletzung. Auch dass das Überfahren der Sicherheitslinie heute nur noch eine Ordnungsbusse von CHF 140.00 geben würde, spielt vorliegend keine Rolle, weil der Verstoss vor dem 1.1.2020 geschah (E. 3.5).

BGE der Woche

Nichts weltbewegendes, deshalb eher im Telegramstil:

BGE 6B_917/2019: Gefährliches überholen eines LKW

Die Beschwerdeführerin überholte bei starkem Verkehrsaufkommen auf einer dreispurigen Autobahn einen Sattelschlepper. Nach dem Überholen wechselte sie auf die 1. Überholspur und bremste brüsk, um auf die Normalspur bzw. Ausfahrt zu fahren. Der Sattelschlepper musste stark bremsen und Ausweichen um einen Unfall zu vermeiden. Das BGer bestätigt die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung.

BGE 6B_1190/2019: Gefährliches Überholen eines LKW II

Der Beschwerdeführer überholte vor dem Limmattaler Kreuz ebenfalls auf der 2. Überholspur einen LKW, wechselt wieder auf die 1. Überholspur und beabsichtigte dann auf die rechte Fahrspur zu wechseln, wo stockender Verkehr herrschte. Weil er seine Geschwindigkeit drosselte, kollidierte der LKW mit seinem Heck. Das BGer stützt die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung. Wir stellen fest: Die Zürcher Strafbehörden sind milder, wie die im Kt. BE.

BGE 6B_1300/2019: Unfall auf Gegenfahrbahn

Wegen einem Sekundenschlaf oder einer Unaufmerksamkeit geriet der Beschwerdeführer in einer Rechtskurve auf die Gegenfahrbahn und die linksseitige Grünfläche. Mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kam es zu einer seitlichen Frontalkollision, wobei der Unfallgegner verletzt wurde. Das BGer stützt die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung.

BGE 1C_470/2019: Unfall beim Überholen

Auf einer Ausserortsstrasse wollte der Beschwerdeführer ein anderes Fahrzeug überholen. Als ihm ein anderes Fahrzeug entgegenkam, wollte er wieder auf die rechte Spur wechseln, wobei er mit dem quasi-überholten Fahrzeug kollidierte. Er wurde wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. Das Strassenverkehrsamt ging danach zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung aus.

BGE 1C_364/2019: Streifkollision mit Mittelleitplanke

Der Beschwerdeführer streifte auf der Autobahn die Mittelleitplanke wegen einer Unaufmerksamkeit und erhält dafür eine Übertretungsbusse von CHF 200.00, einfache Verkehrsregelverletzung. Die MFK SO geht zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung aus.

Ermessen bei der Massnahmedauer

BGE 1C_235/2019:

Dem Beschwerdeführer wurde der FAP erstmals im Juni 2011 erteilt. Nach zwei Widerhandlungen wurde der FAP annulliert, nach erneuter Prüfung erhielt der Beschwerdeführer im September 2014 wieder den FAP für die Kat. B. Im Oktober 2016 überschritt der Beschwerdeführer ausserorts die Geschwindigkeit um 36km/h, woraufhin dem Beschwerdeführer der Ausweis für 13 Monate entzogen wurde. Das Strassenverkehrsamt ging von einer kaskadenrelevanten schweren Widerhandlung aus und insofern von einer Mindestentzugsdauer von 12 Monaten, was sich aber als bundesrechtswidrig erwies (vgl. BGE 1C_595/2017). Die Sache wurde an das Strassenverkehrsamt zurückgewiesen, welches erneut einen Führerscheinentzug von 13 Monaten anordnet im Rahmen der Einzelfallbeurteilung. Der Beschwerdeführer erachtet die Massnahmedauer als unverhältnismässig.

Mit der Rückweisung erteilte das Bundesgericht den kantonalen Behörden, die Massnahmedauer unter Berücksichtigung der Mindestentzugsdauer von drei Monaten nach Art. 16 Abs. 3 SVG auszufällen (E. 2.3). Der Beschwerdeführer erblickt im Führerscheinentzug von 13 Monaten eine unverhältnismässige Massnahme (E 3.1). Der Beschwerdeführer überschritt das Tempolimit um 36km/h in der Nacht, wodurch die Sichtverhältnisse nicht optimal waren. Es liegt eine schwere Widerhandlung vor (E. 3.4.3).

In Bezug auf die Einzelfallbeurteilung ist der automobilistische Leumund zu berücksichtigen. Schon in seiner ersten Probezeit beging der Beschwerdeführer zwei schwere Widerhandlungen. Er musste sich einer verkehrspsychologischen Begutachtung unterziehen. All dies schien sich nach Ansicht des BGers nicht nachhaltig ausgewirkt zu haben. Auch dass er sich während dem Verfahren wohlverhalten hat oder dass er nunmehr in geänderten familiären Verhältnissen lebt, belegt keine dauernde Verhaltensänderung. „Gegebenenfalls wird er später, wenn er wieder in den Besitz des Führerausweises gelangt, zeigen können, dass er sich künftig an die Verkehrsregeln hält“ (E. 3.5). Da der Beschwerdeführer wiederholt in schwerer Weise gegen das SVG verstiess, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, ihn länger von den Strassen fernzuhalten. Die privaten Interessen haben dabei zurückzutreten. Die Massnahmedauer ist insofern verhältnismässig und nicht bundesrechtswidrig (E 3.6).

Im Rahmen der Einzelfallbeurteilung haben die Strassenverkehrsämter also ein grosses Ermessen, auch wenn die Kaskade nach der Annullierung eines FAP nicht mehr zur Anwendung gelangt. Faktisch sind damit gleich lange Führerscheinentzüge möglich.

Rechtsüberholen als mittelschwere Widerhandlung

BGE 1C_421/2019: Rechtsüberholen als mittelschwere Widerhandlung, Einheit der Rechtsordnung

Der Beschwerdeführer wurde für ein klassisches Rechtsüberholmanöver wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. In Annahme einer mittelschweren Widerhandlung verfügte die MFK SO einen Kaskadenentzug von vier Monaten. Der Beschwerdeführer verlangt die Annahme einer leichten Widerhandlung und insofern einen einmonatigen Ausweisentzug.

E. 2 zur Qualifikation der Widerhandlung: Die einfache Verkehrsregelverletzung umfasst sowohl die leichte, als auch die mittelschwere Widerhandlung. Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn nicht die privilegierenden Voraussetzungen der leichten bzw. die qualifizierenden Voraussetzungen der schweren Widerhandlung erfüllt sind. Eine Gefahr im Sinne des Massnahmerechts ist zu bejahen, wenn diese konkret oder erhöht abstrakt ist. Eine erhöhte abstrakte Gefahr besteht, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung naheliegt, was anhand des Einzelfalles zu beurteilen ist (E. 2.1).

Das Verbot des Rechtsüberholens gilt nach wie vor als wichtige Vorschrift. Der Verkehrsvorgang birgt in sich per se eine erhöht abstrakte Gefährdung. Ausschwenken und wiedereinbiegen ist für den Überholvorgang nicht vorausgesetzt. Nicht verboten ist Rechtsüberholen im Kolonnenverkehr, sog. Rechtsvorfahren. Nach der Rechtsprechung setzt paralleler Kolonnenverkehr dichten Verkehr auf beiden Fahrspuren, somit ein längeres Nebeneinanderfahren von mehreren sich in gleicher Richtung bewegenden Fahrzeugreihen voraus. Kolonnenverkehr ist anhand der konkreten Verkehrssituation zu bestimmen und zu bejahen, wenn es auf der (linken und/oder mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung kommt, dass die auf der Überhol- und der Normalspur gefahrenen Geschwindigkeiten annähernd gleich sind (E. 2.2).

E. 3 zum Verhältnis zw. Straf- und Verwaltungsrecht: Das Strassenverkehrsamt wird durch ein Strafurteil nicht gefunden. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung darf es aber keine widersprüchlichen Entscheide fällen. In der rechtlichen Würdigung ist die Behörde frei – auch bzgl. Verschulden (E. 3.1). Um es kurz zu machen: Die Vorinstanz ist zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung ausgegangen, weil Rechtsüberholen nach wie vor als relativ gefährlich beurteilt wird.

Da die MFK in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhaltes grds. frei ist, hätte diese gut auch von einer schweren Widerhandlung ausgehen können und wäre wohl von den Gerichten geschützt worden. Unter diesen Umständen hätte sich der Beschwerdeführer die Kosten wohl sparen können.

Charakterliche Fahreignung

BGE 1C_199/2019: Verkehrspsychologische Abklärung nach massiver GÜ

Der Beschwerdeführer überschritt die Höchstgeschwindigkeit ausserorts um ca. 60km/h, hat also möglicherweise den Rasertatbestand erfüllt. Das StVA AG macht deshalb die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom einem positiven verkehrspsychologischen Gutachtens abhängig. Damit ist der Beschwerdeführer nicht einverstanden, insb. weil er die Geschwindigkeitsüberschreitung und das „Rasen“ bestreitet.

Verkehrsteilnehmer müssen fahrgeeignet sein, wozu auch die charakterliche Eignung gehört (vgl. Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG). Sind diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, werden die Fahrberechtigungen nach den Art. 16ff. SVG entzogen. Führerscheine werden gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn das Verhalten eines Lenkers auf charakterliche Mängel schliessen lässt, sprich wenn ihm eine allfällige Schädigung Dritter egal ist. Auch eine erstmalige massive Geschwindigkeitsüberschreitung kann durchaus Zweifel an der Fahreignung einer Person schüren, wonach eine Fahreignungsabklärung und ein vorsorglicher Führerscheinentzug zu verfügen sind (E. 2.1.). Da es sich dabei um eine Sicherungsmassnahme handelt, findet die Unschuldsvermutung keine Anwendung (E. 2.2).

Der Beschwerdeführer hält es für willkürlich, wenn die kantonalen Behörden von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von „plus-minus 60km/h“ ausserorts ausgehen, weil die Geschwindigkeit mit einer Weg-Zeit-Berechnung ermittelt wurde. Zudem ist das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen (E. 3.1). Die Vorinstanz hingegen erachtet die Geschwindigkeitsermittlung als plausibel. Ob nun der Rasertatbestand erfüllt ist oder nicht, spielt keine Rolle, denn die hohe Geschwindigkeit alleine birgt schon das Risiko eines Unfalles mit Schwerverletzten oder Toten (E. 3.2).

Das BGer schliesst sich der Meinung der Vorinstanz an. Die Widerhandlung fand in einer unübersichtlichen Kurve in einem Tunnel statt, wobei Gegenverkehr herrschte. In solchen Situationen können krasse Unfälle passiere, z.B. mit Tunnelbränden. Wer in dieser Situation ca. 60km/h zu schnell fährt, hat schon einen Knacks bzw. keine charakterliche Eignung.

Das BGer weist die Beschwerde zu Recht ab. Der Beschwerdeführer übersieht, dass man Raser sein kann, auch wenn man die Tempi von Art. 90 Abs. 4 SVG nicht erreicht (vgl. BGE 6B_148/2016, 59km/h ausserorts bei einer Baustelle).

Länderliste des ASTRA

BGE 1C_135/2019: Darf das ASTRA eigtl. eine Länderliste führen für Ausländer, die keine Kontrollfahrt machen müssen, wenn sie den CH-Ausweis wollen?

Die Beschwerdeführerin wollte ihren serbischen Führerausweis in eine CH-Fahrerlaubnis umtauschen, wofür sie in einer Kontrollfahrt ihre Fahrkompetenz nachweisen musste, weil sie keine Fahrerlaubnis aus einem durch die Länderliste des ASTRA bevorzugten Landes verfügt. Da sie die Kontrollfahrt nicht bestand, wurde ihre Fahrberechtigung in der Schweiz aberkannt. Sie stellt sich nun auf den Standpunkt, dass das ASTRA eine solche Länderliste mangels gesetzlicher Befugnis gar nicht führen darf und dass sie durch die Liste diskriminiert wird.

E. 3 zur Subdelegation von Befugnissen: Aus direktdemokratischen Gründen sind gemäss Art. 164 BV alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Wenn der Bundesrat eine ihm zustehende Befugnis an ein Departement weiterdelegiert, liegt eine Subdelegation vor, was gemäss Art. 48 RVOG grds. möglich ist. Das Bundesgericht setzt bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates, sondern beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetzes- oder verfassungswidrig ist (E. 3.2).

Art. 25. Abs. 2 SVG ermächtigt den Bundesrat für ausländische Fahrzeugführer ergänzende Vorschriften zu erlassen, was er in Art. 44 VZV auch gemacht hat. Ausländische Fahrzeugführer müssen für die Erlangung des CH-Ausweises grds. eine Kontrollfahrt bestehen. Art. 150 Abs. 5 lit. e VZV enthält nun die Subdelegation, mit welcher der Bundesrat das ASTRA zum Führen der Länderliste ermächtigt. Es liegt insofern keine Verletzung des Legalitätsprinzips vor (E. 3.3f.).

E. 4 zur Diskriminierung: Ein solche liegt i.c. nicht vor, weil die Länderliste nicht an das Merkmal der Staatszugehörigkeit anknüpft, sondern daran, in welchem Land die ausländische und umzutauschende Fahrerlaubnis ausgestellt wurde. So käme z.B. eine Serbin mit deutscher Fahrerlaubnis ohne Weiteres in den Genuss der Vorteile der Länderliste. Eine Kontrollfahrt wäre dann nicht nötig.

Schwere Widerhandlung trotz Übertretungsbusse

BGE 1C_453/2018: Unfall mit ausgefahrenem Kran, Bindungswirkung, schwere Widerhandlung (Rep)

Der Beschwerdeführer lenkte einen Sattelschlepper mit Anhänger. Auf dem Anhänger transportierte er einen Teleskoplader. Anlässlich der Fahrt kollidierte der ausgefahrene Arm des Laders mit einer Fussgängerüberführung, herabfallende Holzteile beschädigten ein Auto, dessen Fahrerin leicht verletzt wurde. Im Strafverfahren wurde er deswegen nach Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG mit Busse bestraft und nicht etwa gemäss Art. 93 Abs. 1 SVG, wo zumindest bei vorsätzlicher Begehung auch eine Geldstrafe möglich wäre und explizit eine Unfallgefahr vorausgesetzt ist. Das Strassenverkehrsamt AG geht von einer schweren Widerhandlung aus und ordnet einen 12-monatigen Kaskadenentzug an, gegen welchen sich der Beschwerdeführer wehrt.

E. 2 zur Bindungswirkung des Strafurteils: Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass er wegen einer Übertretung gebüsst wurde, weshalb er aufgrund der Einheit der Rechtsordnung wegen einer mittelschweren Widerhandlung sanktioniert werden sollte. Im Administraivverfahren ist das Strassenverkehrsamt nicht an das Strafurteil gebunden, widersprüchliche Entscheide gilt es allerdings wegen dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu vermeiden (E. 2.1). Da der Beschwerdeführer allerdings nur polizeilich einvernommen wurde, war die Vorinstanz nicht an Tatsachen gebunden, die dem Strafrichter besser bekannt warten. Sie durfte den Sachverhalt rechtlich frei würdigen.

E. 3 zur schweren Widerhandlung: Die schwere Widerhandlung setzt ein schweres Verschulden und eine ernstliche Gefahr voraus. Wegen dem ausgefahrenen Teleskoparm wurde die Höchsthöhe von 4m um 35.5% überschritten. Unbestritten handelt es sich dabei um eine ernstliche Gefahr (E. 3.2). Bestritten ist hingegen ein rücksichtsloses bzw. grobfahrlässiges Verhalten vom Beschwerdeführer. Es könne jedem mal passieren, dass er vergisst, die Ladung zu kontrollieren. Gemäss Art. 57 Abs. 1 VRV sind Ladung und Fahrzeug vor Abfahrt auf den vorschriftsgemässen Zustand zu prüfen. Insb. Inhaber der Fahrberechtigungen der 2. Gruppe handeln grobfahrlässig, wenn sie Ihre Ladung nicht prüfen, zumal aufgrund der ernstlichen Gefahr ohne Gegenindizien grds. auf ein grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen ist. Der Tatbestand ist hier mit jenem der groben Verkehrsregelverletzung deckungsgleich.

Trotz Übertretungsbusse ist also die Annahme einer schweren Widerhandlung korrekt. Der Entscheid zeigt die Freiheit der Strassenverkehrsämter bei der rechtlichen Würdigung gut auf.