Rückblick April und Mai 2022

Da der Blog ferienbedingt einige Wochen ruhen musste und das Bundesgericht zwischenzeitlich keine „Blockbuster“ vom Stapel gelassen hat, widmen wir uns einigen SVG-Entscheiden aus den Monaten April und Mai im Rahmen eines Rückblicks, wobei wir die Entscheide auf das Wesentliche reduzieren. Gefeatured sind folgende Urteile:

Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis
Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung
Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel

Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis

Dieser Entscheid ist insofern interessant, weil es sich um einen nicht ganz alltäglichen Sachverhalt zwischen einer Fussgängerin und einem Fahrrad handelt. Beim Wandern mit ihren zwei Hunden neben einer Strasse, kam der Beschwerdeführerin eine andere Hundehalterin auf der anderen Strassenseite entgegen. Der Hund der Beschwerdeführerin ging über die Strasse und spannte die Hundeleine über die Fahrbahn. Ein Fahrradfahrer fuhr in die Hundeleine, wodurch die Beschwerdeführerin zu Boden geworfen wurde und sich verletzte. Der Fahrradfahrer wurde zunächst wegen fahrlässiger Körperverletzung und pflichtwidrigem Verhalten nach Unfall bestraft. Die kantonalen Instanzen sprachen ihn aber von der fahrlässigen Körperverletzung frei. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, wohl im Hinblick auf ihre Zivilforderungen.

Der Entscheid widmet sich der Frage, ob der Fahrradfahrer aufmerksam war bzw. sein Fahrrad richtig beherrschte, ob er seine Geschwindigkeit den Umständen angepasst habe, ob er genügend Rücksicht gegenüber den Fussgängern genommen habe und letztlich ober damit rechnen musste, dass der Hund der Beschwerdeführerin plötzlich über die Stasse läuft (zum rechtlichen Teil ausführlich E. 3.1).

Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass der Fahrradfahrer den Unfäll hätte vermeiden können, wenn er seine Aufmerksamkeit dem Geschehen vor ihm gewidmet hätte. So hätte er denn aus den Umständen auch damit rechnen müssen, dass eine Hundeleine über die Strasse gespannt sein könnte. Die Vorinstanz hingegen war der Meinung, dass der Fahrradfahrer nicht mit einer beinahe unsichtbaren Leine habe rechnen müssen. Eine über die Strasse gespannte Hundeleine liege ausserhalb der Gefahren, welche man vernünftigerweise erwarten müsse. Die Beschwerdeführerin stützt sich u.a. darauf, dass man wissen müsse, dass in einem Schutzgebiet eine Leinenpflicht für Hunde gilt und insofern bei Hunden stets mit einer gespannten Leine rechnen müsse. Das Bundesgericht widerspricht aber dieser Ansicht und stützt die Meinung der Vorinstanz. Nur weil ein Hund eine Strasse überquert, muss nicht generell mit einer gespannten Leine gerechnet werden. Die Beschwerde wird abgewiesen bzw. der Freispruch der Fahrradfahrers bestätigt.

Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Ausweisentzug. Er wurde zuvor wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 400 bestraft. Gemäss rechtskräftigem Strafbefehl überfuhr der Beschwerdeführer auf der Autobahn die Mittelleitlinie, sodass ein nachfahrendes Patroullienfahrzeug abbremsen musste. Er schwankte mehrmals in der Spur hin und her, wechselte die Fahrspur ohne zu blinken und er blätterte in einem Order auf seinen Knien.

Die Administrativbehörde ist grds. an den Sachverhalt im Strafbefehl gebunden, es sei denn es liegen klare Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sachverhaltsfeststellungen des Strafverfahrens unzutreffend sind. Dies war im vorliegenden Fall allerdings nicht der Fall, zumal die Widerhandlungen mit einem Video festgehalten wurden.

Das Bundesgericht bestätigt die Vorinstanzen in der Annahme einer mittelschweren Widerhandlung. Der Beschwerdeführer äusserte sich nicht ausdrücklich zu der von ihm geschaffenen Gefährdung. Er beruft sich auf seine berufliche Massnahmeempfindlichkeit und führt auch aus, dass ihn die Massnahme schlimmer treffe, als eine in der Stadt wohnende Person. Darauf geht das Bundesgericht natürlich nicht ein. Auch kann er sich nicht auf die Motion 17.3520 von Nationalrätin Graf-Litscher berufen, da diese noch gar nicht umgesetzt ist.

Die Gefährdung erfüllt den Tatbestand von Art. 16b SVG.

Aus meiner Sicht dürfte wohl auch das Verschulden als nicht mehr leicht zu qualifizieren sein, wenn der Beschwerdeführer während der Fahrt in einem Ordner blättert.

Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel

Der Beschwerdeführer wehrt sich in diesem Entscheid gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Er überholte in einem Kreisel eine Velofahrerin und bog unmittelbar danach ab, sodass die rechte Fahrzeugseite das Vorderrad des Fahrrads touchierte. Die Fahrradfahrerin konnte einen Sturz verhindern, indem sie vom Velo sprang.

Der Beschwerdeführer rügt, dass der Anklagegrundsatz verletzt sei, weil sich der Strafbefehl nicht zum subjektiven Tatbestand äussere. Die Anklageschrift bzw. der Strafbefehl umschreibt die angeklagte Tat. Eine grobe Verkehrsregelverletzung kann auch fahrlässig begangen werden, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegen muss. Handelt der Täter unbewusst fahrlässig, setzt die grobe Verkehrsregelverletzung eine Rücksichtslosigkeit voraus. Die Anklage wegen grober Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG muss eine hinreichende Darstellung des Tatbestandsmerkmals der „ernstlichen Gefahr für die Sicherheit anderer“ enthalten. Ebenso muss klar sein, ob der angeklagten Person Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorgeworfen wird. Wird jemand wegen einer SVG-Widerhandlung angeklagt, ist von einer fahrlässigen Tatbegehung auszugehen, es sei denn die Anklage beinhalte den Vorwurf von Vorsatz. Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass die vorsätzliche und fahrlässige Verkehrsregelverletzung gleichermassen strafbar sind. Schildert die Anklage also kein bewusstes Verhalten, ist i.d.R. von einem Fahrlässigkeitsdelikt auszugehen. Die Schilderung des objektiven Tatgeschehens reicht nach der Rechtsprechung für eine Anklage wegen vorsätzlicher Tatbegehung aus, wenn sich daraus Umstände ergeben, aus denen auf einen vorhandenen Vorsatz geschlossen werden kann. Es ist also nicht nötig, dass sich die Anklage bei SVG-Delikten explizit dazu äussert, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Der Anklagegrundsatz wurde insofern nicht verletzt und das Fahrmanöver erfüllt den Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (zum Ganzen ausführlich E. 3).

Von Schematismen…

Die meisten Leser:innen hier dürften mit den Schematismen im Strassenverkehrsrecht so vertraut sein, wie mit ihrer linken hinteren Hosentasche. Die Schematismen gehören seit je her zur gefestigten SVG-Rechtsprechung. Auch wenn hier keine bahnbrechenden Entwicklungen zu erwarten sind, ist es doch immer wieder interessant zu sehen, mit welchen Argumenten Prozessierende vor Bundesgericht scheitern. Wir fassen hier gleich an paar Entscheide der letzten Monate zusammen mit Fokus auf das jeweilige Hauptargument:

BGE 6B_1037/2020: Abstand bei geringer Geschwindigkeit

Die meisten hier kennen den Schematismus beim Hintereinanderfahren auf der Autobahn. Wer weniger als 0.6s zum vorfahrenden Fahrzeug hat, begeht eine grobe Verkehrsregelverletzung. Vorliegend fuhr der Beschwerdeführer mit einem Abstand von 0.55s, dies allerdings bei nur 65-69km/h. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass er nicht viel schneller gefahren sei, als man das auch in der Stadt tue, womit sein Handeln nicht rücksichtslos war.

Das Bundesgericht aber pflichtet der Vorinstanz bei, dass hier nicht von der geltenden „1/6-Tacho-Regel“ abgewichen werden muss. Auch allfällige Assistenzsysteme des Autos befreien den Beschwerdeführer nicht davon, einen ausreichenden Abstand einzuhalten. Es mag zwar sein, dass insb. innerorts von der generellen 2-Sekunden-Regel abgewichen werden kann (vgl. BGE 6B_1030/2010 E. 3.3.3). Das ändert aber nichts zu den Regeln für die Autobahn. Das Bundesgericht weist denn auch das Argument zurück, dass die Zwei-Sekunden-Regel aufgrund der Verkehrsdichte gar nicht mehr realisierbar sei.

BGE 6B_884/2021: Fragliche Messmethoden

Der Beschwerdeführer wurde ausserorts mit 30km/h geblitzt, eine grobe Verkehrsregelverletzung. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die Messung mit dem Lasermessgerät nicht gesetzeskonform durchgeführt wurde. Ob die Messung korrekt war, wurde im kantonalen Verfahren gutachterlich geprüft. Der Gutachter konnte aufgrund des Videos die gefahrene Geschwindigkeit nicht zweifelsfrei ermitteln. Es konnte ebenfalls nicht genau erstellt werden, ob das Lasermessgerät die gemessene Geschwindigkeit auf- oder abrundet. Gemäss Art. 8 der VSKV-ASTRA muss der Geschwindigkeitsmesswert auf die nächste ganze Zahl abgerundet werden und danach der Sicherheitsabzug vorgenommen werden. Deshalb, so der Beschwerdeführer, hätte man den vom Messgerät angezeigte Wert von 114 km/h auf 113 km/h abrunden müssen, womit er nach Sicherheitsabzug „nur“ 109 km/h gefahren wäre und damit eine einfach Verkehrsregelverletzung begangen hätte.

Das Bundesgericht bestätigt hier die Meinung der Vorinstanz, dass die Geschwindigkeitsmessung korrekt durchgeführt wurde. Die Vorinstanz war der Ansicht, dass mit der Eichung des Messgeräts bereits erstellt sei, dass dieses die gemessene Geschwindigkeit abrunde. Zudem stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, dass die grundsätzlich die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit massgeblich sei. Minimale technische Abweichungen würden bereits vom Sicherheitsabzug nach der ASTRA-Verordnung umfasst. Zwar bezeichnet das Bundesgericht die Ansicht der Vorinstanz, dass die gesetzlich geforderte Abrundung bereits im Sicherheitsabzug enthalten sei als „zweifelhaft“, führt danach aber trotzdem aus, dass die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen dürfte, dass die Messung korrekt war. Dies, obwohl der Rundungsalgorithmus des Messgeräts bis zum Schluss nicht bekannt war (E. 2.6.4.).

BGE 6B_1066/2021: Radarfoto und Halterindiz

Der Beschwerdeführer wurde innerorts mit mit 66 km/h geblitzt. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die kantonalen Instanzen den Sachverhalt willkürlich festgestellt haben, indem sie von seiner Lenkerschaft ausgegangen seien. Aus seiner Sicht sei nämlich das Radarfoto von geringer Qualität und er habe die Fahrt stets bestritten. Die Vorinstanz hingegen stellt sich aufgrund einer Mehrzahl von Indizien auf den Standpunkt, dass der Beschwerdeführer gefahren sei, nämlich weil der Beschwerdeführer Halter des Autos ist, wegen seinen Aussagen, dem Radarfoto sowie weiteren Radarfotos von anderen mit dem gleichen Auto begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann die Haltereigenschaft bei einem Strassenverkehrsdelikt, das von einem nicht eindeutig identifizierbaren Fahrzeuglenker begangen worden ist, ein Indiz für die Täterschaft sein. Das Gericht kann im Rahmen der Beweiswürdigung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zum Schluss gelangen, der Halter habe das Fahrzeug selber gelenkt, wenn dieser die Tat bestreitet und sich über den möglichen Lenker ausschweigt. Nichts anderes kann gelten, wenn der Halter zwar Angaben zum Lenker macht, diese aber unglaubhaft oder gar widerlegt sind. Sich auf das Aussageverweigerungsrecht zu berufen oder die Möglichkeit ins Spiel zu bringen, nicht gefahren zu sein, hindert das Gericht nicht daran, eine Täterschaft anzunehmen.

Der Beschwerdeführer hat sich darauf beschränkt, seine Täterschaft zu bestreiten, ohne plausible Angaben zu einem anderen Lenker zu machen. Deshalb durfte die Vorinstanz aufgrund des Radarfotos und seiner Haltereingeschaft willkürfrei davon ausgehen, dass er auch gefahren ist.

Konkurrenz zwischen Art. 91 Abs. 2 lit. a und b SVG

BGE 6B_1429/2020: Besoffen und Müde

Der Beschwerdeführer wurde für Fahren in fahrunfähigem Zustand wegen Alkohol (Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG) und weiteren Gründen, i.c. Müdigkeit (Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG), mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen bestraft. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die Annahme der Vorinstanz, es läge eine echte Konkurrenz vor und dass er nach beiden litterae zu bestrafen sei, falsch ist. Nach seiner systematischen Auslegung, stelle Art. 91 Abs. 2 SVG ein Straftatbestand dar, womit die Anwendung von Art. 49 StGB und das Fällen einer Gesamtstrafe i.c. falsch sei. Insofern sei auch seine Strafe (nach unten) anzupassen.

Das Bundesgericht musste diese Frage noch nicht beantworten. Es befasst sich in der Folge mit der Lehre, welche die Frage nach der Konkurrenz kontrovers diskutiert. Nach den einen Autoren stelle das Fahren in fahrunfähigem Zustand ein „einheitliches Konzept“ dar, wobei es keine Rolle spiele, ob nur einer oder mehrere Gründe für die Fahrunfähigkeit vorlägen. Andere Autoren sprechen sich dafür aus, dass eine echte Konkurrenz vorläge, u.a. weil sonst der Gesetzgeber die beiden Tatbestände nicht explizit geregelt hätte und die Annahme einer unechten Konkurrenz in gewissen Beispielen auch zu inkonsequenten Lösungen führt (zum Ganzen E. 1.6).

Das BGer befasst sich sodann mit der unechten Konkurrenz, u.a. mit der Spezialität und der Konsumtion. Bei Spezialität findet nur die spezielle Regel Anwendung, z.B. Mord vor vorsätzlicher Tötung. Bei der Konsumtion wird ein Tatbestand vom anderen konsumiert, z.B. die Körperverletzung von der vorsätzlichen Tötung. Nach der grammatischen Auslegung liegt aber bei der Fahrunfähigkeit wegen Alkohol und jener aus anderen Gründen keine unechte Konkurrenz vor. Im Gegenteil, schliessen sich die beiden Tatbestände gegenseitig aus. Auch in historischer Hinsicht wurden die Tatbestände immer separat behandelt. Denn wer unter Alkoholeinfluss autofährt und dann z.B. noch ein Betäubungsmittel oder ein Medikament konsumiert, handelt quasi mit doppelter Delinquenz, auch wenn das Resultat das gleiche ist, nämlich die Fahrunfähigkeit. Aus diesem Grund widerspricht es auch nicht dem Bundesrecht, wenn das Vorliegen mehrerer Gründe für Fahrunfähigkeit strenger bestraft wird, als wenn nur ein Grund vorliegt (E. 1.7).

Daraus folgt, dass zwischen Art. 91 Abs. 2 lit. a und b SVG echte Konkurrenz besteht und damit eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Strafzumessung

BGE 6B_778/2020: Zweimal in der Probezeit

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln verurteilt, wobei eine frühere bedingte Geldstrafe widerrufen und eine Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen verhängt wurde. Die Berufungsinstanz reduzierte die Geldstrafe auf 80 Tagessätze. Der Beschwerdeführer verlangt aber 40 Tagessätze. Er rügt, dass die Vorinstanz eine willkürliche Strafzumessung vorgenommen habe. Diese wiederum ist der Ansicht, dass ein schweres Verschulden vorliege, zumal der Beschwerdeführer erst seit sieben Monate im Besitz des FAP und somit kein geübter Automobilist war. Die erneute Delinquenz innerhalb der Probezeit zeige zudem, dass der Beschwerdeführer durch die erste Bestrafung nicht eines besseren belehrt wurde (E. 2.1/2).

Die Strafzumessung liegt im Ermessen des Sachgerichts, wobei das BGer nur eingreift, wenn ein Ermessensmissbrauch vorliegt. Muss ein Gericht ein Urteil begründen, so muss es gemäss Art. 50 StGB auch seine Überlegungen zur Strafzumessung nachvollziehbar darlegen (E. 2.3).

Die Argumente des Beschwerdeführers vermögen das BGer nicht zu überzeugen. Weder die Eizelfallumstände, gute Sicht, trockene Fahrbahn, wenig Verkehrsteilnehmer, Ausserortsstrasse, noch der Umstand, dass seine Mutter zuhause zusammengebrochen sei, vermögen einen Ermessensmissbrauch der Vorinstanz zu begründen. Auch der Hinweis auf die Strafzumessungsempfehlungen der SSK durch den Beschwerdeführer ist unbehelflich, denn wie er selber erkennt, handelt es sich dabei um unverbindliche Empfehlungen.

Das BGer weist die Beschwerde ab.

Oster-Rundschau neue BGE

Liebe Verkehrsrechtsenthusiast*innen

In letzter Zeit musste der Schreiberling den Blog aus familiären Gründen etwas vernachlässigen. Deshalb fassen wir die Entscheide der letzten Wochen in einer Art Rundschau kurz zusammen.

BGE 1C_298/2020: Verkehrspsychologische Abklärung
Die Teilnahme an einem illegalen Rennen in Deutschland berechtigt zur Anordnung einer psychologischen Fahreignungsabklärung. Interessant: Der vorsorgliche Entzug wurde von der Vorinstanz aufgehoben.

BGE 1C_415/2020: Dauer der Massnahme, Bindung an das Strafurteil
Das Strassenverkehrsamt ist an den Strafbefehl gebunden. Man kann nicht erst im Administrativverfahren die Beweisverwertung einer privaten Dashcamaufnahme anprangern. Das hätte im Strafverfahren gemacht werden müssen.
In der Einzelfallbeurteilung zur Dauer der Massnahme war es gerechtfertigt, wegen mehrern groben Verkehrsregelverletzungen den Führerschein für fünf Monate zu entziehen, auch wenn der Beschwerdeführer einen unbescholtenen Leumund hatte und beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist.

BGE 1C_319/2020: Fahreignung aus medizinischen Gründen
Der Verdacht auf ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, eine Polyneuropathie (Erkrankung des Nervensystems) und erhöhter Alkoholkonsum berechtigen zur Anordnung einer Fahreignungsabklärung. Die Fahrerlaubnis war nicht vorsorglich entzogen.

BGE 6B_716/2020: Die abgeurteilte Sache in Europa
Dieses äusserst interessante und komplexe Urteil beschäftigt sich mit der Frage, wann nach dem Schengener Durchfühurngsübereinkommen in Europa eine abgeurteilte Sache vorliegt, also die Schweiz eine Person nicht mehr bestrafen kann, weil bereits ein ausländisches Urteil vorliegt. Grundlage ist ein Raserdelikt in der Schweiz. Zumindest über einen Teil des Sachverhalts (Fahren ohne Berechtigung) erliess die deutsche Staatsanwaltschaft ohne grössere Abklärungen eine Einstellung. Die Schweiz erklärte bei der Ratifikation des SDÜ gemäss Art. 55 SDÜ aber, nicht an Art. 54 SDÜ gebunden zu, wenn die Tat ganz in der Schweiz begangen wurde, was hier der Fall war. Die Schweizer Strafbehörden durften den Beschwerdeführer also wegen Rasens verurteilen.

BGE 6B_1125/2020: Tödliches Überholmanöver
Bei einem Überholmanöver übersieht der Beschwerdeführer ein entgegenkommendes Mofa. Dessen Lenker stirbt tragischerweise an den Unfallfolgen. Zu Recht wurde der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Entscheid befasst sich exemplarisch mit den Voraussetzungen der Fahrlässigkeit und der Aufmerksamkeit nach Art. 31 SVG.

BGE 6B_1147/2019: Motorradunfall bei Nässe, angemessene Geschwindigkeit
Bei einem Überholmanöver auf regennasser Autobahn mit ca. 120km/h verlor der Beschwerdeführer die Kontrolle über sein Motorrad. Er stellt sich auf den Standpunkt wegen einer Asphaltfuge und nicht etwa wegen dem Regen gestürzt zu sein. Das sei nicht vermeidbar gewesen. Die Geschwindigkeit muss allerdings den Umständen angepasst werden. So verhielt sich der Beschwerdeführer pflichtwidrig, indem er die zulässige Geschwindigkeit bei nasser Fahrbahn und schlechter Sicht ausfuhr und just vor einer Kurve zu einem Überholmanöver ansetzte. Als erfahrener Motorradfahrer hätte er vorhersehen können, dass sein Motorrad bei nasser Fahrbahn wegrutschen kann. Mit einer Anpassung der Geschwindigkeit hätte der Unfall vermieden werden können.

Rechtswidrige Signalisation

BGE 6B_1439/2019: Stufenweise Herabsetzung von Tempolimiten

Der Beschwerdeführer überschritt auf einer Autostrasse die Höchstgeschwindigkeit von 60km/h um 36km/h und wurde wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Er bemängelt die vor Bundesgericht, dass die Signalisation rechtskonform sei und schliesst daraus, dass er nicht rücksichtslos gehandelt habe.

Grundsätzlich ist von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die dafür vorauszusetzende Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung sind die objektiven und grundsätzlich auch die subjektiven Voraussetzungen einer groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG ungeachtet der konkreten Umstände zu bejahen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autostrassen um 30 km⁠/⁠h oder mehr resp. auf Autobahnen um 35 km⁠/⁠h oder mehr überschritten wird. Diese Vermutung ist anhand aussergewöhnlicher Umstände widerlegbar (E. 1.1).

Das Hauptargument des Beschwerdeführers beruht darauf, dass die Geschwindigkeitslimite auf der von ihm befahrenen Strecke von 100km/h abrupt auf 60km/h reduziert wird. Dies widerspreche aus seiner Sicht Art. 22 Abs. 2 SSV i.V.m. Art. 108 Abs. 5 lit. b SSV. Diese Bestimmungen stipulieren, dass die Höchstgeschwindigkeit grds. stufenweise zu reduzieren ist und dass die Abstufungen 10km/h zu betragen haben. Im Bereich von Baustellen auf Autobahnen z.B. wird das Tempolimit in der Praxis i.d.R. von 120km/h auf 100km/h und dann auf 80km/h redziert. Dies dient der Verkehrssicherheit und soll insb. Auffahrunfälle verhindern. Nach Ansicht der Vorinstanz stellt die fehlende Abstufung allerdings keinen so grossen Mangel dar, als dass die Signalisation nicht beachtet werden müsse. Das Bundesgericht lässt die Frage nach der Rechtmässigkeit der Temporeduktion offen, denn angesichts der Verkehrssituation hätte der Beschwerdeführer sein Tempo sowieso anpassen müssen, was er aber unterliess. Es erachtet den objektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG als erfüllt (E. 1.5). Da der Beschwerdeführer in den Einvernahmen aussagte, dass er von der Geschwindigkeitstafel wusste, erachtet das Bundesgericht auch den subjektiven Tatbestand als erfüllt, auch wenn der Beschwerdeführer der Ansicht war, dass die Tafel für ihn nicht gelte (E. 1.6).

Fahrlässige Führerflucht

BGE 6B_1452/2019: Unabsichtlich die Flucht ergreifen (zur amtl. Publ. vorgesehen)

Zwischen dem Beschwerdeführer und einem Motorrad ereignete sich bei einem Überholmanöver eine seitliche Kollision, wobei der Motorradfahrer sowie seine Sozia Verletzungen davon trugen. Der Beschwerdeführer setzte seine Fahrt danach fort, wofür er von den kantonalen Instanzen gemäss Art. 92 Abs. 2 SVG wegen fahrlässiger Führerflucht verurteilt wurde.

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass fahrlässige Führerflucht nicht strafbar sei. Aus dem Wortlaut, Sinn und Zweck von Art 92 Abs. 2 SVG ergebe sich, dass nur der vorsätzliche Verstoss strafbar sei. Insb. die Begriffe „Ergreifen“ und „Flucht“ deuten auf das Erfordernis eines bewussten Entschlusses des Täters (E. 3.1).

Die Flucht setzt voraus, dass das Entfernen vom Unfallort pflichtwidrig i.S.v. Art. 51 SVG ist. Werden Personen verletzt, müssen grds. alle Beteiligten Hilfe leisten. Zudem muss die Polizei gerufen werden. Ohne Zustimmung der Polizei darf grds. niemand die Unfallstelle verlassen. Art. 100 Ziff. 1 SVG stipuliert, dass SVG-Tatbestände grds. vorsätzlich und fahrlässig erfüllt werden können, sofern es das Gesetz nicht anders bestimmt (E. 3.2).

Sowohl in der älteren, als auch neueren Rechtsprechung hat sich das Bundesgericht stets dafür ausgesprochen, dass auch die fahrlässige Führerflucht strafbar ist. Denn Sinn und Zweck der Norm ist letztlich die Sicherstellung der Geschädigtenansprüche sowie eine erfolgreiche Unfallaufklärung. Auch die herrschende Lehre stützt diese Ansicht. Im Vergleich zum Grundtatbestand des „pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall“ sieht der qualifizierte Tatbestand der Führerflucht eine höhere Strafandrohung vor, weil eben Menschen verletzt wurden und gemäss Botschaft für die Führerflucht eine „verwerfliche Gesinnung“ nötig sei. Daraus lässt sich aber entgegen den Ansichten des Beschwerdeführers nicht schliessen, dass die Führerflucht nur vorsätzlich begangen werden kann.

Das Fahrzeug des Beschwerdeführers wies auf der ganzen rechten Seite erhebliche Beschädigungen auf. Daraus durfte die Vorinstanz willkürfrei darauf schliessen, dass der Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit den Unfall hätte bemerken müssen. Insofern hätte er auch seinen Pflichten nach einem Unfall nachkommen können.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Das widerrechtliche Vorschriftssignal

BGE 6B_1467/2019: Das widerrechtliche Vorschriftssignal

Der Beschwerdeführer ist innerorts 30km/h zu schnell gefahren. Er wendet sich gegen die Geldstrafe u.a. mit dem Argument, dass die Tempotafel nicht nach den Vorgaben der SSV aufgestellt wurde. Obwohl das BGer ihm zustimmt, weist es die Beschwerde ab.

Art. 27 SVG schreibt vor, dass Signale beachtet werden müssen. Nach der Rechtsprechung gilt diese Pflicht zur Befolgung von Signalen und Markierungen grundsätzlich unabhängig von der Anfechtbarkeit und allenfalls erfolgten Anfechtung der zugrunde liegenden Verfügung. Signale und Markierungen richten sich an eine Vielzahl von Strassenbenutzern. Diese müssen sich auf die Verkehrszeichen verlassen können. Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines solchen Zeichens ist meist nicht erkennbar. Auch nicht gesetzeskonforme Geschwindigkeitsbeschränkungen sind daher in der Regel zu beachten. Die Verbindlichkeit vertrauensbegründender Verkehrszeichen findet ihre Grenze bei nichtigen Anordnungen. Nichtigkeit wird angenommen bei Anordnungen, deren Mangelhaftigkeit besonders schwer wiegt und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist. Signale vermögen Fahrzeuglenker nur zu verpflichten, wenn sie so aufgestellt sind, dass sie leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Dabei ist als Massstab ein Fahrzeuglenker zu Grunde zu legen, der dem Strassenverkehr die notwendige und von ihm vernünftigerweise zu erwartende Aufmerksamkeit widmet. Fahrzeuglenker sind nicht gehalten, nach unzulässigerweise fernab von der Fahrbahn aufgestellten Signalen Ausschau zu halten. Signale haben gemäss Art. 103 SSV grds. am rechten Strassenrand zu stehen (E. 2.2.3).

Das BGer stimmt dem Beschwerdeführer darin zu, dass die Tafel entgegen den Regeln von Art. 103 SSV ohne ersichtlichen Grund auf der linken Strassenseite steht. Der Schild ist aber deshalb nicht unbeachtlich. Es ist auch von weitem erkennbar. Der Beschwerdeführer musste sich an das Tempolimit halten, auch wenn das Schild auf der falschen Strassenseite steht.

BGE der Woche

Nichts weltbewegendes, deshalb eher im Telegramstil:

BGE 6B_917/2019: Gefährliches überholen eines LKW

Die Beschwerdeführerin überholte bei starkem Verkehrsaufkommen auf einer dreispurigen Autobahn einen Sattelschlepper. Nach dem Überholen wechselte sie auf die 1. Überholspur und bremste brüsk, um auf die Normalspur bzw. Ausfahrt zu fahren. Der Sattelschlepper musste stark bremsen und Ausweichen um einen Unfall zu vermeiden. Das BGer bestätigt die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung.

BGE 6B_1190/2019: Gefährliches Überholen eines LKW II

Der Beschwerdeführer überholte vor dem Limmattaler Kreuz ebenfalls auf der 2. Überholspur einen LKW, wechselt wieder auf die 1. Überholspur und beabsichtigte dann auf die rechte Fahrspur zu wechseln, wo stockender Verkehr herrschte. Weil er seine Geschwindigkeit drosselte, kollidierte der LKW mit seinem Heck. Das BGer stützt die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung. Wir stellen fest: Die Zürcher Strafbehörden sind milder, wie die im Kt. BE.

BGE 6B_1300/2019: Unfall auf Gegenfahrbahn

Wegen einem Sekundenschlaf oder einer Unaufmerksamkeit geriet der Beschwerdeführer in einer Rechtskurve auf die Gegenfahrbahn und die linksseitige Grünfläche. Mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kam es zu einer seitlichen Frontalkollision, wobei der Unfallgegner verletzt wurde. Das BGer stützt die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung.

BGE 1C_470/2019: Unfall beim Überholen

Auf einer Ausserortsstrasse wollte der Beschwerdeführer ein anderes Fahrzeug überholen. Als ihm ein anderes Fahrzeug entgegenkam, wollte er wieder auf die rechte Spur wechseln, wobei er mit dem quasi-überholten Fahrzeug kollidierte. Er wurde wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. Das Strassenverkehrsamt ging danach zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung aus.

BGE 1C_364/2019: Streifkollision mit Mittelleitplanke

Der Beschwerdeführer streifte auf der Autobahn die Mittelleitplanke wegen einer Unaufmerksamkeit und erhält dafür eine Übertretungsbusse von CHF 200.00, einfache Verkehrsregelverletzung. Die MFK SO geht zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung aus.

Let the Race begin! Mit und ohne Blaulicht

BGE 6B_931/2019: Rasen ohne Blaulicht

Der Beschwerdeführer war ausserorts mit 143km/h unterwegs und überschritt das Tempolimit um 63km/h. Dafür wurde er wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Er verlangt vor BGer wegen grober Verkehrsregelverletzung dranzukommen.

Meinungen der Parteien:

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass er ohne Vorsatz gehandelt habe, da es keine konkrete oder unmittelbare abstrakte Gefährdung Dritter gegeben habe. Ein Unfallrisiko mit Schwerverletzten oder Toten habe nicht bestanden. Eigengefährdung sowie Tiere werden von Art. 90 Abs. 3 SVG nicht erfasst. Zudem habe perfekten Raserwetter geherrscht. Gute Sicht, niemand zu sehen, bolzengerade Strecke (E. 1.1).

Die Vorinstanz stellt sich, kurz gesagt, auf den Standpunkt, dass man schon alleine an der vorbeiflitzenden Umgebung erkennen kann, wie schnell man ist und insofern das damit zusammenhängende Unfallrisiko in Kauf nimmt. Zudem kannte der Beschwerdeführer die Strecke und war nach eigener Aussage in Eile, um zu einer Verwaltungsratssitzung zu kommen (E. 1.2).

Das BGer:

Das Tempolimit ist eine wichtige Verkehrsregel für die Verkehrssicherheit. Das nach Art. 90 Abs. 3 SVG geforderte Risiko muss sich auf einen Unfall mit Todesopfern oder Schwerverletzten beziehen und somit ein qualifiziertes Ausmass erreichen. Der Erfolgseintritt muss vergleichsweise nahe liegen; gefordert ist ein „hohes“ Risiko. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine höhere als die in Art. 90 Abs. 2 SVG geforderte „ernstliche“ Gefahr handeln muss. Diese muss analog der Lebensgefährdung nach Art. 129 StGB unmittelbar, nicht jedoch unausweichlich sein. Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Abs. 3 die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen (E. 1.3.1). Der subj. Tatbestand erfordert (Eventual)vorsatz, wobei dieser im SVG nicht leichthin angenommen werden darf, weil der Täter meistens selbst zum Opfer zu werden droht. Vorsatz kann nur dann angenommen werden, wenn sich der Täter bewusst gegen das geschützte Rechtsgut entscheidet (E. 1.3.2). Wer eine in Art. 90 Abs. 4 SVG erfasste Geschwindigkeitsüberschreitung begeht, handelt grds. vorsätzlich. Nur in Extremsituationen darf ein Richter von keiner vorsätzlichen Tatbegehung ausgehen, z.B. technischer Defekt am Fahrzeug, Geiselnahme, Notfallfahrt ins Spital. Vorliegend ist kein solcher Grund ersichtlich (E. 1.3.3). Der nichtige Grund der Verwaltungsratssitzung zählt jedenfalls nicht. Die Vorinstanz ging zu Recht von eventualvorsätzlicher Tatbegehung aus (E. 1.4).

BGE 6B_1224/2019: Rasen mit Blaulicht

Im Jahr 2016 trieb in Genf eine möglicherweise bewaffnete Bande ihr Unwesen, Einbrüche und Autodiebstähle gehörten zu ihrem Repertoire. Einer der Verdächtigen war in Frankreich sogar wegen Mordes verurteilt. Im Februar 2017 verliess ein Fahrzeug mit vermummten Personen die Schweiz nach Frankreich, um später wieder in die Schweiz zu fahren. Dabei wollte eine Spezialeinheit der Polizei das Fahrzeug kontrollieren. Dieses entzog sich der Kontrolle, eine Verfolgungsjagd resultierte, die Spezialeinheit forderte Verstärkung an, was der Polizeibeamte und Beschwerdeführer 2 und seine Beifahrerin ebenfalls mitbekamen. Als sie zwei Fahrzeuge sahen, eines mit Blaulicht, folgten sie diesen ebenfalls mit Blaulicht, davon überzeugt, dass eines davon zur Spezialeinheit gehörte. Das war aber gar nicht der Fall. Der Beschwerdeführer 2 wurde in einer Wohnzone mit 126km/h geblitzt.

Die erste Instanz ging von einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung aus, die obere Gerichtsinstanz hiess die Berufung gut und verurteilte den Beschwerdeführer wegen grober Verkehrsregelverletzung. Die Staatsanwaltschaft verlangt mit Beschwerde die Verurteilung wegen Rasens, der Polizist verlangt mit Beschwerde einen Freispruch.

Zum subjektiven und objektiven Tatbestand kann auf oben verwiesen werden. Die Vorinstanz nahm beim Polizisten einen Sachverhaltsirrtum an. Zudem habe seine Kollegin ihm geholfen, die Risiken des Schnellfahrens zu minimieren, wodurch man nicht von vorsätzlicher Tatbegehung sprechen könne (E. 2.4). Auf den Sachverhaltsirrtum kommt es laut BGer nicht an, denn dieser ändert nichts am hohen Unfallrisiko. Das BGer folgt der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Auch wenn die Beifahrerin des Polizisten ihn auf Gefahren hingewiesen hätte, wäre er von göttlicher Fahrkompetenz gesegnet, wenn er dann bei dem Tempo noch adäquat reagieren könnte. Zudem habe die Beifahrerin auch noch das Radio bedient und schaute gar nicht immer auf die Strasse. Auch ein spezielles Fahrtraining hat der Polizist nicht erhalten. Es gab insofern entgegen der Meinung der Vorinstanz keine aussergewöhnlichen Gründe, welche die gesetzliche Vermutung umstossen könnten, dass der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei (E. 2.5).

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird insofern gutgeheissen.